Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Vom Bordstein zur Skyline und zurück

Ein Rundgang auf der plan08 im Zeichen des umgenutzten Ungenutzten

Wieder ist plan und wieder stellt sich die Frage, was man sich wann und wo anschaut. An welchen Veranstaltungen nimmt man teil, genießt man Filmvorführungen oder folgt man Podiumsdiskussionen? Die schiere Fülle an Projekten – über fünfzig sind es in diesem Jahr – machen eine grobe Vorauswahl unumgänglich. Und so mache ich mich auf die Suche nach umgenutzten Räumen. Städtische Räume, die im Alltag ungenutzt im urbanen Gefüge brachliegen und im Rahmen der plan08 eine Umwidmung erfahren. Eine Reise durch die Domstadt, die dort beginnt, wo die meisten Menschen anfangen Architektur zu erleben. Auf dem Bordstein. Die Straße und der Gehsteig als unterste Begrenzung des Raumgefüges in dem wir uns die meiste Zeit über bewegen. Nur selten einmal tauchen wir ab und erleben die unterirdischen Räume unserer Städte – von der täglichen U-Bahnfahrt einmal abgesehen. Am Rudolfplatz sind die Folgen eines turbulenten Wochenendes in aller Deutlichkeit zu sehen: Auf der Platzfläche stehen sieben Mannschaftswagen der Polizei, eine Gruppe Polizisten steht halb erschöpft, halb gelangweilt davor herum und versorgt sich mit Produkten der umliegenden Fast-Food-Lokalen. Ich werde kritisch gemustert und mustere ähnlich kritisch zurück. Doch hinter der Formation aus grün-weißen Wagen eine handfeste Überraschung: Eine Polizistin und zwei ihrer Kollegen versorgen zwei Obdachlose, die die Durchfahrt des Hahnentors als temporärere Schlafstätte umgenutzt haben mit Essen: Donuts und Brötchen wechseln die Besitzer, die beiden Obdachlosen können ihren Augen kaum glauben – mir geht es ähnlich. Erster Punkt einer Umnutzung, wenn auch nicht im Rahmen des „Forums aktueller Architektur in Köln“. Ein guter Auftakt.

Ungenutzt – umgenutzt

Weiter geht es in die Volkshochschule. Dass die plan08 hier ihre Heimstatt gefunden hat, ist als solches schon eine Umnutzung der besonderen Art, wenn auch die VHS nie ungenutzt war. Mit dem Paternoster geht es auf die Dachterrasse des Tralau-Baus. Der Aufzug mit dem antiquierten Charme scheint für viele schon nach dem ersten Wochenende der Architekturwoche das Symbol für die diesjährige Veranstaltung zu sein. Auf der sonst so oft ungenutzten Dachterrasse hat das Kölner Büro LHVH Architekten ihr Projekt „Große Pause“ installiert (plan-Projekt 02). Von hier oben hat man einen großartigen Blick über die ganze Stadt und damit auch auf die Installation von Michael von Kaler – 42. Gebot: Nutze den Raum (plan-Projekt 42). Von Kaler stellt mit seiner Arbeit klar, dass über den Dächern der Stadt große Flächen brachliegen, die als Räume nur wieder in Besitz genommen werden wollen. Doch wo Le Corbusier noch versuchte, mit Pflanzungen das Grün zu ersetzen, dass durch den Bau des Gebäudekörpers verloren ging, stellt der Kölner Künstler ganz lapidar Zelte auf: Die Dächer der Stadt als gigantischer Zeltplatz. Welch schöne Vorstellung ist es doch, nach einem Erkundungsrundgang oder einem Shopping-Marathon dem Trubel der Straße nach oben hin zu entfliehen und sich über alles dort unten ein wenig erhaben zu fühlen.

