Vorerst aber wird mal wieder in die Vergangenheit und in die Archive geschaut. Dabei lassen sich noch immer Entwürfe ausgraben, die vor knapp einem halben Jahrhundert für Aufmerksamkeit und Erfolg sorgten – und nun offenbar wieder in die Zeit passen.
Gutes von Gestern
Walter Knoll holt beispielsweise den „Votteler Chair“ aus den Schubladen. Vor 60 Jahren von Arno Votteler entworfen, steht der Sessel mit seinen abgewinkelten Volumina auf leichten Metallfüßen. Aufgefrischt mit einem neuen Stoff namens „Anni“ – im Gedenken an Anni Albers und inspiriert von „der Wohnkultur der Fünfzigerjahre“, so ist zu lesen –, der mit einem Metallgarn versehen ist, wirkt der Stuhl ebenso vertraut wie elegant. Mit der „Sadi & Neptun Ozis Collection” – bestehend aus„Fishnet Chair“, „Burgaz Chair“ und „Rumi“ – legt Walter Knoll zudem jene drei Produkte wieder auf, die zu den ersten modernen Möbelentwürfen in der Türkei gehören sollen und ihre Premiere in den 1950er und 1960er Jahren feierten.
Gubi, von jeher der Geschichte verpflichtet, erweckt Louis Weisdorfs vielseitige „Multi-Lite Pedant Lamp“ aus dem Jahre 1972 ebenso zu neuem Leben wie Mathieu Matégots „Pendant Lamp“ (1953) und seinen „Lounge Table“ (1950). Aus den 1970er Jahren stammt auch das von Franz Hero und Karl Odermatt gestaltete modulare Sofa „Trio“ für Cor. Und weiter geht’s im Reigen der Revivals: Die Müller Möbelwerkstätten haben Rolf Heides „Sofabank“ (1969) wieder aufgelegt, Norr 11 den „Relaxer Rocking Chair“ (1974) von Verner Panton und der Stofffabrikant Rohi den Bezugsstoff „Sera“ aus den 1970er Jahren. Jüngster und voluminösester Spross unter den Wiederauflagen ist das Vollschaumsitzmöbel „Plumy“, das die französische Designerin Annie Hieronimus 1980 für Ligne Roset entwickelt hat. Man sitzt nicht nur bequem auf dem behäbig anmutenden „Plumy“, sondern kann auch ordentlich auf ihm rumlümmeln.
Das Bessere ist der Feind des Neuen
Woher die Freude an den Revivals kommt, bleibt auf der Messe weitgehend unbeantwortet. Meist ist von den Herstellern nur zu hören, man habe die Entwürfe wiederentdeckt, sich an sie erinnert. Vielleicht ist es auch die Designergeneration – sieht man einmal von Panton und Matégot ab – die, zwischen den 1930er und späten 1940er Jahren geboren, in naher Zukunft verblassen wird, aber die man jetzt noch hinsichtlich einer Neuauflage zu Rate ziehen kann. Parallelen zwischen dem Zeitgeist von damals und von heute jedenfalls lassen sich nur schwer entdecken. Kalter Krieg und Wirtschaftswunder, Zukunftsoptimismus und gesellschaftliche Umbrüche? Damit haben wir es aktuell weniger zu tun. Vielleicht schwindet ja einfach der Glaube an das Neue und wir verfeinern unsere Ansprüche an das Vorhandene? Das Verbessern und Verfeinern des Vorhandenen mag nicht sogleich augenfällig werden, dafür aber erfreut es, hat er die subtile Neucodierung erst einmal entdeckt, den Connaisseur umso mehr.
Same, same, but different
Die wohl einfachste Form der Produktkultivierung ist die Erweiterung der Farb- und Materialpalette. Darin, schnell einfach auf der Welle des Angesagten reiten zu wollen, besteht allerdings auch die größte Gefahr. Vitra beispielsweise bringt für den Sommer einige seiner beliebtesten Produkte – wie Jasper Morrisons „HAL“ und andere „Vitra Klassiker“ – als „All White Edition“ heraus. Das String-Regal hingegen gibt es nun auch ganz in Schwarz, und Thonet bringt unter dem Titel „Thonet All Seasons“ neue Farbkombinationen – vom kräftigen Rot bis zum gedeckten Midtone-Grün – der Stahlrohrklassiker für Drinnen und Draußen auf den Markt. Selbst beim jungen Berliner Label New Tendency kann man das hochpräzise gearbeitete und herrlich nüchterne Wandregal „Click“ aus Metall nun in den lebhaften Farben Luis Barragans und in Gold erwerben.
