Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Lego ergo sum

Eine Nachlese zur Architektur auf der lit.COLOGNE

Zum achten Mal fand in diesem Jahr das Literaturfestival lit.COLOGNE statt. Im Folgenden wird Blick auf zwei Veranstaltungen geworfen, die sich – einmal direkt, einmal im weitesten Sinne – mit dem Thema „Architektur“ beschäftigten.

Glück und Architektur

Der industrielle Charme der Halle Kalk bot den Hintergrund für eine Diskussion über das Potential der Architektur, dem Menschen zum Glück zu verhelfen. Die Leere des Bühnenraums wurde lediglich durch eine Projektionswand, zwei Tische und vier Stühle gefüllt. Eine Kulisse, die es in ihrer Kargheit vermochte, die Konzentration des Auditoriums auf das Wesentliche des Abends – das Gespräch – zu fokussieren.

Gegenstand dieses von Michael Vesper moderierten Gesprächs war das jüngst in deutscher Sprache erschienene Buch „Glück und Architektur“ des britischen Schriftstellers Alain de Botton. In einem kurzweiligen Vortrag führte er das Publikum auf einem Parforceritt durch die Architekturgeschichte, die nicht – wie meist üblich – auf ihre formal-stilistische Kohärenz, sondern auf ihr Vermögen, den Menschen glücklich zu machen, überprüft wurde. Eine Fülle von Bildern versetzte das Auditorium mal in ein grausiges Hotelzimmer der Kette travelodge, mal in die Villa Rotonda Andrea Palladios, mal nach Wien in das Haus Wittgenstein, ein weiteres Mal nach London vor ein Hochhaus, dessen Erbauern der Autor nichts Gutes wünscht, da er das lieblos gestapelte Gebilde täglich von seinem Arbeitszimmer aus sehen muss, und schließlich nach Paris in die wohl komponierte Rue de Castiglione und das beunruhigend dekonstruierte Kaufhaus Publicis an der Champs-Elysées.

Die Spannweite des Gezeigten vermittelte einen Eindruck von dem, was de Botton mit „Schönheit“ meint. Denn die mit dem Attribut „schön“ ausgezeichneten Beispiele hatten eines gemeinsam: Sie ließen eine Ordnung erkennen, die eine Grundvoraussetzung schöner Architektur sei. Und Glück hänge untrennbar mit Schönheit zusammen. Architektur ist dabei zugleich ambivalenter Träger von Stimmungen, denn „Häuser können uns in eine Stimmung versetzen, zu der wir sonst einfach keinen Zugang finden“, so de Botton. „Und auch die edelste Architektur vermag gelegentlich weniger für uns zu tun als eine Siesta oder ein Aspirin.“

Glück hängt also zuallererst von unseren Stimmungen ab, aber als Folie der Wahrnehmung muss das Gebaute zu dessen Ermöglichung Schönheit in sich tragen. Um diese in einer höheren Ordnung zu erreichen, sollten die Architekten dem Wettbewerb der Eitelkeiten entfliehen und die eigene Person in ihren Entwürfen zurücknehmen – de Botton wünschte sich vielmehr einen „Mut zur Langeweile“, die Architektur im besten Fall als „Disziplin der Ähnlichkeit“.

Erich Schneider-Wessling wollte den Begriff „Schönheit“ als objektives Kriterium zur Bewertung der Architektur nicht ausschließlich gelten lassen. Glücklich machen könne diese viel eher durch das Einräumen von Möglichkeiten. Seine partizipatorischen Modelle zeugen von dem Versuch, Nutzer in Planungsprozesse zu integrieren und so eine Anpassung der Architektur an deren Bedürfnisse bereits in der Planung sicherzustellen. Das Haus ist hier als maßgeschneidertes Kleid verstanden, in dessen Sphäre Glück mittelbar Einzug halten kann. Inwiefern sich dieses Verständnis mit den Forderungen de Bottons nach Überindividualität vereinbaren lässt, musste an dem Abend der Veranstaltung jedoch offen bleiben.

Der Moscheenstreit

Die Aula I der Kölner Universität hätte nicht wesentlich kleiner sein dürfen, um der Zahl der Zuhörer Platz zu bieten, die sich dort zum „Moscheenstreit“ einfanden. Doch die Namensgeberin der Debatte, die geplante DITIB-Zentralmoschee in Ehrenfeld, tauchte als konkrete Architektur während des Gesprächs allenfalls am Rande auf.

