Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Anatomische Studien

„ZECHE HANNOVER. Photographien aus dem Ruhrgebiet von Bernd und Hilla Becher“, in der SK Stiftung Kultur

Die Ruhr.2010 ist in aller Munde. Ausstellungen und Veranstaltungen, wohin man sieht – alle im Ruhrgebiet. Alle? Nein. Die kleinen aber ob der Qualität der Fotografischen Sammlung sehr feinen Ausstellungsräumlichkeiten der SK Stiftung Kultur bieten derzeit den vielleicht südlichsten Teil des Ruhrgebiets: Mit dem fotografischen Komplex „Zeche Hannover“ werden seit 1996 nun schon zum vierten Mal Industrieanlagen aus dem Œuvre von Bernd und Hilla Becher gezeigt. Hilla Becher und ihr im Sommer 2007 nach einer schweren Operation in Rostock verstorbener Mann gelten als wichtigste Vertreter modernen Fotografie in Deutschland und aufgrund ihrer Lehrtätigkeit an der Kunstakademie in Düsseldorf als Begründer der sogenannten Düsseldorfer Schule. An der Ausbildungsstätte, an der sich die beiden selber 1958 kennenlernten, bildeten sie Fotografen wie Andreas Gursky, Candida Höfer, Thomas Struth oder Boris Becker aus.

Sowohl für Hilla wie für Bernd Becher spielen Industriebauten schon während des Studiums eine wichtige motivische Rolle, die sich im Laufe der Zeit zu einer fast manischen Bedeutung für das Schaffen des Fotografenpaares auswächst. Ziel ist es dabei stets (bau-)typologische Nachforschungen festzuhalten. Oft von mittel- oder unmittelbarem Abriss bedrohten Industriebauten werden mit technoidem Blick dokumentiert – fast immer aus den gleichen Einstellungswinkeln, wenn möglich bei monochrom verhangenem Himmel. Mit der Zeit kristallisiert sich die „Abwicklung“ als eines der markantesten Kennzeichen der Arbeit von Bernd und Hilla Becher heraus: drei, sechs, neun oder zwölf Bilder des gleichen Objekts werden aufgenommen, verzerrungsfrei und zentralperspektivisch die Seiten, die Kanten über Eck im für ein Objekt immer gleichen Winkel.

Prototypisches Beispiel einer Arbeitsweise

Der ganze Becher´sche Fotoduktus, ihre komplette Arbeitsweise lässt sich an der Ausstellung im Kölner Mediapark prototypisch nachvollziehen. Dokumentarisch nähert sich der Betrachter mit der Kamera dem Gelände der Bochumer Zeche Hannover und begibt sich dank der Hängung auf eine Entdeckungsreise durch das – inzwischen weitestgehend abgebrochene – Industriebauwerk. In den Bildern, die allesamt in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren entstanden, werden zunächst die prägnantesten Teile der Zeche in den Fokus gerückt: der um 1857 erbaute Malakowturm, eher einem Burgfried ähnelnd, das 1908 fertig gestellte Doppelstrebegerüst und der 1939 entstandene Förderturm aus Stahlfachwerk. Von vorne. Von hinten. Von halb links und von halbrechts.

Derart dokumentarisch legen Bernd und Hilla Becher dabei ihre Großbildkameras mit dem Format 13×18 Zentimeter auf die Objekte an, dass diese, scheinbar völlig entblößt, jedes ihrer Details preiszugeben scheinen. So sah sich bereits 1981 der niederländische Kunsthistoriker Rudi Fuchs beim Anblick der Bilder der Zeche Hannibal an „…eine anatomische Studie“ erinnert. Tatsächlich aber erzeugt die Atmosphäre der Fotografien dennoch ein Gefühl des Geheimen und Unaufgedeckten, dass jedem Objekt, trotz der schonungslose Detailgenauigkeit, stets ein Moment des Unklaren inne wohnt.

Detailversessene Akribie und interpretatorische Freiheit

Erzeugt wird dieser Eindruck durch die völlige Abwesenheit von Menschen, die immer gleiche Ausleuchtung der Einzelheiten der Zeche Hannover, der ewig gleiche Himmel und den faszinierenden Fakt, dass es den Fotografen gelungen ist, jedes Gebäude, jede Infrastruktur so in Szene zu setzen, als bewegte sich nicht die Kamera um das Objekt, sondern als stünde dieses auf einer Drehscheibe, die die Bechers nur um die reißbrettartiken 45°-Winkel Kreissegmente weiter zu drehen bräuchten. Automatisch entstehen Fragen beim Betrachten: Was ist hier wohl einmal passiert? Wie ging es von statten? Warum wurde die Produktion aufgegeben? Vor allem bei den großen Gebäudekomplexen wie Kokerei, Kraftwerk oder Förderwerken funktioniert das. Den kleineren Gebäuden und infrastrukturellen Einrichtungen auf dem Zechengelände wie Stellwerk oder unterschiedlichen Kühlanlagen entlockt das fotografierende Duo hingegen vor allem objekthaften Reiz von mindesten ebensolcher Qualität.

Nicht nur Hannover

Vollends überzeugend wird die Schau durch die ergänzend gezeigten Fotos anderer Zechen in Essen, Bochum, Wanne-Eickel, Bottrop oder Waltrop. Hier erschließt sich die Komplexität des Werkes der Bechers: Zechen, die malerisch in die Landschaft eingebettet sind – eher Landschafts- als Industriefoto – oder Detailaufnahmen von Fachwerkkonstruktionen, die die Riesenhaftigkeit des Gebildes, dem sie den nötigen Halt geben, vergessen machen und stattdessen zu grafisch abstrahierten Strukturbildern werden runden das Bild der Ausstellung stimmig ab. So trägt die Ausstellung den Titel „Photografien aus dem Ruhrgebiet“ schließlich zu recht und bringt den industriellen Charme, von dem derzeit eine ganze Region zu profitieren sucht und den Kulturtouristen atmen möchten, mitten hinein in die Domstadt.

David Kasparek

Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur

Im Mediapark 7

50670 Köln

Täglich außer mittwochs 14.00 bis 19.00 Uhr

Erwachsene: 4,50 Euro

ermäßigt: 2,00 Euro

Montag freier Eintritt

weiterführende Links

>>>Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur

Zeche Hannover-3

Zeche Hannover, Doppelstrebengerüst, Schacht 5, Kopfansicht, Bochum-Hordel, Ruhrgebiet, D, 1973/74

© Hilla Becher, 2010

Zeche Hannover-11

Zeche Hannover, Malakow-Turm, Schacht 1, Bochum-Hordel, Ruhrgebiet, D, 1973/74

© Hilla Becher, 2010

Zeche Hannover-15

Zeche Hannover, Kokskohlenturm, Kleinkokssieberei und Verladung, Bochum-Hordel, Ruhrgebiet, D, 1973/74

© Hilla Becher, 2010

Zeche Hannover-13

Zeche Hannover, Bandübergaben, Bochum-Hordel, Ruhrgebiet, D, 1973/74

© Hilla Becher, 2010

Zeche Hannover-17

Zeche Hannover, Rieselkühler, Bochum-Hordel, Ruhrgebiet, D, 1973/74

© Hilla Becher, 2010