Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Auf der Suche nach dem Heute

Schon zum fünften Mal lud der BDA Köln junge Architekten ein, im Domforum ihre Positionen vorzustellen.

Die ausgewählten Büros lieferten überzeugende Beiträge und boten dem Publikum auch rednerisch viel Abwechslung: ob schlichter Projektbericht, Alltagsrapport oder dichterische Performance, alles war vorhanden. Man hätte sich von den Teilnehmern noch einmal eine zusammenfassende Positionsbestimmung gewünscht, die von der Moderation auch provoziert worden war: „wenn der Architekt kein Weltenretter mehr sein möchte, was dann?“ Doch wegen einer gewissen Inkongruenz von Fragen und Antworten konnte dieses Rätsel nicht mehr gelöst werden, wohl aber die Frage nach dem Traumbauherrn: der, der den Architekten liebt, wenn der Bau fertig ist.

Landschaftserlebnis Mülldeponie und Braunkohle-Loch

Knüvener Architekturlandschaft, Köln

„Landschaftarchitektur wird ja während des Studiums nur so abgearbeitet.“ Das war Thomas Knüvener aber zu wenig, und so schrieb er sich nach seinem Architekturstudium gleich auch noch für Landschaftsarchitektur in Zürich ein. „Architektur und Stadt und Landschaft müssen viel enger zusammen gedacht werden, als das bisher passiert, denn sonst kommen da so Zufallsprodukte bei raus.“ Dabei meint Knüvener aber eben nicht nur die grünwiesige, vermeintlich „naturbelassene“ Landschaft, sondern ihn faszinieren gerade Schrunden und Unorte, an denen man, anders als „im Grünen“, nichts mehr kaputt machen kann. Als Beispiel zeigte er die Abfalldeponie von Leppe im Bergischen Land, deren Umwandlung gerade ansteht. “Renaturierung“ scheint für Knüveners Vorhaben nicht der der richtige Begriff zu sein, gerade in der armdicken, über dem Gelände liegenden Folie sieht er den Reiz der Anlage. Und er weiß auch, was ihn in Zukunft fesseln würde: die tiefen tiefen Löcher des Braunkohletagebaus.

Sinnlich entwickelte, erlebbare Körper

Atelier ST, Leipzig

Sebastian Thaut vom Atelier ST in Leipzig setzt auf eine körperhafte Architektur, die jeweils in besonderer Weise auf die Erfordernisse der Umgebung und des Bauherrn Rücksicht nimmt. Vorgestellt hat er unter Anderen ein Garagenprojet für eine Forstverwaltung. Rotzeder-Holzschindeln verweisen auf die Tätigkeit des Bauherrn und auch auf die ortstypische Dacheindeckung. Unter dem Dach mit seinen fünf unterschiedlich geneigten Flächen ist Raum für die Instandhaltung der Fahrzeuge geschaffen, ohne dass die geschlossene, plastische Gesamtform aufgebrochen würde.

Drei Architektinnen, zwei Standorte, eine Architektur – alles via skypen

Illiz Architektur, Wien / Zürich

Sabrina Peters, Stefanie Wögrath und Petra Schlömer, die sich aus ihrem Studium an der RWTH Aachen kennen, wollten das Abenteuer wagen, trotz unterschiedlicher Lebensorte zusammen ein Büro zu gründen. Sie entwerfen gemeinsam – die IT macht‘s möglich, darüber so zu kommunizieren, als säße man im Nebenzimmer. Schwierig wird es nur mit so Dingen wie der einheitlichen Zugehörigkeit zu einer Berufsgenossenschaft oder dem Firmenstempel – der rechtlich in der Schweiz und in Österreich gültig sein muss. Aber hat das Einfluss auf die Architektur?

Jede Aufgabe als Stadtbaustein betrachten

Raumwerkarchitekten, Köln

Die Büroleiter Ragnhild Klußmann und Marc Hübert haben das Anliegen, ausgehend vom jeweiligen Ort neue Eigenschaften des zu Bauenden zu finden. Bei dem vorgestellten Bürgerbüro in Erftstadt wurden Teile aus dem Gesamtvolumen herausgeschnitten, das durch den Bebauungsplan vorgegeben war. Die Trauflinie der Nachbarbauten wird fortgesetzt. Im Erdgeschoss öffnet sich das Büro als Teil des Stadtraums, im Obergeschoss liegen Büros mit Blick auf Grünflächen. Der öffentliche Charakter des Gebäudes wird dadurch betont, dass die Außengestaltung des Pflasterbelags und der Außenfassade sich ins Innere fortsetzt.

