Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„Wir bauen keine Highlights, wir denken in Lebensräumen“

Interview: Architektur im Gespräch mit Bernd Streitberger

Mit dem Abbruch der ehemaligen Gummiwerke auf dem Clouth-Gelände endet zwar ein Stück Kölner Industriegeschichte, aber der Blick in die Zukunft verspricht viel. Bis zum Frühjahr 2018 sollen hier mehr als 1000 Wohnungen und 25 000 Quadratmeter für Gewerbezwecke entstehen. Angestrebt wird eine Mischung unterschiedlicher Wohn- und Lebensformen, auch Restaurants, Cafés und Kreativfirmen sollen eine Bleibe finden.

Entwickelt wird das Gelände durch die Entwicklungsgesellschaft ‚moderne stadt‘, die zu etwa gleichen Teilen der Stadt Köln und dem Stadtwerkekonzern gehört. Nach seiner Amtszeit als Dezernent für Stadtplanung in Köln leitet Bernd Streitberger nun die Geschicke der Stadtentwicklungsgesellschaft und spricht im Gespräch mit koelnarchitektur.de über den aktuellen Planungsstand, über magische Zahlen, verwobenen Städtebau, rosa Elefanten, schicke Straßenfeste und darüber, was Stadtentwickler sonst noch schätzen.

Herr Streitberger, Sie waren 8,5 Jahre Dezernent für Stadtplanung in Köln und wechselten 2012 zur Stadtentwicklungsgesellschaft ‚moderne stadt’. Hier sind Sie für die Entwicklung des 14,5 ha großen Geländes der ehemaligen Clouth Gummiwerke in Köln-Nippes verantwortlich. Empfinden Sie es als Erleichterung den Blick zu fokussieren?

Bernd Streitberger: Ich empfinde es als wunderbare Bereicherung meines Berufslebens. 30 Jahre habe ich im kommunalen Dienst an der Spitze der Bauverwaltung gestanden und musste mich immer gleichzeitig mit Dutzenden von Themen beschäftigen. Bei den Clouthwerken kann ich mich auf eine wunderbare und komplexe Aufgabe konzentrieren, die außerordentlich zufriedenstellend ist und ich genieße es, Dinge auf den Punkt zu bringen.
Abgesehen davon, sind die Arbeitsbedingungen in einem kleinen Unternehmen, mit gerade einmal 19 Personen sehr angenehm, die Kommunikation ist leichter und schneller, als in einer großen, tief gegliederten Stadtverwaltung.

Geben Sie uns bitte einen kurzen Überblick über die Situation auf dem Gelände. Welche Gebäude stehen unter Denkmalschutz, welche Gebäude werden erhalten? Wie viele neue werden hinzukommen?

BSt: Erhalten bleiben die großen Hallen des Geländes; natürlich das prägende Gebäude 23, am Tor II, das bildet die Adresse von Clouth. Die gesamte Fassade zur Niehler Straße, einschließlich der Abwicklung in das Quartier hinein. Ursprünglich hörte der Denkmalschutz an der Ecke auf, das konnte kein Mensch verstehen der von Architektur eine Ahnung hat. Unter Denkmalschutz stehen auch die Hallen 18, 29 und die Halle 17. Ich bin sehr froh, dass die Halle 17 erhalten bleibt, denn diese große Industriehalle ist ein Zeitzeuge der Industriegeschichte mitten im Quartier, sonst hätte sich der Denkmalschutz auf eine Art Firnis bezogen.

Es werden ca. 15 bis 20 % der Industriesubstanz erhalten bleiben, das bedeutet im Umkehrschluß ca. 80% der Gebäude entstehen neu. Wie viele Häuser das sein werden, kann ich momentan noch nicht sagen, wir denken derzeit noch in Baufeldern. Entstehen sollen ca. 1000 Wohnungen und Platz für etwa 500 Arbeitsplätze.

