Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Vom Rhein in die Stadt … und wieder zurück

100 Jahre Städtebau am Rhein – eine Ausstellung im Kölner Rheinforum

Den Rhein im Rücken eröffnet sich dem Besucher der Ausstellung „Dynamik und Wandel der Städte am Rhein 1910-2010+“ im Kölner Rheinforum eine Rheinreise durch die Jahrzehnte. Große Rheinpanoramen, Postkartenständer mit Rheinansichten und ein Lichtband als Ausstellungsträger, das den Flusslauf symbolisiert: Der Rhein begleitet und führt die Ausstellung durch den gesamten Raum und liefert Material für Analysen und Ansätze der Stadtentwicklung – mit einem Blick in die Geschichte, aus der wir lernen können und mit einem Blick in die Zukunft, um uns vorzubereiten.

Gemeinsam mit der Regionale 2010 und dem Kolleg-Stadt-NRW der Universitäten Aachen, Dortmund und Wuppertal entwickelte das Museum für Architekten- und Ingenieurkunst (M:AI) die Ausstellung zur Entwicklung der Städte am Rhein. Ein Rheinausschnitt von Bonn bis Duisburg wird zum Betrachtungsraum für die verschiedenen Lebensläufe der Städte: Wichtige Leitbilder, Hintergründe für Planungen und prägende Persönlichkeiten werden vorgestellt. In einer eher kleinen, aber sehr komprimierten Darstellung wurden so 100 Jahre Stadtentwicklung am Rhein geradezu „atomisiert“, wie die Kuratorin Dr. Ursula Kleefisch-Jobst vom M:AI das beeindruckende Ergebnis zusammenfasst.

Eine Zeitreise

Den Ausgangspunkt für die Idee zu dieser Ausstellung bildet eine wichtige Städtebauausstellung von Werner Hegemann (1881-1936) im Jahr 1910. Die Ausstellung von Hegemann wurde zunächst im Mai 1910 in Berlin eröffnet, dann auch noch im gleichen Jahr in Düsseldorf gezeigt und stellte erstmalig zahlreiche Pläne zur Stadtentwicklung für ein breites Publikum zusammen. Nicht zufällig fällt diese Ausstellung in eine Zeit, in der das Wachstum der Städte als Folge der Industrialisierung vollkommen neue Dimensionen annahm. In eine Zeit, in der die Städte mit ganz neuen sozialen und hygienischen Problemen konfrontiert wurden, die nach ganzheitlichen planerischen Lösungen verlangten. Die aktuelle Ausstellung des M:AI setzt nun mit dieser Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein und geht der Frage nach, wie sich unsere Städte seitdem verändert haben. In den drei Kapiteln einer einführenden rhein:reise, der Geschichten aus dem stadt:wandel und dem Wagnis zu einem zukunfts:blick werden diese Veränderungen sichtbar gemacht.

Wer einen Moment bei den Rheinpanoramen und Kartenständern der einführenden rhein:reise bleibt, der sieht neue und alte Stadtansichten vom Rhein gegenüber gestellt. Man muss schon ein wenig suchen zwischen den historischen Postkarten, um die gleichen Blickwinkel, dieselben Orte zu finden und wieder zu erkennen, so sehr haben sich die Ufer entlang des Rheines verändert. Wo einst Natur war, ist heute Stadt, wo Industrie war, kann man heute in einen Park blicken. Häfen wurden zu beliebten Bürostandorten, Hochhäuser verändern die Silhouette. Der Fotograf Lukas Roth hat die heutigen Ansichten auf alle 6 Städte umgesetzt, in einer Rotunde bilden sie ein Band. Auf dem Boden findet sich der Flusslauf als Plan: Hier kann die dramatische Entwicklung des letzten Jahrhundert nachvollzogen werden. Eine zunehmende Besiedlung, die entlang des Rheines geradezu explodiert ist.

Zwölf Geschichten aus der Stadtgeschichte

Wie kann aber ein so großer Zeitraum der Stadtentwicklung in einer Ausstellung umgesetzt werden? Prof. Kunibert Wachten erläutert die vom Kolleg-Stadt-NRW recherchierten wichtigen Knotenpunkte der Stadtentwicklung: Entlang der Zeitachse werden zu jeder Dekade exemplarische Geschichten erzählt. Zwölf lebendige Geschichten aus Bonn, Köln, Leverkusen, Düsseldorf, Neuss oder Duisburg übernehmen eine Stellvertreterfunktion für Entwicklungen, wie sie auch in anderen Städten zur gleichen Zeit zu beobachten sind. Die Ausstellungsarchitekten Jangeld Nerves aus Stuttgart brachten die zahlreichen Fotos, Modelle und Zeichnungen, Pläne und Interviews dieser Geschichten in einen zeitlichen und räumlichen Fluss: entlang eines durchgehenden Lichttisches reihen sich die Geschichten chronologisch aneinander, immer von einer großen Tafel eingeleitet, die das Thema vorstellt.

Dieser Fluss nimmt den ganzen Hauptraum ein, überwindet die Höhenunterschiede und umrundet die Stützen. So fällt es dem Besucher leicht, sich auf die gut beleuchteten, so verschiedenartigen Exponate einzulassen: wegen der Vielzahl von Texten und Themen gibt es mehrere Ebenen, um die Ausstellung zu erleben. Schon die Bilder und Modelle erzählen eine erste Geschichte, aber mit den inhaltlichen Vertiefungen, für die sich einige Plexiglastafeln auf- und umklappen lassen, ein Kopfhörer zur Hand zu nehmen ist oder ein Buch schon für den Betrachter aufgeschlagen wurde, werden diese Geschichten zunehmend erlebbar und damit verständlich.

