Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Abriss ist Mord

Maria Schwarz im Interview. Sie schildert ihre Ideen zur Umnutzung der Kirchen ihres Mannes im Ruhrbistum und spricht über ihre Gefühle beim Abriss von St. Raphael.

Rudolf Schwarz war einer der großen Kirchenbaumeister der Moderne. Im Sommer 2005 wurde eine seiner Kirchen – St. Raphael in Berlin-Gatow – abgerissen. Mit Heilig Kreuz in Bottrop, der Heiligen Familie in Oberhausen und St. Anna in Duisburg sind drei Kirchen von Rudolf Schwarz von der Schließung bedroht. Rudolf Schwarz‘ Witwe Maria Schwarz kämpft um ihre Erhaltung und kirchliche Weiternutzung.

Wenn Sie sich an Ihre Zeit mit Rudolf Schwarz erinnern: War Kirchenschließung oder die Umnutzung einer Kirche damals schon ein Thema, hat man im Entwurfsprozess darüber nachgedacht?

Nein, das war kein Thema. Erst mal hatte man alles überstanden: Krieg, ausgebombt werden – und es war eine unglaubliche Zeit der Hoffnung und des intensiven Willens. Es war sowohl von der Moderne her – das Bauhaus wurde ja fast Gesetz – als auch von der Lebendigkeit in der Theologie und in der Liturgischen Bewegung ein Neuanfang. Und da war Freude drin und da war Zukunft drin. Unglaubliche Zukunft, keine Rücknahme. Deshalb begreife ich jetzt auch diese Hoffnungslosigkeit nicht. Und dass das Ganze nur aus finanziellen Gründen geschieht – wir hatten ja auch kein Geld.

Welche Alternativnutzung können Sie sich für die bedrohten Kirchen von Rudolf Schwarz im Ruhrbistum vorstellen?

Für Heilig Kreuz in Bottrop kann ich mir zum Beispiel vorstellen, dass man Taufe, Trauer und auch Katechumenenunterricht in diese Kirche hereinbringt. Bei der Heiligen Familie hab ich auch etwas im Kopf. Das liegt in Oberhausen, in der Nähe des Bahnhofs, im Industriegebiet, wo es sehr still geworden ist. Ich hatte mir etwas überlegt und auch schon versucht, es in Bewegung zu bringen: Hier könnte ein Zentrum für Caritas, Sozialdienst katholischer Männer und Sozialdienst katholischer Frauen entstehen. Dass man aus der Heiligen Familie eine Familie der Armen macht, damit die Armen auch einen Festsaal haben. Das könnte ich mir vom Bau und von der Baugruppe her als planbar und machbar vorstellen. Es müsste dann aber getragen werden von der Caritas und vom SKM und SKF und das ist dann auch wieder eine finanzielle Frage. Diese guten geistigen Pläne stehen immer wieder auf der Kippe, weil es letzten Endes darum geht, dass die Schulden der Bistümer gelöscht werden sollen. Und da fehlt mir dann das Verständnis.

Das heißt, die Nutzung sollte Ihrer Meinung nach, möglichst im kirchlichen Rahmen bleiben?

Ja, das ist absolut meine Meinung. Wenn es eben möglich ist. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass eine andere geistige Qualität hineinkommt. So könnte St. Anna für die nahe liegende Universität ein Raum für Feste und Vorträge sein. Das ist dann auch noch eine geistige Qualität. Philosophie und Theologie waren immer miteinander verwandt, auch die Naturwissenschaft. Ich möchte, so lange es eben geht, einen wirklichen geistigen Inhalt darin behalten. Das muss man auch verstehen, denn diese Kirchen sind wirklich aus der tiefen Auseinandersetzung mit den geistigen Inhalten entstanden. Die ganze Architektur von Schwarz kann man nur verstehen, wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit die Gestaltlehre eine tragende Denkebene war. Es ging also darum, einen geistigen Inhalt zur Gestalt werden zu lassen. Wenn das nun das Bemühen war, dann ist es ganz, ganz hart, wenn gegen den Inhalt geschwommen wird.

