Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Öffentlicher Raum – Platz für die Zukunft (Teil 1/Aufzeichnung)

Aufzeichnung des Montagsgespräches des BDA Köln, am 25. September 2000 im Domforum.

Teilnehmer:

  • Reinhard Angelis – Freier Architekt, Köln, Vertreter der Aktion „Auf die Plätze“
  • Dr. Uwe Vetterlein – IHK Köln

    Bruno Doedens – Landschaftsarchitekt, Amsterdam
  • Klaus Grages – Bereichsleiter Centermanagement ECE Projektmanagement GmbH
  • Ralf Niemczyk – Freier Journalist, Chefredakteur Internetseite Popcom, Köln
  • Walter Prigge – Soziologe, Bauhaus Dessau

Einführung: Kai Mettelsiefen, Vorstand BDA Köln

Moderation: Jürgen Keimer, Redakteur WDR Köln

Angelis: Der Platz um die Neue Nationalgalerie in Berlin, ein interessanter Ort, der bestimmt wird durch einen Ausblick, die Möglichkeit des Zuschauens, er ist, ein Aussichtspunkt, eine Loggia. Ein freier, steinerner Platz, er bietet eine leistungsfähige Topografie in Form von angedeuteten Nutzungsangeboten, auf der Brüstung oder auf den Stufen sitzen, skaten, flanieren etc. Er ist ein autonomer, eindrücklicher Ort mit der Besonderheit nicht von Häusern eingefasst zu sein, ein Platz ohne Randbebauung, ein Hochplateau, ein bemerkenswerter Ort, der sein Platzsein in sich selber transportiert.

Dr. Vetterlein: Ein Platz in Brüssel (Place la Blance) der befahren wird, zu Füßen der Kirche, als Antikmarkt genutzt, von Bürgerhäusern umgeben, nicht besonders sauber, aber ungeheuer lebendig und deshalb beispielhaft.

Niemczyk: Rathenauplatz in Köln vor seiner Aufhübschung als einen gelungenen Platz, wegen seiner sozialen Mischung. man hat die Erhabenheit der jüdischen Synagoge, man hat einen viereckigen Platz mit einem Park drum herum, wo fast jedes Haus eine Biographie hat, die man ihm ansieht, von einem nicht so tollen italienischen Restaurant bis hin zu einem Fernsehhändler oder einer merkwürdigen Gruftidiskothek. Der Platz war lange Zeit als etwas verkommen in Verruf geraten, inzwischen ist auch dort die übliche Volvofahrerisierung eingetreten, dennoch steht er für jemanden, der in der Vorstadt aufgewachsen ist, für ein bißchen Großstadt vor der richtigen großen Stadt.

Doedens: Ein Platz am Potsdamer Platz in Berlin, derzeit von uns geplant, der auch ein Stück „landart“ ist, an dem sich der Unterschied zwischen Park und Platz verwischt, der nicht nur Verkehrsraum ist, sondern der einen Widerstand beinhaltet und dadurch neue überraschende Möglichkeiten eröffnet. Hier findet eine Verankerung des Ortes statt, durch ein Statement zum Ort, ein wichtiger Aspekt für die Zukunft einer Stadt.

Grages: Ein idealer Platz ist ein Platz für Menschen, er reagiert auf die Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten, er ist nicht Selbstzweck und nicht ausschließlich Spielort von Architektur, er bietet Laufwege und Ruhezonen für die Menschen.

Prigge: Zwei gegensätzliche Extreme von Platzgestaltung, mit denen man sich in der Diskussion auseinandersetzen muss:

Der Savignyplatz in Berlin, ein ovaler Platz, überquert von Verkehr und eine Hierarchie des Verkehrs in Form von gut gelösten Straßeneinmündungen herstellend, geprägt durch die grüne Mitte hergestellter Natur und die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten auf breiten Bürgersteigen, durch eine Funktionsüberlagerung, die ein wichtiges Merkmal städtischer Plätze ist, dienend der Verkehrsverteilung innerhalb des Straßennetzes (auch durch die S-Bahnstation), eine Gelegenheit zum Stehenbleiben oder zum Verweilen bietend, der architektonische Ausdruck einer untergegangenen Gesellschaft, das Modell Museum. Dieser Typus des musealen Platzes wird heute ergänzt durch das Modell der Gestaltung von Plätzen durch Kunst oder Künstler.

