Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Ein Anfang

Zum Abschluss der Reihe ‚Neue Veedel – Quartiere aus der Retorte‘ im Rahmen der deutschlandweiten Kampagne ‚wieweiterwohnen‘

Im Jahr 1927 gestaltete der Stuttgarter Grafiker und Maler Willi Baumeister ein heute legendäres Ausstellungsplakat. Zu sehen war das Bild eines Wohnraums, eingerichtet in ornamentierter Überladenheit der wilhelminischen Zeit. Dieses Bild war nun brüsk mit roter Farbe durchgestrichen und wie eine handschriftliche Notiz mit der Frage versehen „wie wohnen?“. Darunter stand in Versalien schlicht und ergreifend „DIE WOHNUNG“. Die Antwort auf die Frage gab die Ausstellung, die mit diesem Plakat angekündigt wurde: Die Werkbundausstellung am Stuttgarter Weißenhof von Juli bis September des Jahres 1927.

Die „Bundes Stiftung Baukultur“ hat achtzig Jahre nach der heute als Inkunabel des Neuen Bauens gefeierten, damals jedoch mit reichlich Anfeindungen versehenen Werkbundausstellung die Fragestellung neu aufgeworfen und um das Wort weiter ergänzt: „wieweiterwohnen“ heißt es 2007. Der Kölner BDA und das hiesige Haus der Architektur haben sich dieser Fragestellung angenommen und die Vortragsreihe „Neue Veedel – Quartiere aus der Retorte“ initiiert. Dabei ist der Zusatz sowohl als These, wie auch als Frage lesbar. Sind also neue Viertel planbar? Oder haben diese neuen Stadtquartiere mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie die in der Retorte gezeugten Hauptpersonen in Andrew Niccols Film „Gattaca“: Ihnen fehlt schlicht die Seele.

Gesellschaft im Wandel

Die Veränderungen in unserer Gesellschaft sind hinlänglich bekannt und finden zunehmend Raum in der öffentlichen Diskussion. Von der Überalterung über die Scheidungs- und Geburtenraten bis hin zu neuen Lebensgemeinschaften und Wohnformen wird die Debatte geführt und Demografen haben bei all dem eine „Renaissance der Städte“ erkannt. Die Stadtflucht gen Eigenheim im Grünen vor den Toren der Städte ist zwar noch nicht gestoppt, inzwischen aber rückläufig. Die Stadt als Lebensraum, also als Raum in dem sich Wohnen und Arbeiten verquicken, gewinnt wieder an Bedeutung. Die Architekten stürzen sich begierig auf Begrifflichkeiten wie eben jene „Renaissance der Städte“, proklamieren die „Nachverdichtung“, sprechen von „Umnutzung“ und „Revitalisierung“.

So scheint sich alles zum Guten zu wenden. Die Gesellschaft scheint ein neues städtisches Bürgertum pflegen zu wollen und hat so der siechenden Architektenschaft ein Betätigungsfeld (wieder-)erschlossen, das in jeglicher Hinsicht interessant ist: Im urbanen Bestand planen und bauen, im Hinblick auf eine Mischnutzung aus Wohnen und Arbeiten.

Fünf Abende, fünf Diskussionen

Die fünfteilige Reihe im ehemaligen Bürogebäude von Joachim und Margot Schürmann, das dem Haus der Architektur noch als Refugium dient, wollte sich all dem annehmen. In der einleitenden Veranstaltung wurde auf all die erwähnten Punkte des demographischen Wandels aufmerksam gemacht, das Zukunftspotential für die Branche aber auch die soziale Verantwortung der Planer betont. An den folgenden Abenden wurden je zwei Projekte in unterschiedlichen städtischen Lagen gegenübergestellt. Mit den Clouth-Werken in Nippes und dem Sidol-Gelände in Braunsfeld zwei ehemalige Industrieareale, die nun umgenutzt werden, Projekte am Stadtrand in Ostheim und Widdersdorf-Süd sowie innerstädtische Nachverdichtungen in den Höfen der gründerzeitlichen Blockstruktur der Stübben´schen Neustadt. Doch was bleibt von den Veranstaltungen? Die vorgestellten Projekte waren allesamt interessant, wenn auch streitbar. Doch erst diese Diskutierbarkeit macht ja eine Planung für die oben genannte Fragestellung relevant.

Diskussion, ja – Positionierung, nein

Festzuhalten bleibt, dass es der Veranstaltungsreihe an Wohnprojekten für den Otto-Normal-Stadtmenschen mangelte. Allein das vom Kölner Büro ASTOC vorgestellte Revitalisierungsprojekt in Ostheim bedient das Segment der herkömmlichen Mietwohnungen, die sich jedermann leisten kann. Speziell dieser Planung kann man nun jedoch vorwerfen, auf die neuen Anforderungen an Zuschnitt und Ausformung des Grundrisses nicht ausreichend eingegangen zu sein. Schwerer wiegt jedoch die Kritik an den übrigen Arbeiten. Stets wurde hier festgehalten, dass sich die Planung an eine potente Käuferschicht wendet, die Wohnungen auf einem „hochpreisigen Niveau“ angesiedelt seien. So konnte man als Beobachter den Eindruck bekommen, die planenden Architekten fügten sich recht passiv in ihr Schicksal, für finanzstarke Investoren Bauten zu realisieren, die nur einer sehr begrenzten Käuferschicht offen stehen – getreu einem „So ist der Markt nun einmal, also bedienen wir ihn auch so.“

Die soziale Verantwortung der Planer gegenüber der Gesellschaft in Hinblick auf die Fragestellung „wieweiterwohnen“ konnten die Diskussionen so nicht klären. Doch, so möchte man meinen, ist es ein richtiger und wichtiger Schritt, dass überhaupt auf diesem Niveau diskutiert wird. Das Kölner Haus der Architektur und der lokale BDA haben so einen Beitrag geleistet zur aktuellen Debatte. Eine klare Position zu beziehen in eben dieser Diskussion, das ist jedoch nicht gelungen.

David Kasparek

Ort der Diskussion: Das Haus der Architektur Köln

Wie weiter wohnen?

Umnutzungen, Standrandplanungen und Nachverdichtungen: Dem Kölner Haus der Architektur gelingen interessante Vorträge mit aktuellen Diskussionen

sidol

Umnutzung:

Planung aus dem Büro Schilling für das Sidol-Gelände in Braunsfeld

widdersdorf

Am Rand der Stadt:

In Widdersdorf entsteht ein ganzes Veedel neu. Wird es je die Qualitäten eines gewachsenen Quartiers haben?

astoc

Revitalisierung:

In Ostheim interpretiert ASTOC alte Strukturen neu. Aktuelle Architekturen werten hier ein bestehendes Veedel auf.

nachverdichtung

In der Neustadt verdichten Luczak Architekten eine klassische Blockrandbebauung sensibel nach.

1 Kommentar

leider wird wie immer nicht über sozialräume gesprochen. ostheim hätte nicht nur ein paar schicke winkelchen nötig, wo findet begegnung und unterstützung in einem hoch belasteten quartier statt?