Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Geister in der Kirche

Die Oper Köln gibt Benjamin Brittens beklemmende Kammeroper ‚The Turn of the Screw‘ in der Trinitatiskirche.

Verstörend ist dieser erste Augenblick. Nicht der der Oper „The Turn of the Screw“, sondern der beim Betreten des Spielortes. Es ist die Trinitatiskirche – aber sie scheint gedreht, es gibt kein Vorne und Hinten, ist das Kirchenschiff querformatig? Nein, das im Jahr 1860 fertiggestellte Gebäude ist eine klassische dreischiffige Basilika, doch jetzt verläuft ein Steg längs durch das Mittelschiff. In der Mitte steht eine kleine Plattform, aus der halb eingesunken ein Schreibtisch und ein Flügel ragen, beleuchtet von einer tief hängenden Kugellampe. Die Kirchenbänke verursachen die Irritation, sie sind um 90 Grad gedreht und stehen parallel zum Steg. Rund 350 Zuschauer finden so hier Platz – ganz dicht am Geschehen.

„Protestantischer Dom“

Vorher aber mussten sie einen Umweg in Kauf nehmen: Plakate und ein Wachmann versperren das zurückspringende, säulengestützte Hauptportal am Filzengraben und weisen den Weg zum Seiteneingang. Durch ein provisorisch eingerichtetes Foyer und einen schmalen Gang, vorbei am Büro der Gehörlosenseelsorge – die Trinitatiskirche ist der Gottesdienstort für die Kölner Gehörlosengemeinde –, geht es in ein Seitenschiff der Kirche.

St. Trinitatis war die erste eigens für Protestanten errichtete Kirche in Köln. König Friedrich Wilhelm IV. hatte den evangelischen Christen 1842 „eine schöne würdige Kirche, einen protestantischen Dom“ versprochen. Nur sollte sie sich von den katholischen Gotteshäusern im romanischen oder gotischen Stil absetzen, also empfahl der König den frühchristlichen Basilikastil. Eigentlich ist der Entwurf des Berliner Architekten Friedrich August Stüler aber ein Beispiel für den Berliner Spätklassizismus. Erbaut ist die Kirche in nordsüdlicher Richtung, mit einem quadratischen Turm, der wie ein Campanile westlich des polygonalen Chors aufragt.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche stark zerstört, das Äußere aber originalgetreu wiederhergestellt. Auch im Innenraum wurde der Charakter der Emporenbasilika bewahrt, das Innere sonst jedoch sonst vereinfacht. Die heutige Orgel wurde gar erst 2010 eingebaut, sie stammt aus einer entweihten Aachener Kirche und wird, da die Trinitatiskirche keine eigene Gemeinde mehr hat, für Orgelkonzerte genutzt.

Landsitz auf dem Steg

Von der Orgel und auch vom Chor ist am Opernabend zunächst aber nicht viel zu sehen: Bühnenbildler Tobias Flemming hat die gesamte Nordwand des Innenraums mit einer Spiegelwand überzogen, der Chor ist mit einem Vorhang aus Papier abgetrennt, der im Verlauf der Vorstellung immer weiter zerrissen wird. Im bronzenen Kanzelkorb davor beginnt Benjamin Brittens 1954 uraufgeführte Oper „The Turn of the Screw“: Der Vormund zweier Kinder überzeugt eine junge Gouvernante, die Betreuung seiner Mündel auf dem Landsitz Bly zu übernehmen. Die Gouvernante findet Gefallen an den beiden, stellt jedoch bald fest, dass die Kinder unter einem schlechten Einfluss stehen. Die Geister von zwei ehemaligen Angestellten, die unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen, scheinen die Kinder in ihre Abhängigkeit bringen zu wollen. Die Handlung spitzt sich immer weiter zu, die Gouvernante kann trotz aller Bemühungen nichts am tragischen Verlauf ändern – gleich einer Schraube, die zu weit gedreht wurde.

Alle Szenen innerhalb des Landsitzes spielen zunächst auf dem schmalen Steg. Erweitert wird der Handlungsraum, als die früheren Bediensteten auftauchen – sie singen auf den Emporen oder in den Seitenschiffen im Rücken der Zuschauer. Der Park entsteht mit Hilfe einer Kreidezeichnung auf einem überdimensionierten Altar im dann freigelegten Chor. Vor dem Altar knien die Kinder auch, als die Opernhandlung zu ihrem Spielort findet – der Kirche.

Klangsog aus dem Seitenschiff

Die Anordnung der Bühne und die immer unterschiedliche Platzierung der Darsteller in der Inszenierung des jungen Regisseurs Benjamin Schad machen es schwer, die durchweg guten Gesangsleistungen zu genießen. So intensiv eine Szene wirkt, die direkt vor einem gesungen wird, so sehr kann sich der Eindruck verlieren wenn sich die Darsteller in der nächsten Szene am anderen Ende des Stegs befinden. Die 13 Musiker des Gürzenich-Orchesters unter Dirigent Raimund Laufen füllen die Kirche aus dem Seitenschiff mit Brittens soghaften Klängen. Gerade jedoch in den bedrohlichen, Spannung aufbauenden Zwischenspielen kommen sie oftmals nicht gegen die Nebengeräusche des Raumes an: Tropfender Regen und sich bewegende Zuschauer lenken ab – genauso wie die Architektur. Und so wandern die Blicke so mancher Zuschauer in dem Moment, in dem sie nicht vom Spiel geführt werden, zur Kassettendecke. Dann ist man ganz nah beim Spielort und doch merkwürdig weit weg von der bedrückenden Handlung.

Vera Lisakowski

Schlagerfestival im „Weisheitstempel“

Die Oper zieht in ihre nächste Ausweichspielstätte und zeigt Mozarts „Zauberflöte“ in der Aula der Universität.

Reise in die Türkei

Mit Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ eröffnet die Oper ihr Ausweichquartier in Mülheim, das Palladium.

Krönung in der Kantine

Obwohl die Oper ihr eigenes Haus wider Erwarten noch nutzen kann, werden in dieser Spielzeit auch andere Orte bespielt. Wir gehen auf eine musikalische wie architektonische Reise mit der Oper.

Informationen der Oper Köln zu „The Turn of the Screw“

oper screw 3

Der Innenraum der Trinitatiskirche am Filzengraben.

oper screw 4

Die Gouvernante (Claudia Rohrbach) bringt die schwingende Kugellampe zum Stillstand.

oper screw 1

Claudia Rohrbach als Gouvernante vor dem Spiegel, der Nordwand und Orgel verbirgt.

oper screw 6

Der frühere Diener Quint (John Heuzenroeder) und die Gouvernante (Claudia Rohrbach) kämpfen um den Jungen Miles (Carlo Wilfart).

oper screw 2

Die Geister Quint (John Heuzenroeder) und Miss Jessel (Adriana Bastidas Gamboa) versuchen, die Kinder Miles (Carlo Wilfart) und Flora (Ji-Hyun An) zu sich heraufzuziehen.

1 Kommentar

Ablenkung? Orchester und Sänger spielen und singen derart intensiv und überzeugend das ich an diesem wundervollen Abend niemals abgelenkt war. Wohl alles eine Frage der Einstellung, oder?