Im Gegensatz dazu das Centro Oberhausen, ebenfalls ein künstlich hergestellter Ort, witterungsunabhängig, eine Erlebniswelt, geprägt durch Verkehrsströme und eine dominante Konsumfunktion, durch Ordnung, Sauberkeit und soziale Sicherheit und damit durch extreme Ausgrenzung, ein typisches Beispiel für einen privat hergestellten öffentlichen Raum, der überraschenderweise gut funktioniert, d.h. angenommen wird.

Für welche Gesellschaftsform in der Stadt gilt es zu planen, auf welche Gesellschaftsform gehen wir zu?

Doedens: Auf Grund der Konkurrenz der historischen Zentren mit den Zentren vor der Stadt gilt es die Qualitäten der Innenstädte weiterzuentwickeln. Dies sollte geschehen durch das Ermöglichen von Interaktion zwischen verschiedenen Funktionen, durch ihre Überlagerung, ein besonders wichtiger Aspekt, sonst entwickelt sich eine „arme“ Innenstadt. Diese Weiterentwicklung sollte gemessen werden an und eingebunden sein in eine Strategie für den öffentlichen Raum einer Stadt, da ansonsten das Geld und die Investoren regieren. Gibt es einen Plan für den öffentlichen Raum in Köln? Es gilt durch ihn die spezifische Qualität Kölns herauszuarbeiten, beispielsweise das Wasser und die Plätze.

Das berührt einen wunden Punkt. Die Kölner haben den Eindruck, es fehlt genau an dieserPerspektive, die Frage, was will die Stadt mit sich selbst, wird nicht gestellt. Braucht die Stadt öffentliche Räume in der Zeit des Internets, obwohl der Markt längst woanders ist?

Niemczyk: An Hand einer beliebigen Stadtzeitung kann man feststellen, dass, verglichen mit dem Jahr 1985, damals gab es das Internet noch nicht, heute dreimal mehr öffentliche Veranstaltungen, Konzerte, Feste etc. stattfinden, die alle ihr Publikum finden. Es gibt also ein Bedürfnis nach diesen konkreten Orten, ihr Angebot gehört zu den weichen Standortfaktoren einer Stadt. In dieser Hinsicht macht Köln was her. Bertelsmann beispielsweise hat Schwierigkeiten, Führungspersonal nach Gütersloh zu bewegen, trotz überdurchschnittlicher Gehaltsangebote. Das hat auch etwas zu tun mit der Stadt und ihren Räumen.

Zurück zur Frage „Was will die Stadt mit sich selbst“.

Dr. Vetterlein: Das Gegensatzpaar gestrige, museale, tote Stadt und das heutige Modell Einkaufszentrum ist zu hinterfragen. Es geht darum, museale Strukturen weiterzuentwickeln, sie neu zu besetzen. Umfragen belegen, gerade die Jugend möchte nicht Chromglanz und Glas. Sie sucht anheimelnde, warme, traditionelle, historische Strukturen. Welche Konzepte wollen wir? Wir können uns nicht entscheiden: wollen wir eine Stadt von europäischem Rang sein, mit Weltgeltung im kulturellen Bereich oder größtes Dorf der Welt? Daher der Streit um Einzelfälle, um Hochhäuser und Platzgrößen. Auf dem Neumarkt beispielsweise eine Gebrauchtwagenbörse, eine absonderliche Funktion für einen zentralen Platz in einer Stadt dieser Größe. Kann man sich vorstellen, mit internationalen Gästen auf dem Roncalliplatz oder dem Heumarkt auf einer Bank zu sitzen und sich wohlzufühlen? Keiner weiß, was wir mit den Plätzen wollen.

Weiß es die IHK?

