Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„Einfach gut wohnen“

Das Projekt KALKschmiede soll im Kalker Norden vorhandenen Kräfte bündeln, Ideen entwickeln und dem Stadtteil eine Zukunftsperspektive geben.

Der Norden des Kölner Stadtteils Kalk steht vor verschiedenen Problemen. Dazu gehören die vielen heruntergekommenen Wohngebäude, deren Ausstattung zu einem großen Teil nicht dem entspricht, was Mieter heute erwarten. Es fehlen aber auch brauchbare öffentliche Grünräume, eine funktionierende lokale Ökonomie sowie Kultureinrichtungen. Auf der anderen Seite engagieren sich viele Bewohner für ihr Veedel, allerdings werkeln die einzelnen Gruppen oftmals alleine vor sich hin. Mit dem Projekt KALKschmiede, das im September 2009 gestartet ist, sollen die vorhandenen Kräfte nun gebündelt, neue Ideen entwickelt und dem Stadtteil eine Zukunftsperspektive gegeben werden – alles gemeinsam mit den Menschen vor Ort, versteht sich.

Große Industriebetriebe, wie die Klöckner-Humboldt-Deutz AG (KHD) und die Chemische Fabrik Kalk (CFK), sowie die dazugehörenden Arbeiterwohngebiete prägten bis in die 1990er Jahre hinein den Kölner Stadtteil Kalk, der auf der rechtsrheinischen Seite in Richtung Osten an Deutz anschließt. Als die Werke in den folgenden Jahren nach und nach ihre Pforten schlossen, fielen zum einen tausende Arbeitsplätze weg, zum anderen entstanden riesige Brachen, die umgenutzt werden sollten und mussten. Im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ entstanden teilweise in den alten Hallen, teilweise in Neubauten kulturelle Einrichtungen, wie eine Spielstätte der städtischen Bühnen und eine Außenstelle des Museums Ludwig, das Rechtsrheinische Technologie- und Gründerzentrum (RTZ), ein Neubau für das Polizeipräsidium, das Einkaufszentrum KölnArcaden, die AbenteuerhallenKalk und anderes mehr. Vieles davon spielte sich allerdings im Westen und Süden Kalks ab, der Kalker Norden blieb weitgehend außen vor. Zum 1. Januar 2005 rückte zwar auch das im Norden an Kalk anschließende Köln-Mühlheim in den Fokus der „Sozialen Stadt“, die Probleme im Kalker Norden aber blieben bestehen.

„Planen und Gestalten im Dialog“

Glücklicherweise treten Ende 2008 die Montag Stiftung Urbane Räume und die GAG Immobilien AG auf den Plan. Die Stiftung hatte in der Bundesrepublik nach einem geeigneten Stadtteil für ein Projekt im Bereich „Wohnraum Stadt“ gesucht und ist davon überzeugt, dass der Kalker Norden sich dafür bestens eignet. Der GAG gehören in diesem Gebiet knapp 1.100 Wohnungen, die zum Großteil auf Vordermann gebracht werden müssen. Denn sie sind in die Jahre gekommen und die Mieter wechseln in zu kurzen Abständen. Doch dass die Mieten nicht stark steigen dürfen – eine große Fluktuation der heutigen Bewohner wäre vorprogrammiert – und es mit neuen Bädern und schönen Fassaden nicht getan sein wird – wie die Kölnische Rundschau am 4. März 2010 titelte –, war schnell klar. Die Bindungen zwischen den Bewohnern müssen gestärkt, der öffentliche Raum attraktiver gestaltet, kulturelle Einrichtungen angesiedelt und die lokale Ökonomie ausgebaut werden. Zwei Partner, die gut zueinanderpassen, hatten sich gefunden.

Aus 120 Bewerbern wurden von der Montag Stiftung Urbane Räume drei Stipendiatinnen ausgewählt, im Oktober 2009 ging das Projekt KALKschmiede an den Start. Sandra Bernien als Sozialwissenschaftlerin, Isabel Finkenberger als Stadtplanerin und Architektin sowie Susanne Stübben, ebenfalls Architektin, arbeiteten sich intensiv in die Geschichte des Ortes ein, analysierten, überlegten, wie sich Kalk Nord entwickeln könnte, sprachen mit Bewohnern und Verantwortlichen aus Stadt und Wirtschaft – getreu dem Motto der Stiftung: „Planen und Gestalten im Dialog“. Denn die Probleme sollen aufgedeckt, das Potenzial des Kalker Nordens genutzt und Pläne für eine bessere Zukunft geschmiedet werden.

