Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Reise in die Türkei

Mit Mozarts ‚Die Entführung aus dem Serail‘ eröffnet die Oper ihr Ausweichquartier in Mülheim, das Palladium.

Die Winterreise in die Türkei beginnt, historisch nahezu korrekt, am Wiener Platz. Etwas versteckt fährt dort die Buslinie 190 ab, die nun – um drei Haltestellen erweitert – in „Opernbus“ umbenannt wurde. Erstaunlich viele Opernbesucher fahren dann auch mit diesem Bus in das etwas abgelegene Ausweichquartier in der Schanzenstraße, vorbei an einem Brauereigelände. Dann immer weiter in das Industriegebiet hinein, das sich jetzt gerne „Kreativquartier“ nennt. Harald Schmidt und Stefan Raab produzieren hier, im E-Werk gibt Brings gerade die „Weihnachtsshow“. Und ins Palladium direkt gegenüber ist die Oper eingezogen um das Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart aufzuführen.

Rauer Charme

Die ehemalige Fabrikhalle ist das Hauptausweichquartier der Oper in dieser Spielzeit. Die gründerzeitliche Ziegelarchitektur macht den rauen Charme der 1899 errichteten Halle aus, die früher zum riesigen Gelände des Kabelwerkes Felten & Guillaume und seiner zahlreichen Nachfolge- und Tochtergesellschaften gehörte. Seit 1998 wird das Gebäude – wie das E-Werk – für Partys, Events und Konzerte genutzt und ist nach der Lanxess-Arena die zweitgrößte Veranstaltungshalle in Köln.

Während bei Rockkonzerten hier bis zu 4.000 Personen Platz finden, beschränkt sich die Oper auf rund 800. Eine steil ansteigende Zuschauertribüne füllt fast den ganzen Saal, bis zu der in über fünf Meter Höhe umlaufenden Galerie, auf der wegen der großen Nachfrage zusätzlich bestuhlt wurde. Abgegrenzt wird der Zuschauerraum von mächtigen Stahlständern und den Trägern der Galerie. Elemente, die Bühnenbildner Matthias Schaller aufnimmt: Eine Ständerkonstruktion mit drei elektrischen Rolltoren schließt die Bühne statt eines Vorhangs zum Zuschauerraum ab. Ein Rolltor findet sich auch im Bühnenhintergrund – dieses allerdings gehört zur Halle: In der Schlussszene wird es kurz geöffnet und gibt den Blick auf den Hinterhof frei. In welchem Bezug das zur Handlung steht, bleibt zwar verborgen, trotzdem ein überraschender Effekt.

Klare Akustik

Dass man dieses Rolltor überhaupt sehen kann, liegt an der insgesamt sparsamen Bühnenausstattung, die sich auf wenige zerstörte Betonplatten und eine Matratze beschränkt. Oberhalb der Ständerkonstruktion ist die Bühne offen und reicht wie der Zuschauerraum bis unter die Decke in etwa zwölf Metern Höhe. Der Bühnenraum ist mit Akustikplatten ausgekleidet, auch unter der Decke finden sich – erstaunlich wenige – Schallschutzelemente. Die ansteigende Zuschauertribüne trägt ebenso ihren Teil dazu bei, dass die 60 Meter lange Halle eine so klare Akustik hat. Das Orchester unter der Leitung von Konrad Junghänel ist besonders präsent, weil es, mangels Orchestergraben, ebenerdig sitzt. Es ist lediglich umgeben von einer breiten Brüstung, die bespielt wird, und Regisseur Uwe Erik Laufenberg dazu angeregt hat, die Sänger ab und zu im Publikum spielen zu lassen

Den Klang des Raumes zu nutzen, bleibt den Sängern allerdings größtenteils versagt. Die Sopranistin Anna Palimina, für die erkrankte Olesya Golovneva als Konstanze eingesprungen, zeigt besonders in den Höhen deutliche Schwächen, Tenor Brad Cooper als Belmonte hat am Anfang hörbare Probleme. Csilla Csövári spielt statt Anna Palimina die Blonde und kann in einigen Momenten mit ihrem lyrischen Sopran bestechen, bleibt aber insgesamt blass. Leider laufen auch Tenor John Heuzenroeder als Pedrillo und der bewährte Bassist Wolf Matthias Friedrich als Osmin an diesem Abend nicht zu Höchstform auf.