Dr. Vetterlein: Wir müssen uns in den Bereichen Kunst und Kultur und auch im Bereich Wirtschaft zumindest europäisch, vielleicht auch weltweit aufstellen. Das hat Auswirkungen auf unsere großen Plätze. Darüber hinaus müssen die Plätze in den Stadtvierteln in ihren traditionellen Funktionen, als sozialer Treffpunkt, als Ort des Austausches und als Aufenthaltsort gestärkt werden. Es gilt, Plätze als Identitätspunkte für Bürger zu schaffen, um dem sozialen und wirtschaftlichen Abstieg der Stadteilzentren entgegenzuwirken, den die IHK mit großer Sorge beobachtet.

Doedens: Die Frage Dorf oder Stadt ist für den Außenstehenden nicht nachvollziehbar, Stadt muss beides sein, sie muss an unterschiedlichen Orten spezifische Qualitäten aufweisen. es geht um den intelligenten öffentlichen Raum, den Freiraum, der unterschiedlich programmierbar ist.

Der Platz muss so sein, dass man ihn frei jederzeit umfunktionieren kann. Kann das bei einer Planung in der Anlage festgelegt werden?

Doedens: Das nenne ich intelligenten öffentlichen Raum: bestückt mit unsichtbaren, dienenden, technischen Installationen, die es ermöglichen, die Atmosphäre eines Ortes zu verändern. Beispielsweise Lichtstimmungen, ein Dach etc. diese Installationen ermöglichen zielgruppenspezifische Veränderungen eines Ortes. Es geht um das Umdrehen der Stadt, ohne die Basis zu verändern. Diese Basis ist ein Freiraum, nicht durch Möblierung verstellt und eingebunden in die Struktur der Stadt, die der wesentliche, charakteristische Zusammenhang ist.

Prigge: Warum reden wir über öffentlichen Raum. Das Öffentliche an den öffentlichen Räumen erodiert, öffentliche Probleme werden zwar öffentlich abgehandelt, in den Medien, aber privat angeeignet. Das Öffentliche an den öffentlichen Räumen wir zurückgenommen zugunsten einer Privatisierung, die bis zur Herstellung des öffentlichen Raumes als privaten Raum geht (ECE Zentren).

Es gibt eine Gegenbewegung dagegen, wir wehren uns. Dennoch müssen wir aufhören, den Plätzen zuviel zuzumuten. Die Frage, für welche Gesellschaft sollen wir Plätze konzipieren, ist viel zu groß für das letztlich banale Problem, wie gestalte ich einen Platz. Die Ideologie, kulturelle Identität durch Gestaltung herzustellen ist Unsinn, das ist nicht möglich. Der Anspruch, durch Gestaltung eines Platzes Gesellschaft zu verändern oder Identität zu schaffen, ist falsch. Man muss Freiräume lassen, die individuell zu deuten sind, die Rezipienten machen ihre eigene Geschichte.

Was ist ein Platz? Historisch gesehen hat er eine Verteilungsfunktion, er ist der Ort, wo man stehen bleibt, verweilt. Die Aufgabe von Platzgestaltung ist es, das Verweilen zu organisieren. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Das geschieht entweder durch Konsum, egal in welcher Form. Ohne Konsum funktioniert ein Platz nicht, im Gegensatz zu den medial vermittelten Kulturen. Die andere Möglichkeit ist das Modell des öffentlichen Raumes als Wahrnehmungsraum, für und durch Kunst. Kunst wirkt als Anregung über etwas nachzudenken, sie ist Schärfung von Wahrnehmung, zum Teil auch Provokation.

Die Anforderung an eine ambitionierte, moderne Platzgestaltung ist, den Kunstaspekt in die Gestaltung des Platzes zu integrieren, anstatt ihn durch Kunst zu möblieren, beispielsweise durch das Reiterstandbild. Das ist ein Kunststück.

Wie geht es dem in dieser Stadt lebenden Architekten, als jemand, der Ideen zu dieser Stadt hat und unglücklich ist, sie nicht realisieren zu können, beim Anhören dieser Diskussion?