Auf diese Weise ist vom „Großstadtwerden“ die Rede, hier in Köln mit der Grüngürtelplanung unter Konrad Adenauer, der Stadtkarriere in Leverkusen als Spiegel seiner Industriegeschichte und dem Bayerwerk, der Moderne mit den Siedlungen Wilhelm Riphahns, dem Wiederaufbau, den Brücken als „Königinnen am Rhein“, den Großsiedlungen der sechziger Jahre wie Köln Chorweiler. Es wird der Hauptstadtfrage in Bonn nachgegangen und gefragt, wer eigentlich die Stadtmacher sind und waren. Und mit den aktuellen Themen der Transformation im Rahmen des Strukturwandels, wie er in Duisburg mit dem Innenhafen beeindruckend vollzogen wurde, erkennt der Besucher, dass der Rhein immer wieder eine große Rolle in der Stadtplanung spielt. Das große Kapitel des Stadtwandels schließt deshalb auch mit dem Thema „Städte zum Rhein“ ab, in dem die Entwicklung der Rheinufer und die Nähe zum Wasser in aktuellen Projekten beleuchtet werden. Der Rhein bleibt bei allen Unterschieden dieser Geschichten ein wichtiger Bezugspunkt, der gerade im Moment als großes Potenzial unserer Städte wiederentdeckt wird.

Und wie werden unsere Städte morgen aussehen?

Wer darauf gespannt ist, einen ersten Blick in die Zukunftsplanungen seiner Heimatstadt zu erhaschen, der wird enttäuscht werden: hier verlässt die Ausstellung den konkreten Rahmen. Die Fragen der Zukunft werden stattdessen für die Stadt als Lebensform gestellt: in unseren Städten lebt ein immer größer werdender Anteil der Bevölkerung. Was aber bedeutet dieser erneute Zuwachs? Ähnlich einer neuen Dimension von Stadtentwicklung vor 100 Jahren sehen sich die Städteplaner heute mit neuen Problemen konfrontiert: dem Wachstum auf der einen Seite steht die gleichzeitige Schrumpfung unserer Städte gegenüber, soziale und demografische Entwicklungen führen zu neuen Konzepten für das Stadtleben, der Klimawandel erfordert dringend ein radikales Umdenken im Bezug auf unseren CO² Verbrauch und das Schonen von Ressourcen.

Anhand von 4 ausgewählten Leitfragen wird die Zukunft der Stadt diskutiert: Sind unsere Städte Klimakiller oder Hoffnungsträger? Welche Potenziale hat die Stadt, um Energie zu sparen, regenerative Energien zu nutzen? Liegt die Zukunft in einer Stadt der kurzen Wege? Könnten Straßen zu Parks werden und Brachen für den Nahrungsmittelanbau genutzt werden? An einem großen Arbeitstisch können die Besucher ihren eigenen Energieverbrauch an einem Computer testen lassen, ihre Kenntnisse zum Energiesparen überprüfen oder den Experten lauschen, die in kurzen Filmen ihren Blick auf die Zukunft erläutern. Eine arbeitsame Aufgabe also, die Stadt der Zukunft. Und das nicht nur für die Planer, sondern natürlich für alle Stadtbewohner.

Und wieder vor die Tür tretend, sieht man als Besucher den Rhein, vielleicht mit einem neuen Blick auf die Ufer, die Stadt, ihre Geschichte und ihre Zukunft? Eine Vielzahl an spannenden Anregungen nimmt man auf alle Fälle mit!

Ragnhild Klußmann

Die Ausstellung „Dynamik und Wandel der Städte am Rhein 1910-2010+“ ist bis zum 02.03.2011 zu sehen: Rheinforum, Konrad-Adenauer-Ufer 3, 50668 Köln

Öffnungszeiten: di-so 11-18 Uhr, 24./25.31.12. und 01.01. geschlossen

Führungen: 14.11.10 (11 Uhr), 01.12.10 (17 Uhr), 16.1.11 (11 Uhr) und 10.02.11 (17 Uhr)

Eintritt: 5€, ermäßigt 3€

Das umfangreiche Begleitprogramm zur Ausstellung bietet zahlreiche Führungen und ein Kinder- und Jugendprogramm mit Workshops rund um das Thema Stadt vom „JAS-Jugend Architektur Stadt“ an. Weitere Informationen

Ergänzend zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen, welche die Inhalte und Themenbereiche der Ausstellung diskutiert und vertieft: M:AI- Museum für Architektur- und Ingenieurkunst NRW (Hg.): Dynamik und Wandel der Städte am Rhein 1910-2010+, Jovis Verlag 2010, ISBN 978-3-86859-096-9, 38 €, circa 256 Seiten. Es ist für 32,00€ in der Ausstellung erhältlich.

koelnarchitektur bietet Führungen zum Thema Rhein an, die nächste findet am 5.12.2010 satt.

Die Einleitung zur Ausstellung: eine Rheinreise in Bildern

(Foto: M:AI Claudia Dreyße)

Gleichzeitig Lichtband und Exponatträger: Das Flussband für den Stadtwandel (Foto: Ragnhild Klußmann)

Auf dem Lichttisch: für weitere Informationen lassen sich die Plexiplatten auf und umklappen (Foto: M:AI Claudia Dreyße)

Das Bayerwerk in Leverkusen (Foto: Christian Westphalen)

Neue Projekte im Neusser Hafen (Foto: Christian Westphalen)

Blick in den Düsseldorfer Innenhafen (Foto: Christian Westphalen)

Duisburg: Der Innenhafen mit dem Museum Küppersmühle (Foto: Christian Westphalen)

Der Kölner Rheinauhafen (Foto: Christian Westphalen)

Der Blick in die Zukunft am Arbeitstisch

Foto: M:AI Claudia Dreyße