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Für die Bewohner der Xantener Straße bietet sich seit 2013 ein Panoramablick auf Bagger, Schutt und Erdhügel.
Fotograf: Elmar Metz

 

Wie weit ist das Verfahren um die Halle 17?

BSt: Wir stehen kurz vor dem Abschluss des Verfahrens. Für uns stellte sich nie die Frage des Abbruchs, sondern immer die Frage, was macht man mit einem solchen Raum: 125 Meter lang, 35 Meter breit und 16 Meter hoch, der zunächst erst einmal jeden begeistert. Auf die Frage, „was macht man damit?“ folgt langes Schweigen und dann die Antwort: „Eine Disco!“, das geht natürlich nicht mitten im Quartier.

Wir haben eine Methode angewandt, in dem zunächst Ideen gesammelt wurde. Über diese Ideenfindung haben wir Partner bekommen, die dann, in einer zweiten und dritten Stufe diese Ideen konkretisieren konnten. Ein sauberes und nachvollziehbares Verfahren, mit dem ein Mischungskonzept aus Wohnen und Arbeiten entwickelt wurde.

Der Bebauungsplan basiert auf dem städtebaulichen Entwurf des Büros Scheuvens + Wachten aus Dortmund, ein Wettbewerbsentscheid von 2004, kurz nachdem sie nach Köln kamen. Mussten Sie sich mit dem Konzept erst anfreunden oder ist es genau der richtige Entwurf für dieses Areal?

BSt: Der Entwurf von Scheuvens + Wachten, übrigens der zweite Preis des Wettbewerbes, ist völlig richtig. Die Maßgaben für den Wettbewerb habe ich vorgefunden, die konnte ich in der Tat nicht mehr beeinflussen. Diese Maßgaben sahen im Grunde ’Tabula Rasa’ vor, am Rande ein bisschen Substanz stehen lassen und ansonsten sollten die Flächen niedergelegt werden.
Die große Leistung des Stadtentwicklungsausschusses war es, die Qualitäten des Zweitplatzierten zu erkennen und diesen Entwurf umsetzen zu wollen. Der erstplatzierte Entwurf hatte ein schönes Siedlungsbild entworfen und ansonsten, ganz nach Vorgabe, alles platt gemacht. Aber der Entwurf von Scheuvens + Wachten beinhaltete die Chance auch Teile der Industriesubstanz mitzunehmen und machte sie zum Inhalt der Planungen. Nach Möglichkeit beteiligen wir Prof. Scheuvens auch weiterhin am Verfahren. Er ist regelmäßig Vorsitzender der Preisgerichte und begleitet die Verfahren.

Was ist das Besondere am ClouthQuartier?

BSt: Wenn ich nach den Highlights gefragt werde, sage ich immer, wir bauen keine Highlights wir denken in Lebensräumen. Natürlich wird die Halle 17 ein Highlight werden, aber wir bauen hier keine Städtebauikonen. Unser Anspruch ist es, keine Siedlung, sondern Stadt zu bauen.

Ein wichtiger Baustein des Areals ist seine gelebte Tradition und Geschichte. Jahrzehntelang lag es mitten in der Stadt, von ihr und vom Park weitgehend abgeschottet. Andererseits war es auch Lebens- und Arbeitsort für zeitweise über zweieinhalbtausend Menschen. Ich kenne mittlerweile viele Geschichten vom Leben der Menschen, die hier arbeiteten und dadurch bekommt man eine Vorstellung davon, was das Quartier für der Nachbarschaft bedeutet. Das hat sich natürlich sehr verschliffen, aber es gibt noch immer eine Vereinigung der ehemaligen Clouthmitarbeiter und wir ermöglichen es sehr gerne, dass auf dem Gelände eine Gedenkplatte angebracht wird.

Auch baulich soll die Identität erhalten werden. Wir verändern und transformieren zwar, aber wir werden viel mitnehmen. Und daraus und durch eine kluge Vermarktung entwickelt sich die Chance ein wirklich vielfältiges und lebendiges Quartier zu entwickeln in dem viele verschiedene Akteure zum Zuge kommen.

