Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Den Leuten eine Stimme geben

Die Kuratorinnen von „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ im Gespräch.

Eva-Maria Baumeister ist Regisseurin und beim Schauspiel Köln angestellt. Isabel Finkenberger ist Stadtplanerin – und auch beim Schauspiel Köln angestellt. Gemeinsam kuratieren sie das Projekt „Die Stadt von der anderen Seite sehen“, das sich mit der derzeitigen Heimat des Schauspiels beschäftigt, dem Stadtteil Mülheim. Es begann im August vergangenen Jahres, zunächst mit „Salons“ in denen Experten verschiedene Themen im Bereich Stadtentwicklung diskutiert haben. Im Sinne einer prozesshaften Entwicklung wurden hieraus wieder neue Themen entwickelt und weitere Personen gewonnen, die am Projekt mitarbeiten. Im März 2016 fand eine erste große öffentliche Veranstaltung statt, bei der sich auch die Bürger an zehn Workshops beteiligen konnten, am 8. Oktober gibt es wieder einen Projekttag am Schauspiel Köln. Was dann aber zum Projektende im Sommer des kommenden Jahres rauskommen soll, wissen auch die beiden Macherinnen noch nicht so ganz genau. Ein Interview über einen sehr offenen, schwer greifbaren Prozess.

 

Was ist die Vision hinter dem Projekt „Die Stadt von der anderen Seite sehen“?

Isabel Finkenberger: Wir möchten uns mit aktuellen und zukünftigen Fragen von „Stadt“ beschäftigen. Der Untertitel ist: „Wie wollen wir zusammen leben und welche Stadt brauchen wir dafür?“ Wir fragen, welche Themen aktuell eine Rolle spielen und was Theater und Kunst in solchen Fragestellungen beitragen können.

 

Wie ist das Projekt entstanden?

IF: Mit dem Umzug des Schauspiels auf die andere Rheinseite, nach Mülheim, kam die Verortung in einem ganz anderen Kontext, einem Stadtteil im Wandel. Daraus hat sich die Beschäftigung des Theaters mit neuen Themen ergeben. Es ist aber nicht nur ein inhaltliches Experiment, sondern stellt eine große Herausforderung dar: Was heißt es eigentlich, wenn ein Stadttheater rausgeht? Das ist keine Selbstverständlichkeit, weil es in den Stadttheatern sehr starre Strukturen gibt. Das Besondere an unserem Projekt ist, dass es experimentell und prozesshaft angelegt ist. Klar war neben anderen Meilensteinen, dass es nach zwei Jahren eine Projektpräsentation aller bis dahin entstandenen Formate geben wird, die Themen waren als wir begonnen haben allerdings noch offen.

Eva-Maria Baumeister: Es gab diese Idee ein Projekt zu machen, das sich nur mit diesem Stadtteil und dem Thema „Zukunft der Stadt“ beschäftigt. Gleichzeitig ist es auch eine Beschäftigung mit der Frage, welche Rolle das Theater früher in der Stadt gespielt hat. Das Theater war in der Antike auf der Agora, dem zentralen Ort in dem der Diskurs öffentlich stattgefunden hat. Der dauerte Tage und Nächte, die Leute haben im Theater gelebt, dort gegessen, getrunken und verhandelt. Passivität im Theater gab es früher nicht.

 

Wie haben Sie herausdestilliert, wen Sie am Projekt beteiligen möchten?

EMB: Wir wollten mit lokalen Künstlern arbeiten und haben geschaut, wer aus der Gegend zu uns passt und wer sich schon länger mit dem Thema beschäftigt. Inzwischen laden wir aber auch speziell Leute mit einem Blick von außen dazu.

 

Wie wichtig ist denn der Blick von außen? Sie beide kommen ja ursprünglich nicht aus Köln, leben aber schon etwas länger hier, kennen also beide Perspektiven.

EMB: Es kommt drauf an was man untersuchen will. Wenn man die globale Frage stellen will, „wie wollen wir in Zukunft leben“, braucht man auch Menschen, die Erfahrungen aus anderen Kontexten mitbringen. Menschen von außen geben nicht auf kleine Befindlichkeiten Acht. Man ist radikaler, weil man nicht mit den Komplikationen des Ortes befasst ist, nicht so verwoben in gewisse Strukturen ist. Diese Freiheit ist auch wichtig.

IF: Es gibt hier schon wahnsinnig viel lokalspezifisches Wissen, darauf möchten wir aufbauen. Ganz oft ist solches Wissen aber auch interessengebunden: natürlich engagiert man sich für eine Bürgerinitiative, weil man in der Gegend wohnt. Und da schaut man mit einem externen Blick noch mal anders auf die Themen, weil man zunächst interessenbefreit ist.

 

Wie ist Ihr Blick auf Mülheim? Hat er sich verändert?

