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Köln, bitte durchatmen!

Uta Winterhager übt Kritik an der Kritik

In der letzten Bauwelt-Ausgabe 2016 ist dieser Kommentar zur Wettbewerbsentscheidung für die Historische Mitte erschienen. Inzwischen hat ein neues Jahr angefangen und viele (Kölner und andere) konnten die Zeit zwischen den Feiertagen nutzen, um wirklich einmal durchzuatmen. Weil wir uns schon auf einige spannende Wettbewerbe und sicherlich polarisierende Ergebnisse freuen, möchten wir mit diesem kleinen Text das neue koelnarchitektur-Jahr eröffnen – auf dass 2017 eines wird, das wir in positiver Erinnerung behalten werden!

 

An einem Samstag Ende Oktober wurde der Wettbewerb zur Historischen Mitte Köln entschieden. Stadt und Kirche wollen die räumliche Misere am Fuße des Domes mit einem Neubau für das Kölnische Stadtmuseum, das Kurienhaus und das Römisch-Germanische Museum lösen. Schnell sickerte durch, Volker Staab habe gewonnen, es sei schwierig gewesen, das Ergebnis aber einstimmig. Die Pressekonferenz fand am Montagvormittag statt und kurz darauf waren zwei Renderings des Siegerentwurfs, einmal vom Roncalliplatz, einmal vom Kurt-Hackenberg-Platz gesehen, im Netz und in der Tagespresse.

Es dauerte nicht lange bis in den Kommentaren und in der Boulevardpresse die Post ab ging. „Dieser bedrohlich wirkende Klumpen“ schrieb Voltumna2016, „Der nächste Betonklotz mit Lamellenfenster-Fassade“ so sah es Jan Ü. und Schwaadlapp beschrieb was er sah als „schmuckloser nackter Beton mit grobschlächtiger Formgebung“, sodass domstadter „eine optische Kontaminierung der Stadtmitte“ befürchtete. Während die Express mit ihrem Titel „Köln kann nur noch klotzen“, auf die Wirkung Alliteration setzte, verfeinerte mies antroph im Baunetz das allgemeine Unbehagen gegen den„kistösen Zumthor-Aufguss“ ausdrückte. Die Phrasen sind bis auf vielleicht eine Ausnahme nicht wirklich originell. Egal wer, wo und was- vielen genügen offenbar eine Überschrift und ein Bild, um direkt durch die Decke zu gehen. Dann blasen ganz schnell alle in dasselbe Horn und die Diskussion ist zu Ende bevor sie begonnen hat.

Gerade im Fall der Historischen Mitte ist es besonders ärgerlich, wenn alle an einer Visualisierung hängen bleiben, denn der Wettbewerb war kein Fassadenwettbewerb. Vielmehr ging es darum, eine städtebauliche Schlüsselposition mit funktionalen Bauwerken zu besetzen, Ort und Geschichte zu würdigen, Synergien sinnvoll zu bündeln und schöne, wertvolle Räume im Innen- wie im Außenraum zu schaffen. Nur leider bietet Volker Staab, dem das alles mit Abstand am besten gelungen ist, der Kritik mit seinen (aus Zeitmangel) nicht zu Ende gedachten Fassaden eine unnötige Angriffsfläche. Die Jury, überzeugt von den inneren Werten, stellte ihm die Aufgabe noch einmal in Ruhe über eine originäre Gebäudehülle nachzudenken. Diese zweite Chance hat der Entwurf durchaus verdient.

Architekturverstehen dauert länger als ein Finger über den Bildschirm wischt. Kritikverstehen auch. Die Zeit sollten wir uns nehmen.

 

Uta Winterhager

 

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2 Kommentare

wenn man sich anschaut, was die masse in sachen musik, literatur, unterhaltung etc. so bevorzugt, dann muss man sich nicht wundern, dass der geschmack auch auf der ebene der architektur völlig oberflächlich und derzeit vor allem erschreckend reaktionär ist. verrückte zeiten sind das…

allerdings: was ich wirklich nicht verstehe, ist, dass die fach-debatte eine ganz wichtige frage tatsächlich völlig ausklammert: das RGM, das ja aktuell sogar völlig zurecht denkmal wird, ist untrennbar mit seinem verwaltungsbau verbunden, der architektonisch klasse ist! gerade die gläserne verbindung zw. der verwaltung und dem museum „in der luft“. warum muss das zerstört werden? das finde ich unter gesichtspunkten architektonischer und städtebaulicher faktoren mind. genauso ignorant wie die zitierten express-user-reaktionen auf den staab-entwurf. und – ja: auch das kurienhaus mit seinem das höhenniveau abfedernden arkadenumlauf mit den tollen modernistischen lampen könnte doch im prinzip behutsam revitalisiert werden, indem man bspw. die fenster vergrößert und es innen komplett erneuert. der platz dazwischen, der jetzt noch ein parkplatz ist, könnte zum platz werden, vl. mit gastro – oder nach dem vorbild wie der platz in zürich vor der oper, wo ganz einfach stühle zur verfügung stehen, so dass man ohne konsumzwang sitzen kann. kurz: es gibt immer nur diese hauruck-lösungen: immer alles neu! immer alles abreißen! wenn diese dann auch noch groß und breit mit jahrhundert-chance (!) betitelt werden und so natürlich bei den leuten unrealistische erwartungen wecken, wen wundern dann die reaktionen? die frage ist doch: was wollen wir? wollen wir eine entwicklung aus der historie heraus oder wollen wir „verewigungswünsche“ von politikern beklatschen, die sich mit projekten ein denkmal setzen wollen? DAS sollte auch mal teil der debatte sein – und zwar angestoßen von leuten wie höing oder auch einem portal wie diesem. zumal: wo soll das geld herkommen? – es gibt derzeit wichtigere projekte, die mehr kölnern zugute kämen: bspw. die plätze am ring, eine neugestaltung der grauenhafte strassenräume von nord-süd-fahrt und bächen. und was passiert eigentlich mit dem alten stadtmuseum – ein toller historischer bau… das wird mir hier alles etwas zu unkritisch begleitet.