„Türkische“ Musik im „türkischen“ Stadtteil

Doch was macht Uwe Erik Laufenberg als Regisseur aus dem Stück, mit dem er als Intendant sicher nicht ganz zufällig die Spielstätte in Mülheim, dem anerkannt türkischsten aller Kölner Stadtteile, eröffnet? Geht es doch um den Türken Bassa Selim, der die junge Spanierin Konstanze, deren Dienerin Blonde und ihren Verlobten Pedrillo auf einem Sklavenmarkt gekauft hatte und sie nun ihn seinem Serail gefangen hält. Konstanzes Verlobter Belmonte erschleicht sich als Baumeister das Vertrauen des Bassa und versucht so, die drei zu befreien. Verhindert wird das von Bassa Selims grobem Diener Osmin. Als sich schließlich herausstellt, dass Bassa Selim einst von Belmontes Vater aus seiner Heimat vertrieben wurde, scheint das Schicksal der Gefangenen besiegelt. Doch statt sie zu töten, entlässt der Bassa sie gnädig in die Freiheit.

Laufenberg verlegt die Handlung nach Kurdistan. Die Sprechrolle des Bassa Selim besetzt er mit dem kurdischen Schauspieler Ihsan Othmann und lässt ihn konsequent Kurdisch sprechen, die Verständigungsprobleme können nur durch Osmins Übersetzung gelöst werden. Der ursprünglichen Handlung folgend eine etwas unlogische, aber dennoch hübsche Idee – und eine Politisierung des Singspiels. Allerdings belastet das auch andere Elemente der Aufführung mit großer Bedeutung, die sie bei Mozart so nicht hatten. Als er die Oper 1782 in Wien uraufführte war die zweite Belagerung der Stadt durch die Türken knapp 100 Jahre her und die Faszination des Orients ungebrochen – „türkische“ Musik wurde als dekoratives Element eingesetzt, Klischees bedient. Klischees bedient Laufenberg auch, nur sind es die heutigen: Vollverschleierte Frauen in Schwarz bilden den Harem des Bassa; in den peinlichsten Momenten tanzen die Frauen in bunten, eher karnevalistischen Bauchtanzkostümen. Osmin ist zu dumm das gerade gelieferte Maschinengewehr zusammenzubauen, da muss erst der Westler Pedrillo kommen und ihm zeigen, wie es geht. Und der Bassa tritt auf, folgend dem Klischee „türkischer Clanchef“, am besten von der Keupstraße. Das alles sorgt für große Lacher im Publikum, bleibt aber banal und hinterlässt einen unguten Beigeschmack. Die Chance, neue Besuchergruppen anzulocken, die die Oper im Ausweichquartier schon aufgrund der Nähe bietet, wird so verspielt.

Vera Lisakowski

Informationen der Oper Köln zum Stück

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Die noch leere ehemalige Fabrikhalle des Palladium.

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Mächtige Stützen grenzen den Zuschauerraum ab.

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Am Schluss gibt das hintere Rolltor den Blick nach draußen frei.

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John Heuzenroeder als Pedrillo und Anna Palimina als Blonde schaffen sich zwischen den Betonbruchstücken ihre westliche Ferienidylle.

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Belmonte (Brad Cooper, links) präsentiert mit Pedrillos (John Heuzenroeder, mitte) Hilfe Bassa Selim (Ihsan Othmann, rechts) seine Baupläne.

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Olesya Golovneva als Konstanze mit den schwarz gekleideten Haremsdamen vor einem der Rolltore.