Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Die Privatsphäre im Spind

Neue Arbeitsplatzkonzepte räumen auf. Auf dem Schreibtisch und in den Köpfen.
Doch auch für Architekten entstehen dadurch neue Anforderungen; ein neues Bewusstsein ist gefragt.

Neue Strukturen werden unser zukünftiges Arbeitsleben bestimmen. Was sich für viele in erster Linie wie ein Traum aus dem 21. Jahrhundert anhört (wir leben im 21. Jh.!), ist für andere Alltag. Pilotprojekte wie das „papierfreie Büro“ wurden z.B. in Stuttgart schon vor einigen Jahren ins Leben gerufen. Voraussetzung hierbei: eine ausgeklügelte Softwarestruktur, die eine eindeutige Zuordnung zur Ablage der Daten ermöglicht.

Die Gedanken gehen weiter. Die Realität auch. Desk-Sharing – zwei oder mehrere Personen teilen sich einen festen Arbeitsplatz – gehört vielerorts zum Alltag.

Die Erweiterung des Gedankens heißt nonterritoriales Büro. Gemeint ist damit die fehlende persönliche Zuordnung. Das „eigene“ Büro löst sich auf. Die allmorgendliche Suche nach einem neuen Schreibtischplatz beginnt. Zettelwirtschaft und Klebebildchen am Monitor haben ein Ende. Das mobile Telefon und sonstige „Privatsphäre“ wie die Tischpflanze und das Familienbild landen jeden Abend im „Caddy“, einem Rollkuli, der eingeschlossen wird – (auch hierzu gab es im Rahmen des offision-Wettbewerbs einen Entwurf).

Ein Versuchsprojekt am Fraunhofer Institut, das genau dieses Konzept verfolgt, hat ergeben, dass sich nicht nur die Kommunikation unter den Angestellten und das Arbeitsklima verbessern, sondern auch eine Produktivitäts- und Kreativitätssteigerung von bis zu 20% erreicht werden kann (so Werner Biesenberger, Leiter des Fraunhofer-Verbundprojektes Office Innovation Center).

Inzwischen wurden bereits Schlüsse aus der neuen internen Infrastruktur gezogen und die 25% der Arbeitsplätze, die permanent wegen Fortbildung, Krankheit, nicht besetzt sind, in mancher Firma abgebaut.

Es bedarf einer Umgewöhnung. Alte Verhaltensweisen müssen abgelegt oder zumindest von jedem einzelnen neu überdacht werden.

Der Gedanke ist nichts Neues. In Wohngemeinschaften machte man in den wilden Siebzigern den Anfang, sich von persönlichem Besitz zu trennen und teilte Wohnungen nicht mehr in „mein“ und „dein“, sondern in Funktionsbereiche wie Küche, Kommunikationszimmer, Ruheraum etc. ein. Hierarchien wurden auch zu jener Zeit hinterfragt und noch häufiger aufgelöst.

Gerade für Architekten entstehen dadurch neue Anforderungen. Benannte Hierarchie spiegelt sich auch in der Architektur nicht mehr. Typische Arbeitszimmer von ca. 5 bis 6 Metern Tiefe gehören der Vergangenheit an. Die Arbeit z.B. im „Club“ erfordert großzügige und variable Raumstrukturen.

Ein großes Problem stellt die Umnutzung von alten Bürogebäuden dar. Ganz zu schweigen von technischen Problemen hat auch der äußere Rahmen ausgedient: Die traditionelle Zellenstruktur von außenliegenden Büroräumen mit Tageslicht und zentrierter Verkehrsfläche in der Mitte erforderte bis dato eine Gebäudetiefe von ca. 13 Metern. Nicht genug für neue Konzepte. Kombibüros mit kommunikativer Insel im Inneren erfordern eine Gebäudetiefe von 15 bis 16 Metern.

Noch überwiegt die Nachfrage nach dem klassischen Bürotypus. Wie die Entwicklung weiter geht, ist schwer zu prognostizieren. Doch hätte dieses starke Auswirkungen bis hin zur städtebaulichen Ebene.

Neue Anforderungen entstehen an die Architekten auch beim Konzept des sogenannten „hoffice“. Das Home-Office (auf gut Deutsch: der Heimarbeitsplatz) ermöglicht eine immense Flexibilität in Ort und Zeit. Problematisch gestaltet sich allerdings die Kommunikation mit Kollegen. Und auch in Zukunft kann und wird eine Konferenz nicht ausschließlich am Monitor stattfinden. Dennoch bedarf dieser Ansatz das Gespür des Architekten für die Kombination von Privatsphäre und Arbeitsumfeld; eine deutliche, aber dennoch fließende Grenze muß geschaffen werden.

Links: offision-homepage – https://www.offision.de

Thema in swr2 – Wissen – https://www.swr.de