Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Treppe als Hauptdarsteller

Im Gericht wird gesungen – und das ist dieses Mal ganz wörtlich zu nehmen: Uwe Eric Laufenberg hat im Oberlandesgericht am Reichensperger Platz die Oper ‚ La Clemenza di Tito‘ in…

Respekt flößt es ein, das Oberlandesgericht am Reichensperger Platz. Halbrund steht das Gebäude hinter einer ovalen Grünanlage, distanziert sich so von der Straßenebene. Als das an ein barockes Schloss erinnernde Gebäude zwischen 1907 und 1911 vom Geheimen Oberbaurat Paul Thoemer errichtet wurde, war es der größte preußische Behördenbau. Durch den Eingangsbau mit seiner tempelartigen Fassade mit sechs Säulen betritt der Opernbesucher die Ersatzspielstätte – und landet in einem schnöden deutschen Gericht: In den repräsentativen Eingangsbereich wurde eine Pförtnerloge eingebaut, transparente halbhohe Türen durchschneiden den Raum, sie dienen als Sicherheitsschleusen. An diesem Abend sind sie geöffnet und die Opernhandtasche wird auch nicht durchleuchtet.

Begnadigung im Treppenhaus

Im zentralen Treppenhaus wird Wolfgang Amadeus Mozarts „La Clemenza di Tito“ gegeben. Vitellia möchte gerne Kaiser Titus heiraten, wird jedoch zunächst von diesem verschmäht und plant deshalb seinen Tod. Als Vitellia erfährt, dass Titus nun doch sie heiraten will, ist es bereits zu spät, den Plan zu stoppen: Sextus, ein in Vitellia verliebter Freund Titus, setzt das Kapitol in Brand und in Rom verbreitet sich die Nachricht, Titus sei in den Flammen umgekommen. Als Sextus erfährt, dass Titus noch lebt, verplappert er sich, wird verhaftet und zum Tode verurteilt. Unabhängig voneinander nehmen Sextus und Vitellia bei Titus die Schuld für den Mordanschlag auf sich. Titus vergibt beiden und begnadigt sie – „Die Milde des Titus“ eben.

Schlechte Sicht

Das Stück, das im Jahr 1791 in ungewöhnlich kurzer Zeit entstand, ist nicht unbedingt Mozarts stärkste Oper, passt aber inhaltlich hervorragend zum palastartigen Oberlandesgericht in dessen Treppenhaus auf drei Ebenen Stühle platziert wurden, Stehplätze gibt es noch unter dem Dach. Jede Nische, jeder Vorsprung ist ausgefüllt – und von keinem der rund 500 Plätze kann man das gesamte Geschehen verfolgen. Es findet ausschließlich auf den vier breiten Läufen und dem zentral unter der Kuppel angeordneten Podest der Treppe statt. Ein eigenes Bühnenbild gibt es nicht, lediglich einen ovalen roten Teppich, der auf dem Treppenpodest platziert wird. Und Buchsbäumchen in Töpfen, die unweigerlich an Macbeth‘ wandelnden Wald von Birnam erinnern, wenn sie aus den Tiefen der Gerichtsflure hereingetragen werden.

Musikduell ganz nah

Auch sonst ist die Ausstattung karg, Regisseur Uwe Eric Laufenberg setzt voll auf die Kraft der Stimmen und die schauspielerische Leistung seiner Darsteller. Die ist von der ersten Etage aus wunderbar zu genießen, so liefert sich die herausragende Franziska Gottwald als Sesto ganz nah am Zuschauer ein musikalisches Duell mit dem Klarinettisten Ekkehardt Feldmann. Sitzt man in der zweiten Etage, wird es schon schwerer – nicht nur weil die bereits vorhandenen Geländer aufgrund der eingebrachten Zuschauerpodeste noch einmal aufgedoppelt wurden, sondern auch, weil in diesem Treppenhaus Säulen und Vorsprünge die Sicht nehmen und weil man entweder steil nach unten oder nach oben blicken muss.

