Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Ein rheinisches Schicksal

Die Erinnerungen von Paul Clemen geben eindrucksvolle Einblicke in das Kunstverständnis vor 100 Jahren.

Für Paul Clemen war der Fall klar: Erst der „gotische Eigensinn“ von Alexander Schnütgen machte aus dem Chor des Kölner Doms das, was er heute ist: Der Teil einer Kirche, die Zeugnisse zahlreicher Epochen in sich trägt – jedoch nur wenige aus der Barockzeit. Noch bevor die Denkmalpflege im Rheinland eingreifen konnte, schuf der Kölner Domherr die barocke Ausstattung einfach davon. Die Geste eines „intoleranten Diktators“ sei das gewesen, so jedenfalls schreibt es Clemen in seinen Lebenserinnerungen, die mehr sind als nur ein Rückblick auf ein bewegtes Leben als Denkmalpfleger und Kunsthistoriker, sondern ein Stück Zeit- und Kulturgeschichte.

Im Zwiespalt unterschiedlicher Interessen

Geboren in Leipzig im bürgerlichen Umfeld des 19. Jahrhunderts war Clemen erster Provinzialkonservator der Rheinprovinz und damit in einer Schlüsselstellung zwischen den Fronten: Jahrhunderte hatte die Kirche allein entschieden, welche Gegenstände zu erhalten seien oder nicht – Ende des 19. Jahrhunderts formte sich nun eine staatliche, nicht zuletzt aber auch eine bürgerliche Form der Denkmalpflege mit eigenen Auffassungen. Als staatlicher Denkmalpfleger hatte Clemen nicht selten zwischen unterschiedlichen Parteien zu vermitteln: „Die kirchliche Denkmalpflege beanspruchte immer ihr Sonderrecht“, schreibt Clemen und ergänzt dann pragmatisch: „Zusammenstöße mussten vermieden werden“.

Zeitgemäß schien vorallem das 19. Jahrhundert

Das Schicksal des barocken Hochaltars aus Köln war kein Einzelfall. Auch in Aachen und Trier erschienen die Gegenstände nicht nur des 18. Jahrhunderts als nicht mehr zeitgemäß. Kurzerhand mussten alte Stadttore weichen, wurden Gebäude oder nur einzelne Kunstgegenstände entfernt und nicht selten durch Neuschöpfungen des 19. Jahrhunderts ersetzt. Ein Graus für Clemen, der sich schon als junger Student für den Erhalt historischer Gebäude einsetzte und 1890 damit beauftragt wurde, die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz zu inventarisieren, bis er 1893 schließlich Provinzialkonservator wurde.

Denkmalpflege mit Diplomatie und Pragmatik

Clemen kämpfte dafür, dass auch die Bauperiode des 19. Jahrhunderts, spätklassizistische Bauelemente genauso wie historistische, erhaltenswert sind und stieß auf kuriose Situationen: Während neugotische Schöpfungen den Barock verdrängten, galten gerade einmal 100 Jahre alte Kunstgegenstände beispielsweise aus der Zeit des Klassizismus nicht zwingend als schützenswert. Um zwischen den unterschiedlichen Interessen zu vermitteln, gab es für Clemen nur zwei Mittel: Diplomatie und Pragmatik. Mit der widmete er sich auch der Mammutaufgabe, die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz in 56 Bänden zu dokumentieren. Zu Fuß, mit dem Wagen oder Fahrrad reiste der gerade einmal 24-Jährige durch die Provinz, recherchierte und zeichnete. Seine Lebenserinnerungen sind so nicht nur ein interessantes Lesestück, sondern auch ein visuelles Erlebnis: Ein Teil von Clemens akribischen Zeichnungen und Aquarellen aus dem Rheinland vor 100 Jahren hat die Wernersche Verlagsgesellschaft mitveröffentlicht.

Zeugnisse eines echten Bürgers

Pedantisch genau gibt Clemen Zeugnis von seinen unzähligen Dienstreisen, seinen Aufgaben als Universitätsprofessor in Bonn und Düsseldorf, nicht zuletzt als Vorsitzender des neugegründeten Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz. Besonders eindrucksvoll sind die Lebenserinnerungen jedoch in erster Linie immer dann, wenn der nüchterne Erzähler aus seinem geistigen Umfeld berichtet: Dann reihen sich Randgeschichten um Persönlichkeiten wie Hermann Hesse, Auguste Renoir, Papst Leo XIII., Émile Zola oder Wilhelm I. aneinander und geben eindrucksvoll Zeugnis aus dem bürgerlichen Milieu des 19. Jahrhunderts.

Annika Wind

Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege, Band 66, Paul Clemen: Der Rhein ist mein Schicksal geworden ediert, kommentiert und mit einem Nachwort von Gisbert Knopp und Wilfried Hansmann

224 Seiten mit zahlr. Abb., 21 x 30 cm, geb.

Rheinisches Amt für Denkmalpflege

ISBN 3-88462-226-9 (2006)

€ 24.80 SFR 42.80

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