Schutzräume gegen die existenzielle Mürbe

Novakarchitects, Salzburg

Wolfgang Novak las vor, was Thomas Bernhard zu Salzburg schreibt, oder besser wie er die Stadt textlich zerfleischt. Das Zuhören war anstrengend, aber Erholung boten Einschübe aus Berichten einer Bauherrin von Novak. Die Dame scheint gute Rezepte zu haben gegen den alpenhohen Jammer ihrer Mitbürger – sie genießt einfach ihre Räume: „Ich packe wohl alle meine Badezimmersachen wieder ein, denn einziehen kann man ja nur einmal, und das möchte ich mir noch aufheben.“ „Ich gehe gerne hinüber in den Anbau, es ist jedes Mal, als machte ich einen Spaziergang.“

Den Raum von Dingen zu befreien, „den er nicht verdient hat“, ist das Anliegen von Wolfgang Novak und offensichtlich auch seine Methode des Existenzschutzes: „Ich bin froh, wenn ich nicht immer das Gefühl habe, in Salzburg zu sein.“

Das Tollste sind Kisten

Christian Heuchel rheinflügel/bHK Büro für Kunst und Architektur, Köln

„Warum ich diese Kisten liebe. Ich mag sie, die langen und kurzen, die großen und kleinen, die schmalen und dicken, die einfachen und komplexen. Ich mag sie als Würfel und als Stange. Man kann sie kopieren, gruppieren und stapeln, gibt ihnen dann Namen und Persönlichkeit. Ihre Normalität gefällt mir. Sie erscheinen selten in klarer Form, haben schlechte Eingänge. Sie bilden die Ausnahmen und stehen am besten auf freier Wiese. Sie brauchen keine Architekten, Fenster, Türen oder Dächer. Ihre Schmucklosigkeit macht sie reich. Man sollte nur Kisten bauen.“

Gegen den „medial eingepflegten“ Architekten, der sich das l’art pour l’art-Prinzip zu Eigen gemacht hat, formuliert Christian Heuchel das Manifest des Kisteismus. Nach Anwendung aller Ausschlußkriterien für Bauherren – Architekten, Zahnärzte, die Stadt Köln etc. – identifiziert Heuchel nicht nur die ideale Architektur, sondern auch den einzig möglichen, perfekten Auftraggeber, und zwar in keinem Geringeren als Lukas Podolski.

Respekt vor dem Alter

Nils Wenk Architekten, Berlin / Nettetal / Schliersee

Beim Bauen im Bestand geht es Nils Wenk darum, dass der Unterschied zwischen Alt und Neu nur bei genauem Hinsehen an Details feststellbar ist, etwa daran, dass Eisenteile heute nicht mehr wie früher vernietet, sondern verschraubt sind. Im vorgestellten Pumpwerk wurde alle Teile, ob alt oder neu, mit dem gleichen Anstrich versehen. Die Kranbahnen wurden verbreitert, so dass Arbeitsplätze darauf eingerichtet werden können, immer noch aber sind sie auf Schienen bewegbar. Die eigene Eleganz und spezifische Identität des Vorgefundenen steht im Vordergrund, nicht die augenfällige Kontrastierung von alten und neuen Bestandteilen oder das Zelebrieren der eigenen Handschrift.

Ira Scheibe

Die Mülldeponie in Leppe, ein Projekt von Knüvener Architekturlandschaft, Köln

Der Neubau des Wirtschaftsgebäudes Forstbezirk 14 in Eibenstock vom Atelier ST, Leipzig; Fotograf: Bertram Bölkow, Leipzig

Fotograf: Bertram Bölkow, Leipzig

Das Kinderbetreuungszentrum in Maria Enzersdorf, Niederösterreich von Illiz Architektur, Wien / Zürich

Das Bürgerbüro in Erftstadt-Lechenich von Raumwerkarchitekten, Köln; Fotograf: stephan fengler fotodesign

Erweiterung eines Wohnhauses in Salzburg von Novakarchitects, Salzburg; Fotograf: W.Novak

Umbau eines Pumpwerks in Berlin Neukölln zu einem Galerie-, Atelier- und Wohngebäude von Wenk und Wiese Architekten, Berlin; Photograf Udo Meinel, Berlin