Bei Richard Lampert hat Steffen Kehrle seinen Tritt- und Sitzhocker „Mono“ noch einmal gründlich überarbeitet, schließlich muss man bei kleinsten Veränderungen der Form ein komplett neues Werkzeug für die Produktion fertigen lassen. Und nur der Kenner weiß wohin er zu schauen hat, um die Veränderungen zu bemerken. Man habe ihn besser machen wollen, erklärt der Münchner Designer seinen Anspruch, denn beim Gebrauch sind noch die einen oder anderen Punkte aufgefallen, bei denen „Mono“ einfach noch nicht ganz perfekt gewesen sei. Jetzt sitzt und steht es sich jedenfalls noch besser auf dem vielseitigen und praktischen Kameraden.
Ganz im Hier und Jetzt
Natürlich geht es auf einer Möbelmesse nicht ganz ohne neue Produkte, wenigstens um Erweiterungen der Kollektion. e15 beispielsweise ergänzt seine Kollektion mit Möbeln des britischen Architekten David Chipperfield um den Massivholzcouchtisch „Leighton“ und das Sideboard „Drayton“. Beide Stücke basieren auf dem von dem Tisch „Fayland“ bekannten strukturellen Prinzip. Wir erwarten als nächstes eine – protestantische – Pritsche oder ein Einzelbett. Aber wer weiß. Formell geradezu das Gegenteil zu den schweren Architekten-Möbeln ist da Jaime Hayons neuer „Pallette Desk“ für &Tradition, der große Bruder des Couchtisches namens „Pallette Table“.
Mit neuen Produkten wagt sich Pedrali nach vorn: „Nemea“ heißt der frische Holzstuhl des italienischen Designer-Trios Cazzaniga Mandelli Pagliarulo. Der Stuhl erweist sich als ausgesprochen leicht und als praktisch für den Objektbereich, denn man kann ihn an seiner gebogenen Lehne an der Tischplatte anhängen, so dass der Stuhl leicht über den Boden schwebt und dieser so einfach zu reinigen ist. Das wäre bei „Throne“ von New Tendency nicht denkbar: Aus Aluminium gefertigt, ist er ein Stuhl, den O.M. Ungers geliebt hätte. Und wie sein Name verheißt: Hier sitz man gelassen, aber würdevoll. Herumgelümmelt wird hier nicht.
Auch fällt auf: Überraschend viele Neuheiten wurden für den Flur entwickelt. In der Moderne zur funktionalen Durchgangszone verkommen, darf es dort nun wieder einladender zugehen – trotz meist bescheidener Abmessungen. Steffen Kehrle ist mit der Garderobe „Bazar“ für Richard Lampert ein vielseitiger Wurf aus Stahldraht gelungen. Bei den Müller Möbelwerkstätten wird mit dem platzsparenden „Shustack“ das Schuhregal zum Turm, und bei Schönbuch schafft Martin Hirth mit der Truhe „Chest“ jede Menge Stau- und Sitzraum zugleich. Ebenfalls neu bei Schönbuch ist die etwas bieder geratene Garderobe „Slot“ – ein einfacher Spiegel, mit rückseitiger Stange, an der man Jacken und Mäntel auf Bügeln hängt – und der Konsoltisch „Tub“; beides stammt von Sebastian Herkner.
Apropos Sebastian Herkner. Dessen Leistung, auf der imm cologne insgesamt 19 Neuheiten zu präsentieren, vermag zumindest schon mal quantitativ zu beeindrucken. Zudem hat der Offenbacher Designer in diesem Jahr den schönsten Messestand kreiert, den sich sämtliche Macher von Pop-Up- und Concept-Stores genau anschauen sollten: Er nennt sich „Das Haus“ und bietet jede Menge Anregungen, wenn es darum geht, Produkte geschickt in einer temporären Architektur zu platzieren.