Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Mitmachkultur

planvoll planlos – Konferenz zu stadtplanerischen Methoden

Wie entwickelt eine Gesellschaft städtische Quartiere? Die Zeit ist reif für interaktive, prozesshafte Herangehensweisen, denn die top-down Planungen, der unhinterfragten Setzungen sind vorbei, so die Antwort des BDA Köln. Folgerichtig nennen die Kölner die erste Konferenz zu stadtplanerischen Methoden „planvoll planlos“- experimentelle Planungsmethoden im Praxisvergleich – die der BDA Köln Anfang November, mit Unterstützung der StadtBauKultur NRW, veranstaltete.

Bereits der Titel implizierte die Abkehr von der üblichen Stadtplanung. Diskutiert wurden Methoden der Raumaneignung zur Entwicklung eines Ortes. Ein Umdenken oder Weiterdenken also, als Zukunftssaufgabe der Stadtentwicklung. Zehn Referenten bereiteten mit ihren Vorträgen zu Projekten aus vier Städten eine breite Diskussionsgrundlage. Ausgewählte Beispiele aus London, Bern, München und Judenburg wurden von unterschiedlichen Akteuren und damit aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Zu Wort kamen nicht nur die Planer, sondern auch Initiatoren, Künstler und wenn man so will deren programmatischer Widerpart, diejenigen die Planungen in rechtliche und stadtplanerische Wirklichkeit umsetzten.

 

LONDON Dalston Eastern Curve

So unterschiedlich die für die Konferenz ausgewählten Städte, so unterschiedlich waren auch die dort verhandelten Projekte: kleine Plätze, grüne Flächen, graue Plätze, Brachen und Zwischenräume bestimmen die Ausgangssituationen. Und nicht selten sind es stigmatisierte Orte in der Stadt, Flächen die keiner mehr will, oder wie im Fall London, ein Ort, der erst dann besonders ins Blickfeld geriet, als er bebaut werden sollte.

 

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Auf der Kurve einer ehemaligen Eisenbahnlinie entstand aus einer wilden Schuttbrache ein grüner und lebendiger Garten. ©Dalston Eastern Curve Garden

 

Im Rahmen der Kampagne „MakingSpaceinDalston“ erhielt das Büro muf architecture / art 2009 den Auftrag den Ort Dalsen Curve im Londoner Stadtteil Hackney mit einer Bibliothek zu bebauen. Heute ist diese kleine versteckte Oase auf der Kurve einer ehemaligen Eisenbahnlinie, ein grüner und lebendigen Garten umgeben von mehrgeschossiger Wohn- und Industriebebauung.

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Ein Garten – viele Nutzungen. ©Dalston Eastern Curve Garden

 

Skepsis und Verlustängste der Anrainer lösten den Start einer Bürger-Kampagne gegen die Überentwicklung von Dalston aus. Nach Protesten für mehr Mitbestimmung und transparenteren Planungsmethoden wurde der Bibliotheksbau gestoppt. Auf den ersten Blick ungewöhnlich, die Bürgerinitiative geht auf die Architekten von muf zu, um gemeinsam mit dem Büro das Areal zu entwickeln, nicht im Sinne des ersten Planungsauftrages, sondern um Strategien eines Partizipationsprozess aufzuzeigen. Aranzazu Fernandez Rangel von muf löste in Ihrem Beitrag die Verwunderung darüber auf, versteht sich das Londoner Büro doch seit je her „als Katalysator eines sich ständig wechselnden, selbst erzeugten Netzwerks von Menschen, Ideen und Orten“ mit vielfältigen Erfahrungen mit prozesshafter Planung.

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Das „Pineapple House“ entseht. ©Dalston Eastern Curve Garden

 

Von der mit viel Liebe und Herzblut betriebenen Metamorphose, die durch Partizipation aus der wilden Schuttbrache einen Garten entstehen ließ, berichtete die Gartendesignerin Marie Murry. Und vom Bau eines Gewächshaus namens „Pineapple House“, einem geräumigen Holzpavillon für Veranstaltungen, Workshops und einem Café, das gemeinschaftlich bewirtschaftet den Anwohnern erst die unabhängige Teilhabe an Dalson Curve ermöglicht.