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Etwa 20 % der Industriesubstanz bleibt erhalten, darunter, mitten im Quartier, auch die Halle 17. Für sie wurde ein Nutzungskonzept aus Wohnen und Arbeiten entwickelt.
Fotograf: Elmar Metz

 

Identifikationsmaßnahmen mit dem Wohnort, strategische Projekte zur städtebaulichen Entwicklungen und die Idee, lokale Akteure in die Planungen mit einzubeziehen liegen im Trend. Auf dem ehemaligen Areal der Clouth Gummiwerke, werden in den nächsten Jahren etwa 1000 Wohnungen entstehen. Haben Sie vor, die Identifikation mit dem Areal aktiv zu fördern, wenn ja mit welchen städtebaulichen oder sozialen Mitteln?

BSt: Die städtebaulichen Mittel sind klar: der gute Städtebau, den Scheuvens + Wachten uns geliefert haben, das ist der Erhalt der alten Substanz, der Erhalt des ursprünglichen Wegenetzes, die neuen Übergänge zum Park. Das sind beste Voraussetzungen dafür, dass sich das Quartier mit der umgebenden Stadt ganz selbstverständlich verweben wird.

Soziale Maßnahmen können wir nicht vollständig steuern, aber natürlich die Voraussetzungen schaffen. Beim Wettbewerb für die Halle 17 konnten wir sehen, dass es viele Initiativen aus dem Kultur- und Bildungsbereich gibt, die lokal verankert sind und Interesse daran haben auf dem Gelände eine Heimat zu finden, die Spielewerkstatt ist ein Stichwort, das mir hier sehr gut gefällt.
Ein wichtiger Beitrag und ein großer Gewinn wird es sein, wenn es uns gelingt, die Künstler wieder auf das Gelände zu bringen, die dort fast 20 Jahre ansässig waren.

Wie weit sind die Verhandlungen mit den Künstlern?

BSt: Ursprünglich wollten die Künstler in der Halle 10 bleiben, das allerdings hätte viel Wohnraum gekostet, da die Halle recht sperrig auf dem Gelände liegt. Der Rat der Stadt hat klar gestellt, dass er für den Erhalt der Halle 10 kein Geld locker machen kann. Gleichzeitig wurden wir aufgefordert andere Lösungen für die Künstler zu finden. Derzeit diskutieren wir unser Angebot, den Künstlern die Halle 29 zum Buchwert zu verkaufen. Für die Künstler hat es den enormen Vorteil, sie bekämen eine eigene werthaltige Immobilie, aber es ist natürlich auch eine große finanzielle Anstrengung. Hier sind wir im Gespräch und ich hoffe, dass es gelingt.

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Die Halle 10 wurde trotz Denkmalschutz nicht erhalten, deshalb müssen die Künstler von ‚CAP Cologn‘ in Ausweichquartieren arbeiten und ausstellen. Derzeit wird eine alternative Halle auf dem Clouthgelände als neuer ‚Kunstort’ diskutiert.
Fotograf: Elmar Metz

 

Neben der GAG und Baugruppenprojekten werden auch Projektentwickler und auch die ‚moderne stadt’, als Bauherr auftreten. Aus Ihrer Zeit als Dezernent wissen wir, dass Ihnen der baukulturelle Standard und die architektonische Qualität am Herzen liegen. Wie werden Sie diese überprüfen und einfordern?

BSt: Für unsere eigenen Projekte haben wir die architektonische Qualität bereits belegt, indem wir qualifizierte Mehrfachbeauftragungen durchgeführt haben. Die ersten Ergebnisse von Lorber Paul und vom Büro ASTOC belegen das. Auch hier haben wir nicht die Vision architektonische Wunderwerke, sondern vor allem einen hohen Qualitätsstandard anzustreben, der mit möglichst vielen unterschiedlichen Büros erreicht werden soll. Für die Baugruppen gibt es ein Spezialverfahren hier wird es keine Wettbewerbe geben, sondern wir stellen den Gruppen eine beratende Kommission zur Seite. Und wir erwarten von den einzelnen Gruppen, dass sie sich und die Schnittstellen untereinander koordinieren. Bei der Umnutzung der Denkmäler engagiert sich das Amt für Denkmalpflege sie werden ein Auge auf die Qualität der Umnutzung haben. Alle anderen, die ein Baufeld kaufen, müssen auf eigene Rechnung, aber in Abstimmung mit uns eine Mehrfachbeauftragung durchführen.