Angelis: Welche Orte in dieser Stadt erfüllen bereits Aspekte dieser Diskussion? Wo findet sich eine leistungsfähige Struktur, zart angelegt und sich verändernd, einstellbar, nicht durch Knopfdruck sondern durch das unterschiedliche Erfahren einer Situation, angelegt mit feinen Nuancen, deren Bedeutung im Verlauf des Tages wechselt und die durch die Rezipienten ständig neu interpretiert wird. Ein leerer Platz, viele Menschen auf den Weg …, Sonntag, die Menschen flanieren, sitzen in den Cafés. Dieser Ort muß freier Raum sein, offen für die Möglichkeit, dass die Menschen, die an diesem Ort zusammenkommen, sich diesen Ort durch Handlung einstellen können. Dazu müssen die vielen kleinen Gegenstände, die eine Textur über die Stadt legen, durch die Verhalten determiniert wird, entfernt oder neu plaziert werden. Diese Elemente, die nichts zu einer Leistungsfähigkeit im Sinne von Alltagstauglichkeit beitragen, sondern angenehme und sinnvolle Aneignung von öffentlichem Raum durch Bürger verhindern.

Was sollte an einem konkreten Ort dieser Stadt geändert werden, damit man sich dort wohler fühlt?

Angelis: Der Versuch, im Rahmen der Aktion „Auf die Plätze“ die Wahrnehmung der Kreuzung Pfeilstraße / Ehrenstraße durch die Installation „Platz Da“ zu verändern, markiert so einen Ort. Hier stellt sich die Frage, ist das nicht ein Platz. Hier wird der Ort, an dem man sich gerne aufhalten würde, der Beobachtung in der Sonne, durch einen Fahrradständer verstellt. Ein winziges Detail, mit weitreichender Auswirkung für den Ort. Die Möglichkeit des Stehenbleibens, des Verweilens, des Heraustretens aus dem Getriebe, was zu einer neuen Wahrnehmung des Ortes, zu neuen Erkenntnissen führen könnte, wird durch dieses Objekt verstellt. Letztlich geht es darum, Räume freizuhalten, damit sich im Verlauf des Tages unterschiedliche Dinge in diesen Räumen ereignen können.

Unterhalb des Domes, der Dionysosbrunnen, ein öffentlicher Raum, bevorzugt genutzt von Obdachlosen, die um diesen Brunnen lagern, ist das aus Sicht der IHK eine gelungene Platzgestaltung, da er von einer Untergruppe dieser Gesellschaft angenommen wird?

Dr. Vetterlein: Auch diese Gruppe braucht einen Ort. Im Hinblick auf die Anforderung an einen Platz, das Zusammentreffen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zu ermöglichen, ist dieser Ort falsch. Stadt hat jenseits der Konsumfunktion die Aufgabe, das Flanieren, das Gucken zu ermöglichen. Die Menschen sind Beobachter und Akteure, quasi die Kunstwerke. Es geht um die Aufenthaltsqualität der öffentlichen Räume, durch die diese wichtige Funktion von Stadt und Plätzen ermöglicht werden soll.

In den überdachten Einkaufszentren gäbe es für die Obdachlosen viel schönere Orte, die jedoch richten sich an eine andere Teilgesellschaft. Wie wird dafür gesorgt, dass sie unter sich bleibt?

Grages: Obdachlose sind, wie das Beispiel zeigt, ausgrenzend wirksam, andere Gruppen der Gesellschaft halten sich an von Ihnen genutzten Orten nicht gerne auf. Diese anderen Gruppen machen 99,5 % der Bevölkerung aus.

Es geht nicht um Verbannung von Konsumunwilligen aus den Centern, jeder ist willkommen. Es werden viele Dinge organisiert, die nichts mit Konsum zu tun haben, beispielsweise eine China-Woche oder Kunstaktionen. Diese speisen sich aus dem Verständnis des Centers als urbaner Lebensraum. Es geht um mehr als um das Angebot Geld auszugeben, es geht ums Flanieren, um Aufenthalt und Verweilqualität, in Chorweiler oder im Hauptbahnhof werden Problembereiche durch helle Passagen ersetzt. Letztlich geht es um die Entscheidung für oder gegen Jemanden, die Center können keine gesellschaftlichen Probleme lösen, wenn jemand sich unangemessen verhält, wird er gebeten, das Center zu verlassen, da das die restlichen 99,5 % abschreckt.