 

Kreativquartier München – Plattform und Feld, Labor und Park

Vor den experimentellen Planungsmethoden steht das Umdenken, das konnten die Teilnehmer in Köln anschaulich am Beispiel München nachvollziehen. Kommunen müssen bürokratische Schranken abbauen, um Strategien zuzulassen, die heute weder erprobt noch bekannt sind. Andreas Uhmann, leitender Baudirektor aus München, beschrieb die neuen Wege, die das Referat Stadtplanung bei der Entwicklung der ehemaligen Luitpoldkaserne ging, indem es Initiator einer nutzergetragenen Quartiersentwicklung mit Laborcharakter wurde. Hier hatte sich eine lebendige Kunst- und Kulturszene etabliert, deren Potenzial zum einen für das neue Viertel identitätsstiftend wirken kann, zum anderen soll mit der Öffentlichkeitsbeteiligung verhindert werden, dass das Viertel für Kreative irgendwann zu teuer wird.

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Kulturhallen als „Scharniere“ zwischen Bestand und Neubau ©TELEINTERNETCAFE Architektur und Urbanismus, Berlin und Treibhaus Landschaftsarchitektur, Hamburg.

 

 

Aber auch Architekten und Stadtplaner müssen ihre Aufgabe neu definieren und „bereits den Prozess der Teilhabe als Planung verstehen“, so Urs Kumberger, TELEINTERNETCAFE Architektur und Urbanismus und Wettbewerbsgewinner des Kreativquartier München. Er zeigte in Köln die Momentaufnahme der prozessualen Entwicklung: vier Areale des Grundstückes werden mit unterschiedlichen Atmosphären und Geschwindigkeiten entwickelt. Dieses besondere Profil bildet den Ausgangspunkt für eine ortsspezifische Strategie. Die rasche Verdichtung der Bausteine Plattform und Feld entlastet die bereits genutzten Bereiche des Labors und des Parks und fungiert somit als Ventil für den Entwicklungsdruck des Gesamtquartiers.

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Kreativquartier München: die prozessuale Quartiersentwicklung der Luitpoldkaserne bezieht Bestandsgebäude und Menschen mit ein. ©TELEINTERNETCAFE Architektur und Urbanismus, Berlin und Treibhaus Landschaftsarchitektur, Hamburg.

 

Teil des Prozesses ist der parallele Aufbau einer Dachorganisation, die der Künstler Christian Schnurer, Mitglied der Initiative Labor München e.V. in Kooperation mit den städtischen Referaten vorantreibt. Unter ihr sollen Künstler aller Sparten wirtschaftlich unabhängig, aber in einem geschützten Raum arbeiten und sich selbst verwalten können. Hier zeigte sich auch die Stärke des BDA-Veranstaltungsformates nicht nur eine Sicht der Planung zuzulassen sondern mehrere Perspektiven zu fordern. So hatte nur wenige Minuten vorher der Referatsleiter betont „Unabhängigkeit dürfe nicht mit dem Begriff Kulturschutzgebiet“ gleichgesetzt werden. Die Kommunikation zwischen den Akteuren wird hier letztlich zum Erfolg des Projektes führen.

 

Bern „NEUstadt-lab 2015 – Wer küsst die Schützen matt?

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Parkplatzbespielung in Bern. Der Künstler Juerg Luedi verwandelte die Schützenmatte: „Die Irritation durch den künstlerischen Eingriff ermöglicht eine neue Sichtweise auf Bekanntes und macht neue Nutzungen des öffentlichen Raumes denkbar“, so Luedi. © Juerg Luedi

 

Aber es geht um mehr als das außer Kraft setzen von standardisierten Planungsverfahren, sondern darum, einen offenen und individuellen Prozess durchzuführen. Dabei wird Partizipation immer weniger als Störenfried sondern als Mehrwert angesehen und so auch von den Verwaltungen der Städte erkannt. Dies zeigte sich bei der Vorstellung des Areals der Berner Schützenmatte bereits an der Art des Vortrages, nicht nacheinander, sondern gemeinsam stellten Sabine Gresch vom Stadtplanungsamt Bern und Juerg Luedi, Organisator der privaten Initiative „Neustadt-lab“, den Planungsprozess vor.