Vom plan-Hauptquartier geht es nun weiter gen Hauptbahnhof. Auf der Seite des Breslauer Platzes befindet sich seit 1999 das Gulliver. In einem alten Bahnbogen erhalten Obdachlose hier die Möglichkeit sich für jeweils 50 Cent zu rasieren, ihre Wäsche zu waschen und zu trocknen oder für wenig Geld zu frühstücken. Zwei Brötchen, vier Beläge nach Wahl und ein Kaffee für 1, 50 Euro oder das große Frühstück für 2 Euro: Drei Brötchen, sechs Beläge und ein großer Kaffee. Im Bogen 1 ist diese sinnvolle Einrichtung nach Plänen des Büros Busmann und Haberer bereits im Jahr 2001 eingeweiht worden. Der Betreiber des Gullivers, das Kölner Arbeitslosenzentrum KALZ, hat aber längst mehr vor als nur die notdürftige Unterstützung Obdachloser zwischen 9 und 22 Uhr – den Öffnungszeiten des Gullivers. Obdachlose meiden die wenigen Schlafmöglichkeiten wie Nachtasyle oft, da diese viele Probleme mit sich bringen: In den großen Gemeinschaftsschlafsälen wird geklaut, Ansteckungen diverser Krankheiten drohen und so bevorzugen viele Obdachlose die Straße. Aus diesen Gründen schwebt den Gulliver-Betreibern ein Hotel vor. Mit Lobby, alkoholfreier Bar, Internetarbeitsplätzen, Einzel- und Doppelzimmern. Doch dafür bedarf es Spenden. Da diese noch nicht ausreichend vorhanden sind, wird aus den ursprünglichen Plänen das Hotel direkt im Bogen nebenan anzusiedeln erst einmal nichts. Dort finden inzwischen Musikveranstaltungen statt – die sind für den Besitzer lukrativer. Um erneut auf das Anliegen von Gulliver aufmerksam zu machen findet zur plan die Fotoausstellung „Portraits vom Boden der Wirklichkeit“ statt. Und diese Wirklichkeit ist hier tatsächlich mit Erfahrungen verbunden, die die wenigsten Besucher der plan schon einmal gemacht haben: Vor dem Eingang wird auf der Straße gelebt, drinnen wird gewaschen, Hunde bellen, es riecht nach menschlichem Talg. Die Fotos von Evelyn Rose-Thalheim sind im ersten Stock der „Obdachlosen-Überlebensstation“ zu sehen, im Eingangsbereich finden sich Informationen über den Bau und die Planung von Gulliver sowie zum Hotel nach dem Entwurf von Morsch + Schlieckmann Architekten (plan-Projekt 30).

Bellende Hunde, menschlicher Talg und Nutten

Mit der S-Bahn mache ich mich vom umgenutzten Bahnbogen auf zum Bahnhof Nippes. Zu Fuß geht es von hier durch ein unwirtliches Gewerbegebiet. Hier wird Gewerbe jeglicher Art betrieben – „alles zu Discountpreisen“. Neben Supermärkten und Lagerhäusern finden sich in der Hornstraße auch zwei riesige Bordelle. Doch Ziel ist das vom Kölner Künstler Odo Rumpf okkupierte Areal zwischen den Bordellen und der Bahnlinie: Odonien. Auch diese Brache ist für diverse Musikveranstaltungen bekannt. Neben dem Atelier Rumpfs finden sich regelmäßig Musikinteressierte hier ein und geben dem ohnehin schon surrealen Ambiente immer wieder neue Gesichter. Hier hat sich die Künstlerin Mary Noële Dupuis für die plan vorgenommen Odonien akustisch zu vermessen (plan-Projekt 51). Jeden Tag nimmt sie dabei die Architekturen rund um das Gelände sowie andere Einflüsse auf und reflektiert diese zu einer allabendlichen Performance. Unterstützt wird sie dabei von Musikern, Soundtüftlern und Stelzenläufern.

Zu Fuß gehe ich von hier nun die wenigen Hundert Meter Luftlinie zum Fernsehturm an der Inneren Kanalstraße. Einst war dieser eine Attraktion im Kölner Tourismus-Programm: Ein Café in luftiger Höhe drehte sich und gab ein unvergleichliches Panorama preis. Das ist längst passé, der Colonius spielt nur noch als Teil der Stadtsilhouette eine Rolle. Den Turm wieder ins Gedächtnis der Bürgerinnen und Bürger Kölns zu holen versucht eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus Robert Wetzels (BOB-Architektur) und Christian Dieckmann (DIECKMANNHARTMANN Architekten). Im Sockelgeschoss des Turms haben sie den Panoramablick nachgebildet, den man heute aus dem Café des 266 Meter hohen Baus hätte. Darüber hinaus bespielen sie den Turm mit Lichtinstallationen (plan-Projekt 23). So wird auch hier versucht, ein Gebäude wieder für jeden nutzbar zu machen – neben dem technischen Nutzen, den das Bauwerk zweifelsohne noch heute erfüllt.