Ist die Mischung und Vielfalt der Akteure aus freifinanziertem Wohnungsbau, Genossenschaften, Baugruppen und den Künstlern, die bereits das Gelände nutzen, ein Lösungsansatz für die vielfältigen Anforderungen die Stadt in Zukunft erfüllen muss, auch um anders zu sein als städtebauliche Entwicklungen der Vergangenheit wie der Rheinauhafen oder das GerlingQuartier. Mit welchen Mitteln werden Sie es erreichen, dass die angestrebte Mischung stimmt?

BSt: Man kann nicht alles erreichen. Aber die Voraussetzungen dafür schaffen, kluge Vorüberlegungen anstellen und die richtigen Verfahren wählen. Dieses Ziel ist nur zu erreichen, wenn wir nicht ausschließlich auf Profit um jeden Preis aus sind. Auch wenn wir unter dem Zwang stehen, nach wirtschaftlichen Kriterien zu agieren.

Als Beispiel seien die Baugruppen genannt, hier ist der Bodenpreis gesetzt, aber im Verfahren geht es um den Wettbewerb der Konzepte und zwar ausschließlich der Konzepte.
Eine andere Philosophie verfolgen wir bei der Halle 17. Hier entscheidet eine Mischung aus inhaltlichem Konzept, Architektur und Preis.

Bei den 300 öffentlich geförderten Wohnungen soll es vier Bauherren an vier Standorten geben. Die GAG ist gesetzt, sie ist ein Schwesterunternehmen, aber ich will ganz bewusst auch andere Handschriften und andere Planungskulturen zum Zuge kommen lassen. So halten wir es auch beim Verkauf weiterer Grundstücke.

Und manchmal hilft auch der Zufall. An der Niehler Straße weist der derzeitige Rahmenplan von Scheuvens + Wachten eine kaum gegliedert Großstruktur von 6000 qm aus, die planerisch bearbeitet werden muss. Gerne haben wir hier auf Anregung der Akademie zur Förderung von Städtebau und Landesplanung in NRW einen postgraduierten Wettbewerb ausgelobt. Wenn wir Glück haben und die Absolventen nicht nur ‚rosa Elefanten’ fliegen lassen, sondern sich mit ihren Entwürfen nahe des Realisierbaren bewegen, bekommen wir anregende Ideen und unterstützen einige der Absolventen darin ein eigenes, erstes Projekt umzusetzen.

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Blick in längst vergangene Zeiten und in die sogenannte „Förderbandhalle“, die ehemals größte Halle des Werks wurde ebenfalls niedergelegt.
Fotograf: Elmar Metz

BSt: In 10 Jahren muss es fertig sein. Stellen wir uns also 2024 vor. Dann wird es ein ganz normales Quartier sein, das man durchwegt um vom Leipziger Platz nach Riehl oder in die Flora zu kommen. Sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen leben hier, es gibt junge Familien, es gibt ältere Menschen, Menschen mit gutem Einkommen, leben in direkter Nachbarschaft mit Menschen, die weniger verdienen und alle fühlen sich wohl hier. Alle nutzen diesen grandiosen Platz vor der Halle 17, ihren Lebensmittelpunkt, ein Raum an dem sie sich treffen und in jedem Sommer ein schickes Straßenfest feiern werden.

Mit Bernd Streitberger sprach Barbara Schlei

 

Zur Internetseite der >>modernen stadt

Beitrag zur Entscheidung des >>Postgraduiertenwettbewerbes,
Kölnische Rundschau vom 24.2.2014

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