Die Frage für wen, großes Dorf oder europäische Ebene ist vielleicht nicht die richtige Alternative, geht es nicht um die Frage, welches Selbstbewußtsein hat eine Stadtbürgerschaft, gibt es sie überhaupt noch, sind große Städte nicht nur noch Durchlaufstationen für viele?

Niemczyk Das Beispiel Barcelona, eine Stadt geprägt vom Selbstbewußtsein der Katalanen, zeigt, dass ein großer Entwurf, mit vielen verschiedenen Ebenen, der Umgestaltung der kleinräumlichen Altstadt mit den damit verbundenen sozialen Problemen ebenso wie die großen Projekte, getragen wird von einem extremen Selbstbewußtsein. Wir sind super, wir haben Weltgeltung und wir haben auch einen super Fußballverein. Dieses Selbstbewußtsein ist nötig, um diese umfassenden und weitreichenden Konzepte umzusetzen.

Doedens: Die Frage, für wen planen wir, ist nicht mehr zu beantworten, die Individualisierung der Gesellschaft schreitet fort. Es geht um viele Antworten, um Zwischenräume, um semiöffentliche Räume. Es muss für die nächsten 100 Jahre gedacht werden.

Dr. Vetterlein: Vor lauter Selbstgenügsamkeit vergisst man in Köln das Denken über den Tellerrand, über die Stadtmauer hinaus. Das führt zu vielen halbgaren und unfertigen Dingen, abgebrochen oder nicht zu Ende gedacht.

Zum Beispiel?

Dr. Vetterlein: Vis a vis des Doms, in der Burgmauer, ein Busparkplatz, abgegrenzt durch Schranke und Waschbetonblumenkübel, vor dem besten Dompanorama. Qualität macht sich fest an den Fragen für wen, was ist es mir wert und was will ich damit erreichen. Uns Kölnern fehlt das Selbstbewußtsein, die vorhandenen Qualitäten der Stadt weiterzuentwickeln und offensiv zu verkaufen. Vielen Bürgern und Politikern ist der öffentliche Raum offensichtlich sch… egal.

Die Gestaltung der Kölner Plätze ist einer Müllentsorgungsfirma anheim gegeben, die überall diese Müllcontainer aufstellt, die dann darauf wartet, dass sie hinter den Müllbergen verschwinden, worauf dann ab und zu jemand vorbeikommt, um aufzuräumen.

Publikum: Die Situation um den Dom ist eine bedeutende Raumfolge, die in ihrer Entstehungszeit eine Qualität hatte, die durch verschiedene Entwicklungen verlorengegangen ist. Der Dionysosbrunnen beispielsweise war Teil einer Wegeführung zum Bahnhof, die durch den Neubau des Museums Ludwig abgeschnitten wurde. Diese Orte muss man, neben vielen anderen in der Innenstadt, weiterentwickeln. Das ist schwer, wenn Stadtverwaltung und Bürgertum kein räumliches Empfinden haben.

Frage nach der politischen Funktion des öffentlichen Raumes

Prigge: Konsum ist wesentliche Bestandteil der Kultur dieser Gesellschaft, es gibt also einen Zusammenhang zwischen Konsum und Kultur. Gestaltung ist das Organisieren einer bestehenden Nutzung, sie erzeugt eine andere Wahrnehmung des Gebrauchs von städtischem Raum. Gute Gestaltung schafft Bewußtsein. Ohne Konsum funktioniert ein Platz nicht, im Gegensatz zu den medial vermittelten Kulturen.Das Image der Stadt ist eine Frage in einem anderen Maßstab, auf einer anderen Ebene. Das ist die Oberbürgermeisterebene, die Ebene der Stadtentwicklungspolitik. Hier geht es um die Positionierung der Gesamtstadt.