Und es sollen im Rest der Republik Projekte gefunden und dokumentiert werden, „von denen Kalk und Kalk Nord lernen können.“ Für die Menschen sichtbar wurde die KALKschmiede am 14. Januar 2010. Die GAG hatte sich entschlossen, den drei Frauen ein kleines Ladenlokal in der Buchforststraße 113 zu überlassen, das an diesem Tag eröffnet worden ist. Die Bewohner des Kalker Nordens staunten während der „Aktionsschmieden“ nicht schlecht, als sie die verwandelten, sonst so trostlosen Orte ihrer nächsten Umgebung sahen.

Analysen, Hypothesen und Projekte

Seitdem ist nun über ein Jahr vergangen. Und was ist geschehen? Bernien, Finkenberger und Stübben haben ihre Analysen vertieft, die Hypothesen verfeinert und erste Projekte zusammengetragen, die als Vorbilder für den Kalker Norden fungieren könnten. Das ist zum einen eine Kooperationsgemeinschaft zwischen drei Wohnungsunternehmen, einer Genossenschaft und der Stadt Dortmund, die seit 2004 in Scharnhorst Ost unter dem Motto „Leben in Scharnhorst ist bunt!“ aktiv ist. Zum anderen will man nach Gelsenkirchen-Schalke schauen, wo für die Jahre 2008 bis 2017 eine strategische Partnerschaft der Wohnungswirtschaft im Rahmen eines Stadtumbauprozesses geschlossen worden ist. Die Ölberg eG in Wuppertal, die 2009 ihre Arbeit aufgenommen hat, könnte das dritte Vorbild werden. Denn in einem wichtigen Punkt stimmen die Ziele dieser Genossenschaft mit denen der GAG und der KALKschmiede überein: Auch in Zukunft soll preiswerter Wohnraum angeboten werden können, „ohne dabei die ökologischen und energetischen Anforderungen unserer Zeit zu vernachlässigen.“ (Mehr Informationen zu diesen Projekten finden Sie bald auf der neu gestalteten Webseite der KALKschmiede.)

„Entdecke dein Kalk“

Zurück nach Köln: Bei drei Veranstaltungen, „Aktionsschmieden“ genannt, unter dem Motto „Entdecke dein Kalk“, machten im vergangenen Sommer die Teilnehmer erstaunliche, oftmals völlig neue Erfahrungen. Sie erlebten, dass es keiner großen Mittel bedarf, um einen schmuddeligen, als lieblos empfundenen Ort zu einem zu machen, an dem man sich gerne aufhält und wo man Nachbarn, Bekannte und Freunde trifft. Am ersten Nachmittag wurde mit Hilfe leerer Getränkekisten – das Lesezeichen Salbke lässt grüßen – ein alter Spielplatz in eine Kickerlandschaft verwandelt, um anschließend ein Kickerturnier abzuhalten. (Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete.) Vier Wochen später war eine Spielstraße für wenige Stunden wirklich das, was der Name vermuten lässt: Ein Ort, an dem sich die jungen Bewohner austoben, ihre sozialen Kontakte pflegen und einfach nur Kind sein können. Es wurde Theater und Beachvolleyball gespielt, leere Getränkekisten luden zum Klettern und Türme bauen ein. (Dazu ein Artikel im Kölner Wochenspiegel) Das ebenfalls in der Lilienthalstraße geplante Open-Air-Kino wurde als dritte und bislang letzte Aktionsschmiede leider zu einer Indoor-Veranstaltung. Dauerregen hatte den drei Stipendiatinnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach diesem vielversprechenden Anfang muss es im neuen Jahr nun mit solchen Aktionen weitergehen. Kontinuität ist wichtig, um die Menschen weiterhin zum Mitmachen zu bewegen.

Zumindest bei den Mitarbeitern der KALKschmiede wurde diese zum Jahreswechsel leider unterbrochen – was allerdings so geplant war. Denn die Stipendien von Bernien und Finkenberger sind ausgelaufen, waren von Beginn an lediglich auf die Analysephase begrenzt. Stattdessen arbeiten nun Charlotte Selter, Architektin und Stadtplanerin, sowie Enes Biyik als Raumplaner im Team. Bleibt zu hoffen, dass sich die neuen Stipendiaten schnell einarbeiten und das Projekt gut voranbringen werden. Positiv, besonders für die männlichen Kinder und Jugendlichen des Kalker Nordens, dürfte sein, dass nun auch ein Mann mit im Boot sitzt.

