Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Studieren in Zeiten von Bologna

Von wegen, alles ist schlecht seit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudium. Eine Fotoausstellung in der FH Köln beweist, dass es auch heute noch selbstbestimmte Studierende …

Groß ist der Aufschrei derzeit. Europaweit protestieren Studierenden gegen die Studienbedingungen der durch den so genannten „Bologna-Prozess“ eingeleiteten Bachelor- und Masterstudiengänge. Auf der anderen Seite stehen frustrierte Professorinnen, Professoren und sonstige Lehrbeauftragte: Kaum jemand aus den Reihen der aktuellen Studierenden, so der Tenor von Seiten des Lehrkörpers, macht mehr, als das, was der knüppelvolle Lehrplan vorgibt, nur wenige verweigern sich diesem. Das sich daran in Zukunft etwas ändert, zeichnet sich ob der derzeitigen Proteste als seichter Hoffnungsschimmer am Horizont ab.

An der Fachhochschule Köln läuft noch bis zum 22. Dezember eine Ausstellung, die vor diesem Hintergrund gleich mehrfach erwähnenswert ist. Zwei Studentinnen und ein Student haben sich auf eigene Faust im vergangenen Sommer in die türkische Metropole Istanbul aufgemacht und sich mit der Stadt und dem dortigen Stadtwandel beschäftigt. Während der ganzen Zeit haben sie ihre Beobachtungen fotografisch dokumentiert. Die entstanden Fotos haben die drei mit profunden Texten über die Stadt und die vier in den Fokus genommenen Viertel angereichert und aus allem eine kleine und unprätentiöse Ausstellung gemacht.

Istanbul: Schmelztiegel der Kulturen und Anschauungsobjekt aktueller Stadtbaudebatten

Die Stadt die sich die Studierenden dabei ausgesucht haben, ist in den letzten Jahren mehr und mehr Gegenstand vielerlei Diskussionen geworden: Istanbul. Im jüngeren Kino unter anderem durch die letzen Filme des Hamburger Regisseurs Fatih Akin Handlungsteil und –hintergund; die europäische Musikszene hat den Schmelztiegel am Bosporus ohnehin schon für sich als Inspirationsquelle entdeckt. Auch im architektonischen Diskurs taucht Istanbul in den letzten Jahren verlässlich auf und hat sich nach Jahren der geringen Beachtung wieder nach vorne gespielt. Schon Bruno Taut wusste ja um die Qualitäten der Türkei und ihrer baulichen Tradition. Jüngst hat auch die Redaktion der ARCH+ Istanbul ein ganzes Heft gewidmet. Auch aus dieser Sichtweise erscheint eine Beschäftigung mit dieser Stadt also folgerichtig. Kaum ein Ort im geografischen Europa bietet derzeit wohl einen solchen Reichtum an Interessantem.

Hintergrund für die drei Kölner Studierenden ist der Aufenthalt eines an der Fotoausstellung beteiligten Studenten in Istanbul. Im Rahmen des Erasmus-Austausch-Programms studierte er zwei Semester dort und lernte so, sich dem Grundthema der Ausstellung theoretisch in mehreren Kursen an der Universität und als Bewohner zu nähern – auch indem er selbst Teil der Entwicklungen in Tepebasi und Galata wurde.

Selber Teil der Gentrifizierung am Bosporus

Zwölf Millionen Einwohner leben in Istanbul offiziell – inoffiziell dürften es weit mehr sein. Auf wirtschaftlicher wie kultureller Ebene erfährt die Metropole seit einigen Jahren einen starken Aufschwung. Im kommenden Jahr dürfte die Aufmerksamkeit einen vorläufigen Höhepunkt erreichen, trägt Istanbul doch 2010 den Titel der „Europäischen Kulturhauptstadt“. Innerhalb dieser Stadt haben die Macher der Ausstellung drei Viertel beleuchtet: Galata, Tarlabasi/Tepebasi und Sulukule.