Publikum: Es geht um die Perspektive von unten, was will die Stadt mit dem Bürger, was will der Bürger von der Stadt. Es geht um Gebrauchswert, um die Möglichkeit selbstorganisiert eine Situation zu verändern (Rathenauplatz). Es geht um Freiräume für selbstgestaltetes Leben.

Als Antwort auf die Frage, für welche Gesellschaft, für Freiraum, Raum für Fragen, für Entwicklungsmöglichkeiten.

Der Wiener Platz als Beispiel für einen gelungenen Platz.

Der Roncalliplatz als Beispiel für die Mißverständnistauglichkeit einer Situation. Die ästhetische Entscheidung für einen glatten Belag befördert 20 Jahre später die Aneignung durch die Spaßgesellschaft. Man weiß nie, für welche Gesellschaft man plant.

Alles blickt auf den Dom, nicht über den Tellerrand, nach außen, hinaus. Der Dialog Stadtverwaltung, Bürger, Fachleute findet nicht statt. Der Blick sollte sich aufs Ganze, dann auf die Details richten.

Frage nach Rezepten, was soll man umsetzen, was an Aufgaben mitnehmen.

Kritik am Sicherheits- und Sauberkeitsdenken. Plätze sind wie Stadtgesellschaften, reich oder arm, gewaltsam oder human. Öffentliche Räume stehen für Weite in der Enge der Stadt. Es geht nicht darum, die Plätze zu entertainen, sie sind Proklamationsfläche, Demonstrationsflächen, auch Erklärungsflächen. Für reales Leben auf den Plätzen, gegen Privatisierung. Schutz des öffentlichen Raums vor Überorganisation, vor Verpachtung und Kommerzialisierung. Politik und Menschen auf die Plätze. Die Gestaltung darf nicht den Politikern überlassen werden, sie spiegeln die Ratlosigkeit der Gesellschaft. Fachleute sollten zu Rate gezogen werden.

Zu viele Möbel, Poller, Kübel und Schilder auf den Plätzen.

Der Altermarkt als Beispiel eines schönen Platzes, verunstaltet durchdie unsägliche Ausstattlung der Außengastronomie. Gegen das Vollmüllen der Plätze durch Ausstattung. Frage nach Verantwortung für Gestaltung, nach dem Stadtbaumeister, denn in Köln wer es immer keiner, wenn es schiefgegangen ist. Kölner sind urbane Menschen, sie brauchen einen leeren Platz, die Stühle bringen sie gegebenenfalls schon selber. Ein guter Fußboden und kleine gestalterische Angebote an der richtigen Stelle reichen.

Verweis auf die offene Frage nach der Nutzung des Heumarkts, die andernorts in der Regel vor der Gestaltung geklärt wird.

Frage nach dem städtischen Konzept zur visuellen Entmüllung und zur Eindämmung der Schilderflut.

Viel Kritik bedeutet viel Bewußtsein für mögliche Verbesserungen. Frage nach Regelung der prinzipiellen Fragen, nach der Zukunftsvision für Köln.

Eine Zukunftsvision für Köln?

Angelis: Mehr Subtilität und Nachdenken bei der Gestaltung des öffentliche Raumes. Es gibt Objekte, die den sie umgebenden Raum vernichten, andere erzeugen Raum. Letztere gilt es zu denken. Beispielsweise der Platz hinter dem Podium, dort gibt es einen sehr zarten, feinen und subtilen Taubenbrunnen von Matare. Daneben wurde eine Domspitze, die Kreuzblume aufgestellt, sie vernichtet den sie umgebenden Raum und den Brunnen. Das ist ein Akt von Barbarei, der bei mehr Nachdenken über öffentlichen Raum nicht geschehen wäre.

Dr. Vetterlein: Bei der von der IHK initiierten Aktion „clean up cologne“ ging es nicht nur um Sauberkeit, sondern um Instandsetzen und Aufräumen, um Wiedergestalten. Kölner Platze sind aus der Sicht von Jugendlichen trist und eintönig, belegt eine Umfrage. Sie wünschen sich mehr Farbe, mehr Leben. Persönlich wünsche ich weniger Poller.