Kräfte bündeln – Eigenverantwortung stärken

Wie wird es nun weitergehen? Für das laufende Jahr sind drei Projekte geplant, die nach langem Vorarbeiten in die Tat umgesetzt werden sollen. Bereits begonnen wurde mit einer „Open Street Map“, einer Landkarte also, die im Internet für alle zugänglich ist und darstellt, wo im Kalker Norden was angesiedelt ist, wie Restaurants und Schulen. Ferner sind die großen Eigentümer des Wohnungsbestands eingetragen (GAG Immobilien AG, Deutsche Annington, GWG zu Köln und Haus- und Grundbesitzerverein Köln). Und zu guter Letzt lässt sich auf dieser Karte auch ablesen, wo in naher Zukunft investiert werden soll.

„KALK tauscht“

Die Bewohner von Kalk erfahren dadurch, was in ihrem Umfeld passiert. So wird es leichter, auf die Entwicklungen im Stadtteil Einfluss zu nehmen, weil man nicht von den Veränderungen überrumpelt wird.

Der direkte Kontakt zwischen den Menschen soll durch das Programm „KALK tauscht“ gefördert werden. Idee ist es, Dienstleistungen, Erfahrungen, Informationen und Gegenstände in, über und aus Kalk zu tauschen und dadurch die Nachbarschaft zu stärken, Identität zu stiften. Denn wer weiß schon genau, welche Fähigkeiten sein Nachbar hat und wo er ihm mit seinen Talenten helfen könnte? Ein Straßenfest, ein Tauschring oder auch eine Litfaßsäule könnten nach Meinung der Stipendiatinnen die dafür geeignete Form sein.

Beim dritten Projekt, dem Wohndialog Kalk Nord, dreht sich alles um die Wohngebäude, deren Bewohner und das Zusammenleben. Glücklicherweise haben sich die vorhin erwähnten, großen Eigentümer bereits an einen Tisch gesetzt, um gemeinsam einen Weg zu finden, wie die Wohnungen saniert oder gegebenenfalls auch neu gebaut werden können, ohne dass aufgrund dadurch steigender Mieten ein Großteil der Menschen umziehen müsste. Darüber hinaus waren die kleinen Flecken Grün, die zwischen den Häusern übrig geblieben sind, ein Thema. Denn sie sollen den Bewohnern künftig zur Erholung dienen. Ebenso wichtig ist allerdings auch die Kommunikation zwischen Mieter und Vermieter, die ausgebaut und verbessert werden soll. Ein zweites Treffen ist für März geplant.

Bis zum Frühjahr 2012, dem offiziellen Ende der KALKschmiede, haben die Stipendiaten also noch einiges vor. Vor allem sollen die Bewohner bis dahin soweit sein, dass sie die Fürsorge von Stadt und Staat nicht mehr benötigen, sondern in Eigenverantwortung dafür sorgen können, dass sich ihr Stadtteil – und zwar das gesamte Köln-Kalk – weiter positiv entwickelt. Oder mit den Worten des Stifters Carl Richard Montag gesprochen: „Das Projekt soll Prozesse verstärken, bei denen Menschen selbst für ihren Stadtteil handeln.“ Wir werden dann noch einmal genau hinschauen, was Wunsch geblieben und was Wirklichkeit geworden ist.

Der Text erschien zuerst im eMagazin

german-architects.com

Simone Hübener

Die Autorin ist freie Fachjournalistin im Bereich Architektur und Bauen, freie Mitarbeiterin bei frei04 publizistik und Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins architekturbild e.v.

Zur Internetseite der KALKschmiede

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Ein Spielplatz, auf dem sich Kinder wohlfühlen und austoben können, sieht anders aus. (Bild: KALKschmiede)

Die drei Stipendiatinnen der KALKschmiede entwickelten für den Kalker Norden drei ‚Hypothesen‘. Die zweite geht davon aus, dass sich die Entwicklung im Kalker Norden noch stärker von der im Westen und Süden abkoppeln wird. (Grafik: KALKschmiede)

Die Bewohner des Kalker Nordens staunten während der ‚Aktionsschmieden‘ nicht schlecht, als sie die verwandelten, sonst so trostlosen Orte ihrer nächsten Umgebung sahen. (

Grafik: KALKschmiede)

Aktivitäten bündeln: Jung und Alt können und sollen sich gemeinsam um ihren Stadtteil kümmern. (Bild: KALKschmiede)