Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Kein Schnellverband für die offene Wunde

Ergebnisse des Wettbewerbs „Erweiterung des Gymnasiums Kaiserin-Augusta-Schule und städtebauliche Entwicklung des Georgsviertel“

Warum dieser Wettbewerb seit seiner Auslobung im 2012 mit großem Interesse begleitet wurde verrät der lange Titel nicht. Doch ein Blick auf den Stadtplan klärt die prekäre Lage: Das Grundstück der zu erweiternden Kaiserin-Augusta-Schule grenzt im Westen an den Krater, dessen Ausmaße bis heute Zeugnis ablegen von Schrecken und der Trauer nach dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln im März 2009.

Natürlich kann an dieser Stelle nicht einfach eine Turnhalle oder ein Wohnhaus gebaut werden, ganz praktisch nicht, weil das Beweissicherungsverfahren zur Unglücksursache wie auch der U-Bahn-Bau selbst noch nicht abgeschossen sind, und weil auf dem Grundstück eine schwerwiegende emotionale Hypothek lastet, die zu ignorieren sich Planer und Politiker nicht leisten können. Denn darüber, dass Zeit und Alltag das Unglück nicht in den Hintergrund drängen, wacht – fachlich durchaus kompetent – die bürgerschaftliche Initiative „ArchivKomplex“. Die ehemalige Stadtkonservatorin Hiltrud Kier sprach in einer öffentlichen Stellungnahme für die Initiative noch im Juni 2012 von dem Einsturzort als einer eitrig entzündeten Wunde und mahnte davor, diese mit stadtplanerischen Maßnahmen allzu schnell verschließen zu wollen. Stattdessen rief sie auf zur Auseinandersetzung mit Trauer und Einsicht und dazu, sich Zeit zu nehmen, um eine würdige Form des Gedenkens zu finden.

Quartiersrundgänge als Ideenschmiede

Aus stadtplanerischer Sicht sind drei Jahre nur ein Wimpernschlag, dass es doch in so kurzer Zeit nach dem Einsturz zur Auslobung des Wettbewerbs gekommen ist, lag auch daran, dass die Planungen zur Erweiterung der Kaiserin-Augusta-Schule schon im Dezember 2008 mit der Entscheidung des Stadtrates begonnen haben, allen Schulen der Sekundarstufe I den Betrieb als Ganztagsschule zu ermöglichen. Trotz dieser dringend notwendigen Schulerweiterung ging die Stadt auf die Forderungen der Initiative ein, nahm sich die Zeit und ließ ein umfangreiches Bürgerbeteiligungsverfahren entwickeln um Perspektiven für das ehemalige Archivgelände zu finden. Neun Monate dauerte das Verfahren, das mit Hilfe der Volkshochschule und eines Politikberatungsinstitutes durchgeführt wurde. Auf Quartiersrundgängen wurden Ideen wie Bedenken quasi auf der Straße systematisch gesammelt und in einem zweitägigen Workshop mit dem Ziel weiter erörtert, die Ergebnisse zum Bestandteil der Aufgabenstellung des daraufhin ausgelobten Wettbewerbs zu machen. Konkret wurden hier unter anderem Empfehlungen zur städtebaulichen Figur und Durchwegung, zur Nutzungsmischung und zur Konzeption des Gedenkens gegeben.

Ausgelobt wurde der Wettbewerb mit einem Realisierungsteil für die Erweiterung der Kaiserin-Augusta-Schule (Hochbau) und einem städtebaulichen Ideenteil. Für den Ort des Gedenkens an der Einsturzstelle sollte lediglich ein Platzhalter geplant werden, konkretisiert wird diese Thematik zu einem späteren Zeitpunkt mit einem weiteren Wettbewerb.

Nach zweitägiger Beratung empfahl die Jury Ende Oktober 2012 unter Vorsitz von Zvonko Turkali den Entwurf des Leipziger Büros ZILA mit LTHX (Dresden) aus den 25 eingereichten Arbeiten zur weiteren Bearbeitung. Mit einem deutlichen Abstand zum Preisträger wurden noch zwei dritte Preise (trint + kreuder d.n.a Architekten, Köln sowie Reimar Herbst Architekten BDA, Berlin), ein vierter (Sichau & Walter Architekten GmbH, Fulda) und zwei Anerkennungen (Harter+Kanzler Freie Architekten BDA, Berlin sowie SCHALTRAUM ARCHITEKTUR, Hamburg) vergeben.