Becks statt Baukultur

Auf ein letztes denke ich mir nun, und mache mich auf in die direkt benachbarte Venloer Straße. Hier soll das plan-Projekt 21 zeigen, wie man in der hochverdichteten Stadt von heute ungenutzte Räume doch noch einem konkreten Nutzen zuführt: „Wohnen Obendrauf“ soll laut Programmheft eine erste Zwischenbilanz von Projekten ziehen, die auf Einkaufszentren aufgebaut wurden – wie etwa die Wohnbebauung des Dumont Carrées. Ein interessantes, wenn auch strittiges Thema. Doch leider ist die Ausstellung im Barthonia-Forum entgegen der Ankündigung im plan-Heft geschlossen. Ärger kommt auf, war der Tag doch bislang erstaunlich reibungslos verlaufen. Doch da dieser plan-Rundgang für mich unter der Überschrift „Ungenutzte und umgenutzte Räume“ stand, beschließe ich spontan den Bordstein der Venloer Straße mit mehreren anderer, mir fremder Passanten umzunutzen: Vor einer Kneipe bleiben wir stehen, bestellen Bier und sehen dem Aufsteiger aus Hoffenheim dabei zu, wie er den UEFA-Cup-Teilnehmer Borussia Dortmund mit 4:1 abfertigt. Aus dem Gehsteig wird eine Zuschauertribüne, Köln steht im Zeichen der Umnutzung, der Kreis schließt sich.

David Kasparek

Projekt 2

meetingpoint, VHS-Studienhaus am Neumarkt, Josef-Haubrich-Hof 2, Innenstadt 19.09., 18–22 Uhr, Eröffnung

20.–26.09., 13–21 Uhr Fr–Fr 19.–26.09., tägl. 18–21 Uhr, Dachterrassen-Bar

Projekt 42

Dächer rund um den meetingpoint, VHS-Studienhaus am Neumarkt, Josef-Haubrich-Hof 2, Innenstadt

Die Installation ist während plan08 durchgängig zu sehen.

Projekt 30

Gulliver – Überlebensstation für Obdachlose, Trankgasse 20, Bahnbogen 1, Bahnhofsviertel 19.09., 18–21 Uhr

20./21.09., 10–18 Uhr 22.–26.09., 6–13 Uhr u. 15–21 Uhr

Projekt 51

Odonien, Hornstraße 85, Ehrenfeld, 19.09., 18–22 Uhr, Eröffnung

20.–26.09., 13–21 Uhr, Fr–Fr 19.–26.09., tägl. 19 Uhr, Performance Echolot 1–8 mit Mary Noële Dupuis, Yann Keller, Julian Percy, Gernot Bogumil, Axel Joppen, Johannes Terbach

Projekt 23

Fernsehturm Colonius, Sockelgeschoss, Innere Kanalstraße 100, Innenstadt, 19.09., 18 Uhr, Eröffnungmit Aperitif u. Häppchen; bei Einbruch der Dunkelheit Spot an – der Colonius im neuen Lichtkleid und DJ herr schmitz 20.–26.09., 15–22 Uhr

Projekt 21

Barthonia-Forum, Venloer Straße 233a, Ehrenfeld, 19.09., 18–21 Uhr, Eröffnung 20.–26.09., 14–21 Uhr, Führungen Barthonia-Forum: Sa 20.09., 15 Uhr / Mo 22.09., 17.30 Uhr / Mi 24.09., 17.30 Uhr; Treffpunkt: Thebäer Str. 15 Dumont-Carré

So 21.09., 15 Uhr / Di 23.09., 17.30 Uhr / Do 25.09., 17.30 Uhr; Treffpunkt: Neven-Dumont-Straße (Aufgang neben Parkhaus-Einfahrt)

good cop

Umnutzung, die Erste:

Polizisten reichen Essen an Obdachlose weiter. Kein plan-Projekt, trotzdem schön.

große pause

Aussichtspunkt: Die Dachterrasse des VHS-Gebäudes mit der ‚Großen Pause‘ von LHVH Architekten

zelte 001

Räume besetzen: Zelte auf den Dächern der Stadtbilbiothek.

zelte 002

Rund um die VHS hat Michael von Kaler sein 42. Gebot befolgt und den Raum genutzt.

gulliver

Strenger Geruch, wichtiges Projekt und tolle Fotos: Gullivers Hotel und der Boden der Wirklichkeit

Odonien 001

Sammelsurium der Eindrücke: Performance in Odonien.

colonius 001

Room with a view, too: So könnte er sein, der Ausblick vom Colonius…

colonius 002

…tatsächlich sind es nur Drucke, die an die Scheiben im Sockelgeschoss des Turms geklebt wurden. Ein Wiederkehr des höchsten Gebäudes Köln ins Bewußtsein der Bürgerinnen und Bürger soll so angestrebt werden.