Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Chill-Out in der Mensa

Die Montag Stiftungen geben Empfehlungen für „Schulen 2.0“

Turnhalle. Pausenhof. Lehrerzimmer. Ja, so wird man die Bereiche einer Schule auch in Zukunft noch nennen. Doch dieses Buch hält Alternativen bereit. Sie heißen Bewegungszentrum, Lebensort oder Teamräume. „Schulen planen und bauen 2.0“ hat die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft ihre neue Publikation genannt und auch dieser Titel deutet es schon an: Auch die Digitalisierung ist einer der großen „Innovationstreiber“, gefolgt von Ganztageskonzepten und Inklusion. „Der Schulbau braucht neue Impulse“, heißt es im mehr als 400 Seiten starken Grundlagenbuch, das sich als „Handreichung für Praktiker aus Schule, Architektur und Kommune“ versteht. Flankiert wird es von „Leitlinien für leistungsfähige Schulbauten in Deutschland“ auf noch einmal 83 Seiten. Gemeinsam ergeben sie einen – im wahrsten Sinne des Wortes – gewichtigen und durchaus lesenswerten Querschnitt durch aktuelle Tendenzen.

 

Wie lassen sich Verkehrsflächen in einer Schule flexibel gestalten? Im finnischen Oulu setzt man auf bewegliches Mobiliar. Foto: Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

 

Mehr Flexibilität

Hand aufs Herz: Nicht alle Erkenntnisse darin sind brandneu. Etwa, dass Klassenraum-Flur-Schulen längst überholt sind und neue Lern- und Lebensformen auch neue Typologien brauchen. Wie die künftig aussehen sollten, führt ein fünfköpfiges Autorenteam – darunter Kersten Reich, Professor für Internationale Lehr- und Lernforschung an der Universität zu Köln – aber anschaulich in Bezug auf Stadtentwicklung, Baustandards und Nachhaltigkeit vor. Besonders augenfällig ist der veränderte Raumbedarf abseits der Musterraumprogramme der 50er bis 70er Jahre, den künftig vor allem eines prägen sollte: Flexibilität. Allerdings nicht ohne, und davor warnen die Autoren ganz entschieden, genau zu definieren, für wen oder was genau die neuen (flexiblen) Räume auch gedacht sind.

 

Im Corlaer College in Nijkerk/Niederlande hat man Arbeitsplätze entlang einer Brüstung und im Foyer arrangiert. Foto: Montag Stiftung Urbane Räume gAG

 

Großer Handlungsbedarf

Unstrittig ist der Handlungsbedarf: 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung will die künftige Jamaika-Koalition in Forschungs- und Entwicklungsausgaben stecken – also 0,5 Prozent mehr als bisher. Dass eine solche „Bildungsoffensive“, wie die Koalitionspartner sie nennen, auch dringend notwendig ist, zeigen die Zahlen: Nach dem sogenannten Kommunalpanel der KfW Bankengruppe aus dem Jahr 2016 wird der derzeitige Investitionsbedarf der Kommunen für Bildungsbauten auf 34 Milliarden Euro geschätzt. Oder anschaulicher ausgedrückt: Allein in Köln müssten bis zum Jahr 2025 rein rechnerisch betrachtet 23 neue Grundschulen entstehen.

 

In der finnischen „Oulun Normaalikoulu“ hat der Mitarbeiterbereich viele Aufgaben: Präsentieren, Erholung und Besprechung. Foto: Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

 

Eine Schule für die Stadt

Doch wie lassen sich offene Lernlandschaften konkret umsetzen? Und das nicht nur in Neu-, sondern vor allem auch in Altbauten? Anhand von Modellen führen die Autoren vor, wie etwa die bisher „bühnenbestimmte“ Aula zum „vielfältig nutzbaren Versammlungs- und Marktplatz“ werden könnte, wie sich die Mensa als Verpflegungs- in einen „Kommunikationsort“ verwandeln ließe – inklusive Chill-Out-Zone. Oder die klassische Bibliothek mit Regalen und Lesebereichen zum „vielfältigen Selbstlernzentrum mit unterschiedlichen Medien“.

 

In der norwegischen Grevelokka Skole gibt es sogar einen Kamin im Schulfoyer. Foto: Montag Stiftung Urbane Räume gAG

 

Auch Köln ist Thema, wie etwa die flexiblen Trennwände in der Internationalen Friedensschule oder der Unterricht im Freien, der an der Rosenmaarschule praktiziert wird. Zudem hat man 19 Projekte seit 2011 aus Italien, Österreich, Norwegen, den Niederlanden, Dänemark und der Schweiz zusammengestellt. Und auch im europaweiten Fokus blickt man auf Köln. Bezeichnenderweise aber mit zwei Projekten, die gerade erst entstehen: Die Erweiterung und Sanierung des Hansa-Gymnasiums zur Bildungslandschaft Altstadt Nord durch IAA Architecten und Gernot Schulz bis 2018. Und die Heliosschule (Schilling Architekten), die die Autoren präsentieren, um von einer „innovativen Praxisschule für inklusive Erziehung und Bildung“ bis ins Jahr 2022 zu erzählen, die „modellhaft für die gesamte Schullandschaft in NRW und darüber hinaus“ sein könnte. Auch, weil sie für eine ungewöhnliche Kooperation zwischen Stadt, Universität und den Bürgern steht, die dafür sorgten, dass an jener Stelle in Ehrenfeld kein Einkaufszentrum gebaut wird. Sondern eine Schule, die sich zur Stadt öffnet – und die Stadt zu ihr.

 

Annika Wind

 

Schulen planen und bauen 2.0. Grundlagen, Prozesse, Projekte; Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft (Hrsg.) Jovis Verlag Berlin; Friedrich Verlag Seelze; 424 Seiten; 34,80 Euro

 

Zur Internetseite der Montag Stiftungen Jugend und Gesellschaft

Auf dem Blog der Montag Stiftung „Schulen planen und bauen“ informiert die Stiftung rund um das Thema Schulbau — über Neuigkeiten aus unseren Projekten, über Termine und Infos aus den Netzwerken.

 

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