Erster Preis: ZILA (Leipzig) mit LTHX (Dresden)

Das rund 7 ha große Wettbewerbsgebiet wird an seiner westlichen Seite von der Severinstraße begrenzt und fasst im Nordwesten die romanische Kirche St. Georg ein. Mit einer konsequent fortgeführten Blockrandbebauung fasst der Entwurf von ZILA den heterogen und kleinteilig vorgefundenen Bestand zusammen und bildet auf diese Weise eine nach außen hin deutlich ablesbare und saubere städtebauliche Figur. Das Raumprogramm mit einer Fläche von 6076 qm musste auf einem Plangebiet von 11.000 qm untergebracht werden. Die weitgehend im Blockinnenraum gelegene Kaiserin-Augusta-Schule rückt mit einem neuen Südflügel, dessen Kubatur sich an dem Maßstab der Umgebung orientiert, an den Blockrand vor. Auf diese Weise wird der Schulhof zwar verkleinert, aber auch räumlich gefasst und aufgewertet. Zwischen dem Neuen Südflügel und der Blockrandbebauung an der Severinstraße ist eine um ein Geschoss eingegrabene Dreifeldsporthalle als Solitär geplant, die wie die Aula auch unabhängig vom Schulbetrieb genutzt werden kann. Für diese öffentlich genutzten Gebäudeteile wird eine Durchwegung des Planungsgebietes in Ost-West-Richtung angeboten, die die Severinstraße mit der Follerstaße verbindet. Den Eingang dieser Passage bildet eine Fuge in der Bebauung an der Severinstraße, die durch ihre Überhöhung den „Ort der Erinnerung“ baulich deutlich markiert und öffentlich macht.

Auf dem Grundstück des ehemaligen Stadtarchivs soll ein Gebäude mit kultureller Nutzung im Erdgeschoss entstehen. Ungewöhnlich im Kölner Stadtbild, sehen die Leipziger Architekten die im Außenbereich der Schule verwendeten Klinker als dauerhaftes und recyclingfähiges Material nicht nur einen Beitrag zur Nachhaltigkeit an, sondern der Schule eine wertige Ansicht verleihen.

Ein dritter Preis: trint + kreuder d.n.a. Architekten (Köln)

Die Kölner Architekten betonen mit straßenbegleitenden Baumreihen, platzartigen Aufweitungen und einem einheitlichen Bodenbelag die historische Achse der Severinstraße. Der versteckt hinter der Kirche liegende Georgsplatz, an dem sich der Haupteingang der Schule befindet, soll auf diese Weise auch gestalterisch in das Quartier integriert werden. Als hätte das eingestürzte Archiv einen Fußabdruck hinterlassen, ist der ehemalige Standort durch einen markanten Bodenbelag sichtbar gemacht. Wie ein Teppich zieht sich die Fläche, deren Struktur an die Fassade des Archivgebäudes erinnert, unter der aufgeständerten Bebauung an der Severinstraße in den Blockinnenraum hinein. So möchten die trinkt + kreuder die durch den Einsturz entstandene Leere in Offenheit transformieren und den Block durchlässiger gestalten. Zugunsten eines durchlässigen grünen Blockinnenraumes entwarfen die Kölner Architekten einen kompakten Ergänzungsbau für die Schule, bei dem die Sporthalle im 2. Untergeschoss mit drei Ebenen überbaut wird und damit die Höhe der umgebenden Bebauung aufnimmt. Ein zusätzliches Foyer soll als Gelenk zwischen Alt- und Neubau fungieren und die Freiflächen mit den Schulgebäuden verbinden. Die Jury lobte die eigenständige Haltung des Entwurfes und die trotz des beschränkten Platzangebotes qualitätvolle Architektur bezweifelte jedoch die wirtschaftliche Umsetzung.