Die Zukunftsvision, pollerfreie Zonen?

Dr. Vetterlein: Die anderen Dinge, ich schließe mich den Wünschen der Jugendlichen an.

Niemczyk: Keine Vision, sondern ein konkreter Platz, da es immer weniger Möglichkeiten gibt, etwas zu verändern. Ein Platz der sich immer noch entwickelt ist der Platz vor dem Mediapark. Ein moderner Platz, ein glatter Platz, also Skateboard und BMX -tauglich. Ein großstädtischer Platz mit einer besonderen Funtion. Dort können die sonst gescholtenen Bergheimer herumsitzen und ins Kino gehen, ohne Konflikte mit den Anwohnern, dort wohnt nämlich keiner, außer Viva und dem WDR, was praktisch ist, weil die dann die Bergheimer zu den backstreet-boys befragen können.

Dort ist es möglich sich ohne den üblichen Bürgerkleinärger, ausgehen, sich gegen Menschen die um 10 Uhr ins Bett gehen wollen, aufzuhalten. Die vorhandenen Lüftungselemente lassen sich gut als Stehhilfen mißverstehen, man kann sich anlehnen. Eine konkrete Zukunftsvision, die sich gerade entwickelt und die man besonders gut an warmen Sommertagen beobachten kann.

Doedens: Eine Gestaltung, die den Rhein als Ausgangspunkt nimmt, den Maßstab des Rheins als wesentliches Identitätsmerkmal der Stadt. Es braucht einen Plan, ein Szenario. Das sektorale Herangehen führt immer dazu, daß der Verkehr die Oberhand hat. Es braucht einen Oberbürgermeister für den öffentlichen Raum, vielleicht ein Stadtbaumeister, der integrale Ansätze befördert. In Holland beschäftigen sich viele Landschaftsarchitekten mit öffentlichem Raum, da sie in der Lage sind, einen integralen Ansatz zu verfolgen. Alle Aspekte einer Planung werden übereinandergelegt, die Autos, die Fußgänger, die technische Infrastruktur etc. Am Beginn steht die Analyse. Was ist. der Platz, das Zentrum, die Stadt, was sind die Ziele auf den verschiedenen Ebenen? Diese Aspekte werden in Planung übersetzt, Straßen und Plätze. Verkehr und Aufenthaltsqualität, werden zusammen betrachtet, das ist besonders wichtig, sonst entstehen neue Probleme.

Köln hat viele Qualitäten, große Potentiale, die nicht genutzt werden. Sie sollen entwickelt werden, sie sind gewissermaßen unter dem Tisch und müssen hervorgeholt werden.

Grages: Die großen nicht gestalteten Bereiche im Zentrum, beispielsweise um den Dom herum, müssen neu gestaltet werden. Derzeit werden die Menschen, die verweilen wollen, hier an den Rand gedrängt. Es gibt nicht genug Sitzmöglichkeiten, eine Gestaltung für die Menschen ist nötig, mit mehr Aufenthaltsqualität.

Prigge: Die Piazza, schön, rornantisch, gut, wird konkurriert von der monofunktionalen Welt des Konsums, dem Einkaufszentrum. Die Zukunft liegt in der Integration von Kunst und Kultur in die Konsumwelt, nicht als beigegebenes Erlebnis. Architektur und Kunst. Gestaltung sollte sich anders auf Ökonomie beziehen als in den vorhandenen Beispielen.

Auffallend ist die Vermeidung des Wortes Ästhetik, sie ist nicht ganz richtig. Es geht auch immer um basishafte ästhetische Dinge, Um Mauern, Wände, Grundflächen. Eine Zukunftsvision, wünschenswert wäre, wenn die Menschen in Köln, die irgend etwas mit Entscheidungen Ober öffentlichen Raum zu tun haben, sich vor der nächsten Entscheidung zum Meditieren in die Konchen von St. Gereon oder die Krypta von Maria im Kapitol zurückziehen würden, um angesichts dieser großartigen Architektur weiterzubauen.

Angelis, 22.11.2000