Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Verfall in der Oper

Eine neue Spielzeit hat begonnen – und die Oper nutzt immer noch ihr eigenes Haus. Zeit, eine Aufführung im Hauptwerk des Kölner Architekten Wilhelm Riphahn zu besuchen: Sergej Pro…

Schon die hohen, tief eingeschnittenen Fensterbahnen, die die Kunststeinfassade zum Offenbachplatz hin strukturieren, wirken wie ein Bühnenbild. Die Eingangspavillons mit den Austritten darauf, greifen in den Außenraum, saugen die Zuschauer förmlich auf. Das Kölner Opernhaus, 1954 bis 1957 von Wilhelm Riphahn errichtet, spaltet noch heute die Gemüter: Hässlich, wie ein Hotel auf Mallorca, sagen die einen, wegweisend, betonen die anderen. Unbestritten ist es das Hauptwerk Wilhelm Riphahns, der hier seine persönlichen ästhetischen Vorlieben umsetzen konnte: Deutlich ragen der Bühnenturm und die flankierenden, 35 Meter hohen Pylone über die niedrigen Begleitbauten hinaus. Die Baukörper sind nach Form, Material und Farbe differenziert und nach Funktionen organisiert.

Schnörkellose Raumwirkung

Auch das Innere ist schlicht. Kahl und kalt nennen es die Kritiker. Im Erdgeschoss empfängt den Besucher ein helles Foyer, das über flache Treppenabgänge zur Garderobe leitet. Über die seitlichen Treppen gelangt man in die oberen Foyers, die – seit endlich das Yakult-Zelt der Kinderoper wieder daraus verschwunden ist – über mehrere Etagen eine aufregende und großzügige Raumwirkung bieten. Ganz opernuntypisch gibt es kein Dekor, der Zuschauer muss sich mit grauem Teppich, weißen Wänden und dezenten Leuchtern begnügen. Die markanteste Besonderheit des Zuschauerraumes mit über 1.300 Plätzen ist sicherlich, dass es keine umlaufenden Ränge gibt, sondern lediglich Balkone, die in den Zuschauerraum ragen – sie bieten allesamt einen frontalen Blick auf die Bühne. Zur Eröffnung 1957 wurde vereinzelt die Akustik des Opernhauses kritisiert, der Klang sei zu hart, war zu hören. Wer die Ersatzspielstätten besucht hat, wundert sich über diese Kritik. Im direkten Vergleich mit der Uni-Aula oder dem Palladium klingt die Oper dann doch eher dumpf und zurückhaltend.

Verfall als Chance

Nun aber ist das gesamte Haus baufällig, längst sollte hier saniert werden, deshalb zieht die Oper schon seit der vergangenen Spielzeit durch verschiedene Ersatzspielstätten. Der Streit um das Schauspielhaus hat auch die Arbeiten an der Oper verzögert – so kann das Gebäude noch genutzt werden. Wenngleich: Mit Sondergenehmigung für jede Aufführung, denn auch der bühnentechnische Zustand ist bedenklich. So muss – anders als sonst üblich – immer eine Oper am Stück durchgespielt werden, nicht jeden Abend ein anderes Werk. Für Sergej Prokofjews „Krieg und Frieden“ ein Glücksfall – kommt diese Oper doch in ganz großer Besetzung daher. Denn: Werden keine anderen Stücke gespielt, müssen auch keine Kulissen für den nächsten Abend gelagert werden. So kann Regisseur Nicolas Brieger die Bühne in ihrer gesamten Tiefe und Breite bespielen – und eindrucksvoll demonstrieren, was an keiner Ersatzspielstätte möglich ist.

Ebenen in Bewegung

Lew Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ über die gesellschaftlichen Verhältnisse Russlands während der Napoleonischen Kriege bildet die Vorlage für die Oper. Die verschiedenen Handlungsebenen aus dem Roman stellt Regisseur Brieger in den Vordergrund und nimmt dies im Bühnenbild auf. Bühnenbildner Raimund Bauer hat riesige Hausfassaden mit großen Durchgängen gebaut, die von der Seite auf die Bühne geschoben werden – mal weiter vorne, mal weiter hinten. So trifft sich das Liebespaar Natascha und Andrej ganz vorne auf der Bühne, während sich direkt dahinter Familie und Freunde aufhalten und im Hintergrund der Ball stattfindet. In einem schnellen Takt werden die Kulissen im ersten Akt gewechselt, sind in permanenter Bewegung, wie das Leben der Protagonisten. Dabei unterstreichen die Wechsel durchaus den Rhythmus der Musik – stören sie allerdings auch manches Mal, weil die Kulissen in ihren Schienen nicht gerade leise laufen. Schade, denn die Leistung des Orchesters und aller Solisten an diesem Abend ist herausragend.