Ein dritter Preis: Reimar Herbst Architekten (Berlin)

Vorgefundene Strukturen aufgenommen und baulich ergänzt bzw. an anderen Stellen mit „Stadtfugen“ geöffnet. Dadurch bleibt die Raumkante zur Severinstraße auf unentschiedene Weise halb offen / halb geschlossen. Der dahinter liegende großzügige „Garten der Erinnerung“ wird an mehreren Stellen durch die Wegeführung gekreuzt und in die gemischte Nutzung des Blockinnenraumes integriert. Ungewöhnlich, aber mit dem Ziel der Nachverdichtung durchaus schlüssig, ist die Vierergruppe zweigeschossiger Wohnhäuser im südlichen Blockinnenraum – ähnliches wurde auch bei der Neubebauung am Waidmarkt umgesetzt. Das Schulgebäude wird mit einem kompakten Ergänzungsbau für Mensa, Sporthalle und pädagogischem Zentrum zu einer baulichen Einheit geschlossen. Der Schulhof bleibt dadurch offen und großzügig was eine Entsprechung zur offenen Gestaltung des Westseite des Planungsgebietes darstellt. Als problematisch könnte sich hier – wie auch bei dem Entwurf der Preisträger – die Lärmemission der auf dem Dach der Sporthalle geplanten Außensportanlagen erweisen.

„Wir haben Zeit.“

Mit der Erweiterung der Schule soll nach Aussage des Baudezernenten schon bald begonnen werden, alle weiteren Planungsaufgaben können erst angegangen werden, wenn bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind. „Wir haben Zeit.“, sagte Baudezernent Franz-Josef Höing und ließ sich nicht drängen, offenbar auch deshalb, weil der Wettbewerbsentscheid sofort wieder zu großer Aufregung in der Stadt geführt hat. Als „herbe Enttäuschung, wenn nicht sogar als Affront“ bezeichnete die Initiative ArchivKomplex das Ergebnis des Wettbewerbs und kündigte an, „er Banalisierung des Ortes durch einen verharmlosenden Städtebau“ entschieden entgegen zu treten.

Es wird also weiter gestritten – aber es wird auch gebaut werden. Schnell gehandelt werden muss bei der Erweiterung der Kaiserin-Augusta-Schule. Gründlich überdacht werden sollten die weiteren städtebaulichen Festlegungen wie auch die Gestaltung der Gedenkstätte. Genügend Material von hoher Qualität liegt nun auf dem Tisch, darüber kann man reden bis der Krater geschlossen werden darf. Doch dann muss ein baulicher Konsens gefunden wurden sein, denn eine über Jahre offene Wunde hat eine schlechte Prognose.

Uta Winterhager

 

Vom 9. bis 23. Januar 2013 präsentiert die Stadt Köln alle Wettbewerbsentwürfe in einer Ausstellung im Kölner Rathaus / Spanischer Bau

(geöffnet Mo, Mi, Do 8 – 16 Uhr, Di 8 – 18 Uhr, Fr 8 – 12 Uhr).

Parallel dazu lädt die Initiative ArchivKomplex – als Beitrag zu einer konstruktiven öffentlichen Debatte – zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung ein.

Der Einsturzort des Stadtarchivs: Zukunft kontrovers

Montag, 14. Januar 2013, 19.30 Uhr – Eintritt frei Kunsthochschule für Medien Köln
Aula, Filzengraben 2, 50676 Köln

 

Mit einer Blockrandbebauung fasst der Entwurf von ZILA den heterogen und kleinteilig vorgefundenen Bestand zusammen.

ZILA (Leipzig) mit LTHX (Dresden)

Die Perspektive entlang der Severinstraße zeigt den Entwurf des des ersten Preises von ZILA (Leipzig) mit LTHX (Dresden)

Perspektive des Blockinneren und Blick in den Schulhof

ZILA (Leipzig) mit LTHX (Dresden)

Peter Ille (ZILA mit LTHX) erläutert im Spanischen Bau seinen Entwurf.

Foto: Uta Winterhager

Ein dritter Preis ging an den Entwurf von trint + kreuder d.n.a. Architekten (Köln)

Der ehemalige Standort des eingestürzten Archivs ist durch einen markanten Bodenbelag sichtbar gemacht. Wie ein Teppich zieht sich die Fläche, deren Struktur an die Fassade des Archivgebäudes erinnert, unter der aufgeständerten Bebauung an der Severinstraße in den Blockinnenraum hinein.

Grafik: trint + kreuder d.n.a.

Ein weiterer dritter Preis ging an den Entwurf von Reimar Herbst Architekten (Berlin)

Beim zweiten dritten Preis von Reimar Herbst Architekten soll die Severinsstraße nicht mit einer Blockrandbebauung geschlossen werden, sondern mit „Stadtfugen“ geöffnet.

Grafik: Reimar Herbst Architekten