Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Uralte Moderne

Ein Dokumentarfilm erzählt das Leben des brasilianischen Architektur-Urgesteins Oscar Niemeyer.

Er ist 102 Jahre alt – und damit wohl der älteste noch arbeitende Architekt der Welt. Noch immer zeichnet er mit leichtem Strich seine kleinen Skizzen amorpher Gebäude. Er raucht Zigarillos. Und das Wichtigste für ihn sind die Frauen! All dies kann man in dem filmischen Portrait „Das Leben ist ein Hauch“ über den brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer erfahren.

100 in 10 Jahren

Mit einer Produktionszeit von fast zehn Jahren passt der Film irgendwie zu seinem Protagonisten. Im Jahr 1998 begann Regisseur Fabiano Maciel mit den Dreharbeiten – fertig gestellt wurde das Werk erst im Jahr 2007, pünktlich zu Niemeyers 100. Geburtstag. Die Finanzierung gestaltete sich schwieriger als gedacht. Obwohl es auch daran liegen könnte, dass es eine große Aufgabe ist, ein über 70jähriges Berufsleben in einem Dokumentarfilm zu erzählen.

Aus der Zukunft

1934 schließt Oscar Niemeyer sein Studium an der Nationalen Schule für Schöne Künste in Rio de Janeiro ab und beginnt im Büro des Architekten und Stadtplaners Lúcio Costa zu arbeiten, mit dem er ab 1957 Brasilia plant. Beeinflusst von Le Corbusier baut er geschwungene Gebäude, Bögen, Rampen – Futuristisches in Stahlbeton. Doch kaum ist die Planhauptstadt 1964 fertig, putscht das Militär. Niemeyer war seit 1945 Mitglied der Kommunistischen Partei, deshalb geht er 1966 nach Frankreich ins Exil, baut von dort aus in Frankreich, Italien, Deutschland oder Algerien. Und obwohl er bereits ab Ende der 1960er Jahre wieder in Brasilien arbeiten kann, kehrt er erst 1982 zurück. Eigentlich könnte er in den Ruhestand gehen, aber er baut ununterbrochen weiter, unter anderem das Museum für Zeitgenössische Kunst in Niterói, das wie ein gerade gelandetes Ufo auf einem Felsen über dem Meer thront.

Gegen den rechten Winkel

Über 600 Gebäude hat Oscar Niemeyer im Lauf seines Lebens konzipiert. Er ist einer der wichtigsten Vertreter und Erneuerer der architektonischen Moderne, arbeitet mit Freiräumen und hat der Orthogonalität vollständig abgeschworen. Der Schriftsteller Eduardo Galeano sagt im Film über ihn: „Es ist ja bekannt, dass Oscar Niemeyer den Kapitalismus hasst, genauso wie den rechten Winkel. Gegen den rechten Winkel, der den Raum einschränkt, hat er eine Architektur entworfen, die leicht wie eine Wolke ist, frei und sinnlich, sehr ähnlich den Bergen von Rio de Janeiro, die liegenden Frauenkörpern gleichen, erschaffen von Gott an dem Tag, als er sich für Niemeyer hielt.“

Dokumentierte Architektur

Ein solches Lebenswerk, diese Bewunderung, in einer Dokumentation zu fassen, da hat sich Regisseur Fabiano Maciel zu viel vorgenommen. Unkommentiert lässt er die O-Töne Niemeyers und seiner Wegbegleiter stehen, es gibt keine kritischen Töne. Eine Geschichte wird nicht erzählt, Gebäude und Zitate sind mehr hintereinander gereiht als verbunden. Besonders schade aber, dass der Geldmangel bei der Produktion so stark sichtbar wird: Die großartigen Bilder, die diese Architektur bieten könnte, sind nur selten zu sehen, die meisten Gebäude sind mehr dokumentiert als inszeniert. Sie einzuordnen fällt schwer, da ihre Namen lediglich eingeblendet werden – zwischen den schlecht übersetzten Untertiteln. Und so ist dieser Film – trotz seiner langen Produktionszeit – mehr ein interessantes zeitgeschichtliches Dokument, das man als Architekturinteressierter gesehen haben sollte, denn ein filmischer oder architektonischer Genuss.

Vera Lisakowski

Filmpalette

Lübecker Straße 15

50668 Köln

niemeyer plakat

Filmplakat

Rechte: Edition Salzgeber

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Zeichnung von Oscar Niemeyer

Rechte: Edition Salzgeber

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Oscar Niemeyer vor dem Museum für Zeitgenössische Kunst in Niterói.

Rechte: Edition Salzgeber

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Zeichnung von Oscar Niemeyer.

Rechte: Edition Salzgeber

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Der Architekt Oscar Niemeyer auf seiner Terrasse.

Rechte: Edition Salzgeber