Liebe und Krieg

Eigentlich ist die Handlung der Oper stark getrennt: Die ersten sieben Bilder erzählen die unglückliche Liebesgeschichte zwischen Fürst Andrej und der jungen Natascha, die nächsten sechs Bilder vom Krieg. Bei Brieger aber droht der Verfall von Anfang an: Ein leinwandgroßes Foto in der Bühnenmitte zeigt einen zerstörten Saal, die Gesellschaft tanzt den Walzer auf matschiger Erde zwischen schon heruntergekommenen Kulissen und der gesittete Ball wird zur verruchten Veranstaltung einer dekadenten Machtelite. Briegers Schwerpunkt aber liegt klar auf der Liebesgeschichte, beherzt hat er Kriegsszenen gekürzt und erzählt einem Kammerspiel gleich von der Liebe – kräftig unterstützt vom intensiven Spiel seiner Darsteller.

Bild- und klanggewaltig

Im zweiten Teil dann setzt die bild- und klanggewaltige Kriegshandlung mit dem Lichtschein der Kanonenfeuer und Gewehrschüssen ein. Und auch hier werden die Möglichkeiten des Opernhauses genutzt: Wenn die Bewohner Moskaus den Kulissen gleich aufmarschieren, wenn der Chor seitlich im Zuschauerraum singt, oder wenn die Kulissen – die Stadt Moskau – in Brand gesteckt werden. Das alles ist sehr realistisch und nur manchmal zu plakativ – ob es ausgerechnet schwarze Wesen sein müssen, die den sterbenden Andrej hinausgeleiten müssen? Und wir hoffen doch sehr, dass es keine Krähe war, die vom Himmel fiel, als von Krähen gesungen wurde. Am Ende ist die Bühne das Bild des verfallenen Saals. Brieger entlässt den Zuschauer nachdenklich, der Schluss bleibt offen – kein Feldmarschall Kutusow, der dem jubelnden Volk den Sieg verkündet. Beim Schlussapplaus dann wird noch einmal deutlich warum – bei aller Begeisterung für die Ersatzspielstätten – manchmal eben doch ein „richtiges“ Opernhaus notwendig ist: Die 27 Solisten finden kaum nebeneinander Platz auf der Bühne.

Vera Lisakowski

„Krieg und Frieden“ ist noch bis zum 8. Oktober in der Kölner Oper zu sehen.

Sonntags im Staatenhaus

Die Oper nutzt das Staatenhaus am Rheinpark für die szenische Uraufführung des „Sonntag aus Licht“, von Karlheinz Stockhausen.

Geister in der Kirche

Die Oper Köln gibt Benjamin Brittens beklemmende Kammeroper „The Turn of the Screw“ in der Trinitatiskirche.

Schlagerfestival im „Weisheitstempel“

Die Oper zieht in ihre nächste Ausweichspielstätte und zeigt Mozarts „Zauberflöte“ in der Aula der Universität.

Reise in die Türkei

Mit Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ eröffnet die Oper ihr Ausweichquartier in Mülheim, das Palladium.

Krönung in der Kantine

Obwohl die Oper ihr eigenes Haus wider Erwarten noch nutzen kann, werden in dieser Spielzeit auch andere Orte bespielt. Wir gehen auf eine musikalische wie architektonische Reise mit der Oper.

Weitere Informationen der Bühnen Köln

opernhaus foyer 1

Das obere Foyer des Opernhauses.

krieg frieden 1

Fürst Andrej Bolkonski (Johannes Martin Kränzle) und Natascha Rostowa (Olesya Golovneva) tanzen beim Ball.

krieg frieden 7

Besonders Olesya Golovneva als Natascha besticht durch intensives Spiel und herausragende gesangliche Leistung.

krieg frieden 3

Auch die Kriegsszenen des zweiten Teils spielen auf der gesamten Bühnenbreite und -tiefe.

krieg frieden 2

Kanonenschüsse werden bei Nicolas Brieger mit Lichtschein im Bühnenhintergrund angedeutet.