EMB: Ich empfand Mülheim als stigmatisiert. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, wenn ich jetzt hier bin. Ich erlebe das nicht als einen Problemstadtteil. Gerade mit der Neudefinition von Industriekultur habe ich ein urbaneres Gefühl – wenn man im Kontext von Wandel spricht – als zum Beispiel in der Südstadt. Wenn man durchs Veedel geht, ist hier mehr los, man reibt sich an mehr Ecken und es ist nicht so gesetzt.

IF: Mülheim ist historisch bedingt anders entstanden als viele andere Stadtteile in Köln, nicht, wie eben zum Beispiel die Südstadt, als Stadterweiterung. Sondern es war jahrhundertelang eine ganz eigene Stadt und hat seine eigene Infrastruktur. Und der Witz ist: jetzt hat es sogar sein eigenes Stadttheater und das andere ist die kulturelle Peripherie. Mülheim ist viel größer als die anderen Stadtteile und es gibt noch die großen Industrieareale. Wenn die alle entwickelt sind, wird es noch mehr zusammenwachsen mit dem Rest von Köln. Im Moment ist es ein eigener Körper und innerhalb dieses Körpers gibt es Sachen, die nicht so richtig zusammengehören, wie kleine Kieselsteine, die aneinander liegen. Es ist wahnsinnig divers hier, da gibt es ganz alteingesessene, total schnuckelige Ecken, es gibt viele Ecken wo sehr arme Menschen wohnen. Es ist eine große Heterogenität auch aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Der Stadtteil wird entsprechend auch von internationalen Spannungen wie beispielsweise jenen in der Türkei sehr stark geprägt, die sich momentan auch hier spürbar sind.

 

Wie reagieren denn die Mülheimer auf ihr Projekt?

IF: Viele aus dem Stadtteil stehen uns positiv gegenüber. Wir haben von Initiativen hier vor Ort die Reaktion bekommen, dass es gut ist, dass Mülheim auf der Agenda von Institutionen steht. Natürlich hört man immer wieder dieses Wort „Gentrifizierung“, aber das wird kontrovers diskutiert.

 

Gibt es kein Konkurrenzverhältnis zu anderen Initiativen?

IF: Wir sind nicht die einzigen, die zu dem Thema arbeiten. Wir haben vielleicht ganz spezifische Ansätze und Kompetenzen über das Theater, aber diese Frage wie wir zukünftig leben wollen oder was Kunst im öffentlichen Raum leisten kann, das verhandeln viele. Wir wildern in den konkreten Themen anderer Initiativen gar nicht. Unser Interesse wäre es aber, eine engere Schnittstelle zu anderen zu haben um zu sehen, wer welche Kompetenzen hat und wie man sich gegenseitig unterstützen kann in einer gemeinsamen Diskussion über die Zukunft von unserer Stadt und unserem Stadtteil. Derzeit ist es so, dass sich die Initiativen untereinander kennen und sich so ein bisschen beobachtet. Aber eigentlich wäre es doch viel wichtiger, die Sachen zu bündeln, zu schauen, wie man gemeinsam eine kritische Masse aufbauen kann, damit nicht alle parallel nebeneinander her arbeiten.

EMB: Konkurrenz ist das überhaupt nicht. Wir versuchen auf ganz vielen Ebenen – so gut wir das können – Synergien zu schaffen. Zum Beispiel zwischen dem Stadttheater und der freien Szene, oder zwischen der Bürgerschaft und der Verwaltung. Wir versuchen, so gut es geht, die Kommunikation aufrecht zu erhalten oder überhaupt erst zu schaffen. Aber wir sind kein Bürgerbeteiligungsformat.

 

Was ist denn genau der Unterschied Ihres Projektes – in dem sich auch Initiativen und Bürger beteiligen – zu anderen Bürgerbeteiligungsverfahren?

EMB: Wir wollen von den Leuten nichts abfragen, was sie eh schon wissen. Das Ding bei den klassischen Bürgerbeteiligungen ist, dass die Leute dahin kommen und schon wissen, was sie wollen. Unser Ziel ist es, die Leute zu etwas zu bringen, von dem sie vorher nicht wussten, dass sie es wollen. Nicht dass wir das besser wüssten, aber wir wollen gemeinsam in einen Prozess kommen. Sich selbst und andere überraschen, in dem was möglich ist im Zusammenleben in der Stadt.

IF: In der Partizipation ist es ja ganz oft so, dass es relativ klare Fronten gibt, weil verschiedene Interessen im Spiel sind. Über einen künstlerischen Zugang kann man ganz andere Emotionen wecken. Das ist zunächst mal interessenbefreit. Was ich im letzten Jahr erfahren konnte, ist, dass man einen ganz anderen emotionalen Zugang zu Stadt erfahren kann und sich dadurch viel in der Wahrnehmung von Menschen und Räumen verändert. Die Leute investieren hier nicht nur Zeit, sondern ihnen wird auch ein Geschenk über die Kunst geboten. Man sitzt halt nicht mit den Silberrücken in der Turnhalle.

