Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

plan05: Wohnen zwischen den Moden

Wie leben wir in einem Baubestand, der sich Ideen verdankt, die längst Geschichte geworden sind?

Eine Standardsituation: Eine komplexe Patchworkfamilie, die durch eine aktuelle Paarbildung entstanden ist, sucht neuen Wohnraum. Sie findet eine 90 qm Wohnung mit einem 45 qm Wohnzimmer und einigen kleinen Schachteln, also Kinderzimmer, Schlafzimmer plus Funktionsräume. Die Suche muss fortgesetzt werden…

In der Regel leben wir in Wohnungen und Häusern, die nicht für unsere Bedürfnisse geplant worden sind. Der Bund Deutscher Architekten zeigt im Haus der Architektur Köln eine von Prof. Andreas Fritzen kuratierte Ausstellung zu diesem Thema. Die Ausstellung zeigt zehn Kölner „Mustersiedlungen“ aus den letzten hundert Jahren in dem Damals-Heute-Schema. Alle Siedlungen waren zu ihrer Entstehungszeit Realisationen der jeweils zukunftsweisenden Idee ihrer Zeit. Die Vorstellungen wurden historisch, relativiert, überholt, der Wohnbestand blieb. Wohnraum, in dem wir heute leben. Vervollständigt wird die Ausstellung, welche die damalige und jetzige Situation der Siedlungen nur anreißt, durch Vorträge und Busexkursionen zu den zehn vorgestellten Siedlungen.

Beispiel Großsiedlung Köln-Chorweiler Mitte:

die „Außenstadt am Fühlinger See“, so ihr damaliger Arbeitstitel. Chorweiler ist ein Tabu oder ein Unort, über den man offensichtlich nur bemüht und falsch reden kann. Die Kritik an der Unwirtlichkeit der Trabantenstädte in den 1970er Jahren war radikal, als deutlich wurde, dass man statt einer schönen neuen Welt einen heißen Brüter sozialer Probleme geschaffen hatte. Und wie bei jedem Problem, das sich nicht lösen lässt, wurden die kontroversen Interpretationen ungenießbar. Die professionellen Beschöniger verleugnen die Realität, und die Kritiker stigmatisierten mit ihrer schnell im Klischee festgefahrenen Kritik die gegenwärtigen Bewohner der Siedlung. So scheint die pragmatisch sinnvolle Strategie zu sein, Chorweiler als Realität hinzunehmen und das Beste daraus zu machen. Die Prognose, dass „es irgendwann einmal schick sein wird in Chorweiler zu leben, im 23. Stock, in aller Ruhe mit Blick auf die Stadt“, bleibt vorerst allerdings eine waghalsige, hoffnungsgesteuerte Spekulation. (Zitat aus: Chorweiler Ansichten – Texte und Fotos aus dem Bauch einer Hochhausstadt, Köln 1993)

Der Architekt Prof. Dr. Ing. Günter Uhlig beleuchtete die Vorgeschichte und Entstehung der Siedlung mit historischer Tiefenschärfe. Er erinnerte an die damalige Bevölkerungsentwicklung und vor allem an die damaligen Bevölkerungs- und Verkehrsprognosen, welche die Planungen angetrieben hatten. Er beschrieb den Optimismus der 1950er und 60er Jahre: Man war selbstgewiss, eine neue, bessere Welt zu schaffen, in der die sozialen Festschreibungen der gewachsenen Stadt aufgehoben und eine chancengleiche Urbanität durch Dichte hergestellt werden sollte. Es ist hier die Rede von einer Geschossflächenzahl (die angibt, wie viel Quadratmeter Geschossfläche je Quadratmeter Grundstücksfläche zulässig sind) von 24,0! – das ist im übrigen deutscher Rekord. Das schien die Lösung für die damals so definierten Grundbedürfnisse Wohnen, Arbeiten und Erholen. Dieser Optimismus ist uns mittlerweile so fremd, mehr noch, er befremdet uns. Der Glaube an einen glückenden Plan für ein komplexes Gebilde von der Größe Leverkusens etwa, das aus dem Nichts geschaffen wird, setzt einen auctorialen Heroismus voraus, den wir zu oft scheitern gesehen haben. Die Kritik der 1970er Jahre macht die Fehlplanung an dem betonierten Familienschema fest, generell an starren Bedürfnisprognosen, an der Problematik weniger Großeigentümer, an den Menschen als Stapelware, an dem Umstand, dass die Planung der Freiflächen in die Hände der Verkehrsplaner fiel.

Aus der Geschichte lernen

Andreas Wolff vom Stadtplanungsamt Köln sprach über den Status quo. Kluge und nicht gänzlich resignierte Demut klang an, als er den Zustand der Siedlung nach den Nachbesserungen zeigte, die dem Realitätsschock der 1970er Jahre geschuldet waren. Verbesserungen gab es: Rückbau von Straßen zu Parks, Umnutzung von fehl geplanten Elementen, Rückbau von Angsträumen und hier und da bunte Kinderbelustigungen. Zwar sei Chorweiler „einer der besten Fehler, die wir in Köln je gemacht haben“, so Wolff, denn es war die Crème de la Crème die damals plante. Die Planungen waren aus damaliger Sicht nach bestem Stand des Wissens „sublim“(!) durchdacht, aber heute bleibt die Frage „ob Großsiedlungen überhaupt sozialverträglich zu bauen sind“. Chorweiler, so Wolff, komme ihm vor, „wie ein Sträfling, der seinen Bewährungshelfer sucht“. Der Architekt lernt aus der Geschichte einmal mehr, dass seine Rolle als Sozialingenieur falsch beschrieben worden war; er definiert sich heute eher als ein Nachbesserungsartist, der nicht mehr sicher ist, wie er Wohn- und Freiräume für Menschen organisiert, deren zukünftige Bedürfnisse er noch nicht kennt.

Axel Joerss

Ausstellung im Haus der Architektur Köln

Lintgasse 9

50667 Köln

Öffnungszeiten:

noch bis 30.9.2005, 11-20 Uhr

Abschlussveranstaltung mit Podiumsdiskussion

am 29.09.2005, 19 Uhr

Chorweiler

Statt einer Wiederholung bekannter Chorweiler-Bilder drei Fragen von Fischli/Weiss aus dem Buch: „Findet mich das Glück?“

Urbanität durch Dichte

Titelbild der Bauwelt: „Urbanität durch Dichte – die gescheiterte Hoffnung“