Für alle diejenigen, denen herkömmliche Stadtbegehungen nicht intensiv genug sind oder die die klassischen Kölner Reiseführer bereits durchgelesen haben, hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch ein Köln-Kompendium der Geschichten herausgegeben.
Mit und in 18 Spaziergängen erzählt Martin Stankowski in „Köln-Der andere Stadtführer“ Geschichten über den Dom und viele andere Orte, die Franzosen und die Römer, über Politik, Kunst und Kultur. Man trifft Schriftsteller, Künstler, KPD Aktivisten und eine ganze Menge „echte Kölner“.
Alle Geschichten werden konkret verortet: Plätze, Straßen, Häuser. Die Spaziergänge beginnen rund ums Rathhaus gehen durch die Altstadt, Teile der Neustadt und darüber hinaus bis ins Rechtsrheinische. Sehr übersichtliches und schön aufbereitetes Planmaterial ermöglicht schnelles und exaktes Auffinden aller insgesamt 152 erzählten Stadtmarken.
Auf den ersten Blick kommt der 350-seitige Band als ein Stelldichein der Anekdoten, der Rheinromantik, der Sozial- und Mentalitätsgeschichte daher, die der „Stadtbilderklärer“, wie sich Martin Stankowski selbst bezeichnet, auf Seitenpfaden und durch Hinterhöfe findet. Bei genauerem Hinschauen bieten sich jedoch viel mehr als bunte Bilder.
Martin Stankowski steckt, mit seinen in die Historie eingestreuten Abhandlungen, präzise das kulturelle und politische Feld ab, das die erzählten Ereignisse überhaupt erst ermöglicht hat. Deshalb lesen sich die Geschichten und Erlebnisse nicht wie trockene historische Fakten sondern eher wie ein Band mit Kurzgeschichten. Man lustwandelt über die Szenerien, statt sich sklavisch an abzuhakende Sehenswürdigkeiten zu klammern. Ein Stadtführer der hinter die Dinge sieht und auch dem Detail nachspürt. Eben ein etwas anderer Stadtführer:
„Etwas anders“ in den Texten und Themen: Man nimmt sich den Raum, Zusammenhänge aufzuzeigen – auch über Architektur und Stadtplanung. Da fängt dann ein Bericht über die Rotonda am Salierring zwar mit einem Zitat aus dem BDA Architekturführer an, geht aber im weiteren weit über die „Architektenlyrik“ hinaus. Erläutert wird, wie und warum, mit offizieller Zustimmung des Rates, eine Baumgruppe für eine Kindertagesstätte weichen sollte, die dann aber doch ein reiner Bürobau wurde, der heute ausschließlich von Anwälten genutzt wird. Beleuchtet werden auch aktuelle Architekturen und Architekten. Das Loch am Neumarkt, die Planungen am Rheinauhafen, der Neubau des Architekten Johannes Schilling oder die Frage, wer eigentlich in der Stadtmauer wohnt?
„Etwas anders“ auch in der Bildsprache: Bild-„Geschichten“ laufen gleichberechtigt mit dem Text mit; teils briefmarkenklein, teils seitenbreit. Und es gibt eine erfreuliche Streuung der Genres von Hochglanzaufnahmen der Schaufassaden über Stimmungsbilder bis zu Fotos aus privaten Sammlungen. In der Marginalienspalte finden sich auf jeder Seite Ergänzungen, Zitate Zusammenfassungen, kulinarische und ästhetische Tipps Kölner Promis. Theoretisch-kabarettistische Abhandlungen von Jürgen Becker, Rainer Pause und Heinrich Pachl ergänzen die informative Unterhaltungslektüre.
Im Erzählreigen umkreist Martin Stankowski, die Kölner Stadt- und Gestaltwerdungsgeschichte. Er schlüsselt die weitverzweigte Infrastruktur auf und erklärt das ein oder andere Mal ein wenig augenzwinkernd die ein oder andere Kölner Eigenart. Den Kölner Klüngel, der mit seinem Mythos der Einstimmigkeit auch die städtische Kultur und Stadtplanung prägt. Die zweitausend jährige bunte Kölner Geschichte, lässt so manchen faktischen Raum für Interpretationsmöglichkeiten. Spielräume, die Rückschlüsse geradezu herausfordern, „Interpretation“ so der Autor „ist die Wurst auf dem Brot der Geschichten aus und über Köln“.
Weitgehend klassisch ist der Aufbau des Stadtführers. Was ihn über die Sofalektüre hinaus auch als Pocketguide benutzen lässt und sicher zum ein oder anderen Gang durch die Stadt ermuntert.
Barbara Schlei
Redaktion
Köln
Der andere Stadtführer
Martin Stankowski
Verlag Kiepenheuer & Witsch 2003 19,90 Euro