 

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Parkplatzeinrichtungen ganz frei von Autos. © Juerg Luedi

 

Die Schützenmatte ist eine der letzten Freiflächen im Berner Innenstadtumfeld, eingeschnitten zwischen Verkehrsschneisen. Zwar besteht politischer Konsens, dass hier etwas passieren soll, grosse Differenzen bestehen jedoch bezüglich den Vorstellungen, was genau passieren soll. Von zurückhaltenden gestalterischen Massnahmen bis zu grossen Überbauungsplänen mit Hochhäusern, noch ist alles möglich, denn noch ist das Areal komplett frei von städtischer Planung. Bestechend hier der Wille der Stadt, denn im Bewusstsein, dass städtischer Raum nur als lebendiger funktionieren kann, wenn alle Akteure das Recht haben, sich diesen Raum anzueignen, bekam das Neustadt-lab im vergangenen Jahr die Chance einer künstlerischen Intervention.

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© Juerg Luedi

 

 

Der „Parkplatzwächter als Künstler, Kurator und Koordinator“, Juerg Luedi verwandelte die Schützenmatte für zwei Monate zum Experimentierfeld für Kulturschaffende und vergab definierte, parkplatzgroße Zonen, die frei bespielt werden konnten. „Die Irritation durch den künstlerischen Eingriff ermöglicht eine neue Sichtweise auf Bekanntes und macht neue Nutzungen des öffentlichen Raumes denkbar“, so Luedi. Als nächsten Schritt wird die Stadt Bern ein Nutzungskonzept erarbeiten. Unterschiedliche Ämter und freie Akteure sind in den ergebnisoffenen Prozess eingebunden.

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Judenburg: Interventionsfeld Paradiesgarten

Ob London, Bern oder München, überall war der Wachstumsdruck ein wesentlicher Antrieb. Was aber geschieht in ländlichen Regionen? Mit Paul Rajakovics von Trasparadiso und der Künstlerin Christine Hohenbüchler gelang der Blick in die 10 000 Einwohner Stadt Judenburg zwischen Wien und Salzburg. Hier geht es nicht um die Schaffung neuer Areale, sondern darum, Perspektiven für eine schrumpfende Region zu entwickeln.

 

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„Urban curatin“ Plan des Paradiesgartens, der urbane Wünsche und künstlerische Positionen vereint. © transparadiso, Barbara Holub / Paul Rajakovics

 

Die Ausgangslage bildet ein naturnahes Grundstück, der ehemalige Paradiesgarten des Klosters direkt an der Mur. Transparadiso entwickelte Kommunikationsstrategien, koordinierte in einem zweistufigen Konzept Künstler und Stadtverwaltung und involvierte Jugendliche mit konkreten Interventionen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Innerhalb von drei Jahren wurden fünf verschiedene Veranstaltungen geplant und durchgeführt.

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Exkursionen auf der Mur. © transparadiso, Barbara Holub / Paul Rajakovics

 

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Künstler und Jugentliche bauen im Paradiesgarten gemeinsam eine BMX Bahn. © transparadiso, Barbara Holub / Paul Rajakovics

 

Dabei sehen die Künstlerinnen Hohenbüchler und die Architekten von Transparadiso die Aktionen, ob der Bau einer BMX Bahn, das stricken einer Riesensocke für einen Autobahnbrückenfuß oder Exkursionen entlang und auf der MUR, als urbane Instrumentarien an, um die Qualitäten des Areals zu stärken und vor allem für die Jugend Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Um den ehemaligen Paradiesgarten auch langfristig zu beleben, ist bis zum Jahr 2020 eine Wohnbebauung am Rande des Areals geplant.

 

Ungeachtet der Richtung, ob von „oben“ dirigiert oder von „unten“ angestoßen, in partizipatorischen Prozessen schlummern Möglichkeiten, da waren sich die gut hundert Teilnehmer des Kölner Symposiums am Ende einig. Kunst definiert nicht endgültig, sondern lässt Freiraum für Fortschreibung. Dies und auch die „nonverbale Erprobung eines Ortes lassen seine Potenziale anders erkennen und schaffen belastbare, weil gemeinsam gefundene Antworten“, so Reinhard Angelis in seinem Moderationsresümee. Bei aller Unterschiedlichkeit der Projekte fiel besonders die zugewandte Interaktion der Akteure auf, die gemeinsam mit den Zuschauern die Veranstaltung mit einem spontan intonierten Canon beendeten.

 

Barbara Schlei

 

 

 

Dieser Text erscheint in der Zeitschrift Der Architekt 1/2016