Orchester auf dem Balkon

Die Akustik aber ist erstaunlich gut, Konrad Junghänel hat das Tempo des Gürzenich Orchesters an das Volumen des überkuppelten Raumes angepasst, das auf der zweiten Etage platzierte Orchester klingt satt und selbst die Koloraturen der Sopranistin Adina Aaron als Vitellia brechen sich nur wenige Male in der Kuppel. Die Koordinationsschwierigkeiten, die der unübersichtliche Raum mit sich bringen muss, meistern die Darsteller mithilfe von Monitoren, die auch manchem Zuschauer dabei helfen, das Geschehen zu verfolgen. Bei der Inszenierung hält sich Laufenberg zurück, die Treppe wird zum Hauptelement, auf ihr steigen die Figuren auf und ab, sie wird zum Sinnbild von Oben und Unten, von Macht und Ohnmacht. Nur wenige Male nutzen die Darsteller die verschiedenen Ebenen und die vorspringenden Balkone des Treppenhauses und schlängeln sich zwischen den Zuschauern durch. Auch das brennende Kapitol wird nur angedeutet: Orangefarbenes Licht erleuchtet einen der Gerichtsflure.

Neues Raumerlebnis

Diese Zurückhaltung ist für den Zuschauer auch unabdingbar, schon so fällt es schwer, zu entdecken, wer gerade wo singt. Zudem musste aufgrund der baulichen Gegebenheiten auf Übertitel verzichtet werden. Stattdessen liegt das Libretto auf jedem Sitz – Schriftgröße, durchgestrichene Kürzungen und Lichtverhältnisse machen es schwer, dem Text zu folgen. Aber perfekte Sicht und bester Klang sind ja auch nicht die Gründe für eine Oper in anderen Spielstätten. Es ist die völlig veränderte Raumerfahrung, der neue Blick auf Altbekanntes. Und natürlich macht es Freude, im Verlauf der Oper die inhaltlichen Bezüge zu entdecken und so auch eine neue Sicht auf alte Musiktheaterwerke zu bekommen. Schade, dass dies nun die letzte reguläre Ersatzspielstätte ist, bevor die Oper im Mai 2012 in das jetzt „Oper am Dom“ genannte Musical-Zelt zieht.

Vera Lisakowski

Verfall in der Oper

Die Oper kann noch immer ihr eigenes Haus nutzen. Zeit, eine Aufführung im Hauptwerk des Kölner Architekten Wilhelm Riphahn zu besuchen: Sergej Prokofjews Oper „Krieg und Frieden“.

Sonntags im Staatenhaus

Die Oper nutzt das Staatenhaus am Rheinpark für die szenische Uraufführung des „Sonntag aus Licht“, von Karlheinz Stockhausen.

Geister in der Kirche

Die Oper Köln gibt Benjamin Brittens beklemmende Kammeroper „The Turn of the Screw“ in der Trinitatiskirche.

Schlagerfestival im „Weisheitstempel“

Die Oper zieht in ihre nächste Ausweichspielstätte und zeigt Mozarts „Zauberflöte“ in der Aula der Universität.

Reise in die Türkei

Mit Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ eröffnet die Oper ihr Ausweichquartier in Mülheim, das Palladium.

Krönung in der Kantine

Obwohl die Oper ihr eigenes Haus wider Erwarten noch nutzen kann, werden in dieser Spielzeit auch andere Orte bespielt. Wir gehen auf eine musikalische wie architektonische Reise mit der Oper.

Homepage der Oper Köln

Franziska Gottwald (Sesto), Adriana Bastidas Gamboa (Annio) und Adina Aaron (Vitellia)umspielen das Treppenpodest.

oper titus 1918

Rainer Trost als Tito auf dem breiten Treppengeländer.

oper titus 743

Franziska Gottwald (Sesto) und Adina Aaron (Vitellia) auf der Treppe.

oper titus 549

Nur selten verlassen die Darsteller die Treppe, hier Franziska Gottwald als Sesto.

oper titus 1833

Der Brand im Kapitol wird mit einem orangefarben beleuchteten Flur angedeutet.

oper titus 0594

Auch nach dem Brand sammelt sich das Volk auf der Treppe.