In ihrer Unterschiedlichkeit stehen diese Quartiere prototypisch für verschiedene Stadien der Gentrifizierung und deren unterschiedliche Symptome. Die jeweilige Prägung der Stadtteile und ihre historische Entwicklung zeigen die Ausstellungstexte ebenso auf, wie die derzeitigen Stadien des städtischen Wandels. Prägnant in ihrer Länge und folgerichtig in ihrer deutsch/türkischen Zweisprachigkeit liefern diese Beiträge den Hintergrund auf dem die schönen Fotografien wirken können.

Die Qualität der Fotos besteht, neben der akkuraten Handwerklichkeit im der Art und Weise, wie das Thema des Stadtwandels in den Fokus genommen wird. Es werden keine Offensichtlichkeiten gezeigt im Sinne eines direkten Aufeinanderprallens von Alt und Neu. Stattdessen beleuchten die Fotografien die Viertel und fangen deren individuelle Atmosphäre trefflich ein. Ob dieser Qualitäten und ihrer Überschaubarkeit lohnt sich der Besuch im Foyer der Fachhochschule in der Betzdorfer Straße 2.

David Kasparek

bis 22. Dezember 2009

Über Formen von Gentrifizierung

Centrifikasyonun biçimleri hakkinda

Eine fotografische Dokumentation

Bir fotograf belgeseli

Eröffnung | Açilis

09.12.2009 19.00 Uhr

Ausstellung | Sergi

09.12.2009 – 22.12.2009

Die Ausstellung ist ein Projekt der Studierenden Dennis Fonteiner, Daniela Kaufmann und Cornelia Vollmert.

Fakultät für Architektur

50679 Köln

Betzdorfer Str. 2

Foyer

istanbul_001_Straße

Istanbul: Metropole zwischen West und Ost. Nach offiziellen Angaben leben hier 12 Millionen Menschen. Tatsächlich dürften es aber weitaus mehr sein.

istanbul_002_werkeln

Mit gut gemachten Fotos haben Cornelia Vollmert, Daniela Kaufmann und Dennis Fonteiner sich dem Stadtwandel Istanbuld atmospärisch genähert.

istanbul_003_Wand

Wie ändern sich die Viertel Galata, Tarlabasa Tepebasi und Sulukule? Was ist von der Stadtregierung intendiert, was geschieht aus der Gesellschaft heraus? Diesen und anderen Fragen versuchen die Studierenden nachzugehen.

istanbul_004_Drachensteigen

Die gezeigten Quartiere sind in ihrer Unterschiedlichkeit typisch für die Entwicklungen in einer Großstadt.

istanbul_005_blick gen himmel

Istanbul selber könnte Anlass genug für eine Fotoausstellung sein. Das Thema Gentrifizierung und die Art wie es in Szene gesetzt wurde ist es erst recht.

istanbul_006_tauben

Wie lange werden solch individuelle Inbesitznahme-Erscheinungen noch zum Stadtbild gehören? Aktuelle Fragen, trefflich abgebildet.

2 Kommentare

Also da Sie ja selbst die Brücke zu den Studiengebühren geschlagen haben möchte ich anmerken, dass ich die Argumentation nicht verstehe: die Eigeninitiative der Studenten ist wirklich lobenswert, aber man muß doch auch kritisch sehen dass die Möglichkeiten so etwas a) während des Semesters zu machen und b) vor dem Hintergrund der Gebühren für den großteil der Studierenden schlichtweg finanziell nicht möglich ist. Gearbeitet wird nämlich (es sei denn Mama und Papa zahlen…) in den Semesterferien, da der Stundenplan des Bachelor- und Masterprogramms die gleichzeitige Sicherstellung des Lebensunterhaltes unmöglich macht! Insofern muß man die Eigeninitiative der Ausstellung gerade eben vor dem Hintergrund der Proteste sehen und kritisch hinterfragen.

Unabhängig davon sind Eigeninitiative und Leidenschaft gerade im Architekturstudium unerlässlich und die Ausstellung im übrigen sehenswert.

Es ist vielleicht etwas unglücklich gewählt die Ausstellung in Verbindung mit der Umstellung auf Master/Bachelor zu bringen, da wir noch Diplomanden sind! So betrifft uns das Thema Bologna nur indirekt. Ich denke das erklärt einiges =)