 

Kann eine Stadtentwicklung überhaupt von oben stattfinden oder muss es aus dem Stadtteil heraus kommen?

IF: Ich glaube, es muss beides geschehen. Die Frage ist immer, wer wohnt in einem Stadtteil? In Mülheim gibt es eine extrem fitte Bürgerschaft, die auch ganz klare Ziele formulieren kann. Jemand hat einmal formuliert, in Ehrenfeld passiert so viel, weil die viel intellektueller reden können als die Mülheimer. Das finde ich nicht. Die Frage ist aber, ab wann man Leuten eine Stimme geben muss. Stadtteile wie Mülheim entstehen, weil man hier noch Mieten bezahlen kann. Das ist natürlich der Einfluss der Kölner Stadtentwicklung, das heißt, wenn sich hier etwas verändern soll, dann braucht man für gesamt Köln und die Region ein Konzept. Mir ist aber wichtig zu sagen, dass wir hier sehr gute Leute in der Verwaltung und in der Bürgerschaft haben. Wir müssen es schaffen, von diesem polemischen „ihr macht gar nichts“, wegzukommen und uns gegenseitig schätzen lernen. Weil wir an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Wir brauchen ein gegenseitiges Zubewegen auf allen Ebenen. Man muss halt miteinander reden.

 

Und wie reagieren nun die unterschiedlichen Gruppen – Ihre Kollegen, die Bürger, das Theaterpublikum – auf das Projekt „Die Stadt von der anderen Seite sehen“?

IF: Ich glaube, es wäre tatsächlich gut, wenn das Projekt mehr im Alltag des Theaters ankommen würde. Das ist aber natürlich institutionell sehr schwierig, bei sehr vielen Premieren in dieser Spielzeit. Nach der Analysephase im ersten Jahr kommt jetzt die Projektphase, für die wir zwei sehr konkrete Veranstaltungen anzukündigen haben. Dadurch wird auch das Schauspielpublikum stärker angesprochen. Von der Bürgerschaft ist ein gewisses Interesse da, aber die haben auch ihre eigenen Baustellen. Da verändert sich das Verhältnis im Laufe des Projektes. Man lebt sich mal auseinander, weil die gemeinsamen Ziele nicht mehr übereinstimmen, dann justiert man sich neu. Das wird ein dynamischer Prozess bleiben, wer sich dafür interessiert und wer nicht. Bürgerschaft funktioniert auch ganz anders als Stadtplanung. Bis jeder mit jedem geredet hat, sind mal schnell zwei Monate rum, die Bürgerschaft denkt aber kurzfristiger. Zwischen März und Juni ist im Hintergrund sehr viel gelaufen, es war aber nicht sichtbar. So sind viele Energien verpufft und wir müssen nun sehen, wie wir das zukünftig besser lösen.

 

Haben sich Ihre Erwartungen an das Projekt erfüllt?

EMB: Positiv überrascht bin ich vom großen Interesse der Menschen an diesen Themen. Was bei der theatralen Konferenz im März los war fand ich super. Auch die Ernsthaftigkeit und die Lust mit der sich die Leute den Workshops gewidmet haben. Man stößt an allen Ecken und Enden auf großes Interesse und auf große Bereitschaft auch von Künstlern, sich auf so etwas Offenes einzulassen. Frustrierend ist eigentlich nur die Organisation, wenn mal wieder etwas nicht geht. Und immer wieder kommt man in Erklärungsnot für sich aber auch im Gespräch mit anderen über das, was wir da eigentlich machen. Viele erwarten einen stadtplanerischen Ansatz oder ein normales Beteiligungsformat, wo wir Entwürfe entwickeln, die wir dann der Stadt geben. Das machen wir nicht. Wir können sehr viel sagen, was wir nicht machen. Das ist ja bei der Kunst oft so.

 

Was wünschen Sie sich als Ergebnis? Was passiert, wenn das Projekt ausgelaufen ist?

EMB: Wir wünschen uns, dass diese synergetische Form des Arbeitens weitergeht. Es ist eine ewig andauernde, wichtige Frage: Die Stadt wandelt sich – wie können wir mitgehen? Welche Methoden gibt es, das mit zu gestalten, das wahrzunehmen? Das hört nicht nach zwei Jahren Projektlaufzeit auf. Ich habe das Gefühl, dann geht es erst los. Mein Wunsch wäre, dass auf den verschiedenen Ebenen, die wir im Prozess haben, neue Impulse ansetzen und neue Ideen entstehen, gerade in Bezug auf eine Strukturveränderung.

IF: Wir möchten den Dialog mit den anderen Initiativen beibehalten. Wie und ob es weitergeht, wird sich dann zeigen. Ich finde es allerdings ganz schön zu sagen: Eigentlich geht es für uns jetzt erstmal los!

 

Die Fragen stellte Vera Lisakowski

 

Zum Programm von „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ für den kommenden Samstag, den 8. Oktober 2016 – es gibt noch die Möglichkeit teilzunehmen.

 

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