Auf dem Podium fanden sich neben Moderator Franz Sommerfeld der Architekt Paul Böhm, die Schriftsteller Sherko Fatah und Navid Kermani, der Publizist Günter Wallraff sowie die Rechtsanwältin Seyran Ates ein. Sommerfeld wies gleich zu Beginn die Richtung, in die das Gespräch im weiteren Verlauf der Veranstaltung gehen sollte: Er bezeichnete den öffentlichen Streit um den geplanten Neubau eines islamischen Gotteshauses als positives Signal, denn eine demokratische Gesellschaft bedürfe der Debatte. „Gleichgültigkeit wurde zu oft mit Toleranz verwechselt.“

Das Gespräch, das sich nicht so recht zur Diskussion steigern wollte – dazu fehlte es an einer entschiedenen Gegenposition –, kreiste im Wesentlich um die komplexe Frage gelungener oder verhinderter Integration. Mit einem Verweis auf die Vergangenheit traf Kermani den Kern deutscher Ausländerpolitik: Während konservative Stimmen stets behaupteten, Deutschland sei kein Einwanderungsland, verlor sich die Linke in einer Multi-Kulti-Romantik. Dies führte dazu, dass beide Lager sich nicht um eine Integration kümmerten – die einen aus Blindheit, die anderen aus missverstandener Zurückhaltung. Fatah, der in seinem Buch „Das dunkle Schiff“ von Extremismus, aber auch von der Haltgebung durch Religion in der Fremde erzählt, schlug mit seiner These einer „anfallartigen Einforderung der Integration“ die Brücke zur derzeitigen Debatte: Auf einmal stelle die Politik Forderungen an Einwanderer, die zuvor jahrzehntelang vernachlässigt wurden. Mit dieser Hau-Ruck-Politik laufe die deutsche Regierung Gefahr, als dekadent und bevormundend wahrgenommen zu werden. Ein Phänomen, das wirklicher Integration mehr als hinderlich sein dürfte.

Seyran Ates warnte vor einer Verharmlosung von Parallelgesellschaften und lenkte das Gespräch damit kurzzeitig in Richtung der Architektur, da sie die Gefahr ihrer Etablierung auch im Projekt der Kölner Moschee sehe. „Gerade das Angebot der Parallelgesellschaft verhindert den Zugang zur Mehrheitsgesellschaft.“ An dieser Stelle wird es nicht zuletzt Aufgabe der Architektur sein, eine Öffnung zu formulieren und so eine Verknüpfung von Moschee und Stadt zu ermöglichen. Hier müssen sich Entwurfsgedanken in der Praxis beweisen, denn gerade der von Böhm als „offen und lebendig“ vorgestellte Basarbereich stellte für Ates eine mögliche Fundamentierung selbst gewählter Ausgrenzung dar. Unter diesem Blickwinkel forderte Günter Wallraff eine kritische Auseinandersetzung mit der DITIB, da sie besonders in den Führungsebenen eine Reformbereitschaft vermissen lasse.

Die Integrationsdebatte ist zweifelsohne in weiten Teilen der Gesellschaft angekommen. Doch muss sie nun auch auf der Höhe der Zeit ankommen: Wallraff und Kermani gaben zu bedenken, dass noch immer eine Diskussion geführt werde, „die in der Realität längst einen Schritt weiter ist.“ Die vielleicht wichtigste Erkenntnis des Abends war wohl die, dass nur das gemeinsame, gleichberechtigte Gespräch und die Verabschiedung von Klischees die Theorie der Integration näher an die Praxis des Zusammenlebens rücken.

Rainer Schützeichel

Alain de Bottons Buch „Glück und Architektur – Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein“ ist im S. Fischer Verlag zum Preis von 22,90 Euro erschienen.

Sherko Fatahs Roman „Das dunkle Schiff“ erschien im Jung und Jung Verlag und ist zum Preis von 22 Euro erhältlich.

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Glück und Architektur: Michael Vesper im Gespräch mit Erich Schneider-Wessling und Alain de Botton (v.l.n.r.)

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Venedig als Ausdruck gemeinschaftlichen Strebens: Projektion des Ca‘ d’Oro in der Halle Kalk

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Streben nach Schönheit in der Ordnung: Ludwig Wittgenstein, Haus Wittgenstein, Wien, 1926-1928, Terrasse

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Unordnung beunruhigt: Kaufhaus Publicis an der Champs-Elysées

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Der Moscheenstreit: Navid Kermani, Sherko Fatah, Franz Sommerfeld, Seyran Ates, Paul Böhm und Günter Wallraff (v.l.n.r.)

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Die Leere der Aula nach der Veranstaltung: Was bleibt von der Debatte um Integration?

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Stein des Anstoßes: Modell der geplanten DITIB-Zentralmoschee in Köln Ehrenfeld