Was sagt die Universität dazu?

Noch haben keine Verhandlungen mit dem Rektor stattgefunden. Aber ich hoffe, dass es bald dazu kommt.

Gibt es in dieser Debatte denn etwas, was Ihnen momentan Hoffnung macht?

Eine Situation, die ich von Herzen begrüße, ist diese wunderbare Situation in Aachen, St. Fronleichnam, die als Denkmal geschützt ist. Dort will man die benachbarte neugotische St. Josefskirche zu einer Urnenbegräbniskirche machen, damit Fronleichnam weiter als Pfarrei bestehen kann. Daran wird auch schon deutlich, dass eine sorgfältige Unterscheidung von Bauten, bevor man sich von ihnen verabschiedet, sehr notwendig ist.

Könnten Sie sich eine Urnenbegräbnisstätte auch in einer der bedrohten Kirchen von Rudolf Schwarz vorstellen?

Nein, das geht aus bestimmten Gründen nicht. Diese Kirche in Aachen, die St. Josefskirche, ist eine hohe neugotische Halle. Sie ist ein sehr schöner, dreischiffiger Bau, wie ein weitläufiger Wald. Und da will man Stelen hineinstellen und den Mittelgang freilassen. Vorne im Chor soll dann der kleine Trauergottesdienstraum sein – das ist dann wie eine Landschaft, und das geht. Aber die Kirchen von Rudolf Schwarz sind Einräume, und da geht es nicht.

Es gibt ja auch eine Einraumkirche von Emil Steffann in Marl, die vor kurzem zur Urnenbegräbnisstätte umgenutzt wurde.

Das kenne ich nicht. Aber das könnte ich mir in einem Raum von Emil Steffan eher vorstellen. Es ist natürlich jeweils vom Raum abhängig.

Könnten Sie sich auch eine kommerzielle Nutzung vorstellen, also ein Verkauf für eine andere Nutzung, natürlich mit Auflagen?

Nein. Ich sag einfach nein. Es gibt Situationen, die verlangen eine klare Entscheidung. Das ist wie bei einem Deich. Wenn ich da ein kleines Rinnsal durchlasse, ist der Deich gebrochen. Das ist so. Das ist eine Tatsache, die eine saubere Entscheidung fordert.

Sie gehen ja jetzt immer davon aus, dass die Kirchen von der Kirche oder nahen Organisationen weitergenutzt werden – oder zumindest eine geistige bzw. kulturelle Nutzung erfahren. Wenn das aber aus finanziellen Gründen nicht geht, weil so viel geistige und kulturelle Nutzung gar nicht benötigt wird, wenn die Gemeinden zu klein geworden sind, um die Kirche zu tragen, was dann?

Also wenn es wirklich die Frage ist, dass die Gemeinde zu klein geworden ist, dann ist es ja nicht die augenblicklich anstehende Frage, dass das Bistum nicht mehr genug Geld hat. Ich habe zum Beispiel in Andernach, St. Albert, über sieben Jahre mit dem Pfarrer vorübergehend eine andere Gemeindeordnung gefunden, in der die kleine Gemeinde eine intensive Dichtigkeit bekommen hat. Mit einem Holzaltar mitten im Raum und einem Ambo welcher frei steht. Wenn die Gemeinde zu klein geworden ist, gibt es immer Lösungen. Dann brauche ich die Kirche nicht zu verkaufen, da kann ich sämtliche Bänke rausschmeißen. Das ist nicht das Thema, das soll man nicht vorschieben.

Es ist ja aber schon so, dass eine gewisse Zahl an Gemeindemitgliedern notwendig ist, damit sich eine Kirche rein finanziell trägt.

Wenn die Gemeinde zu klein ist, oder gar nicht mehr da ist, so dass sie sich nicht mehr trägt, sollte man das tun, was der Herr Generalvikar Schwaderlapp gesagt hat: Dann sollte man einzelne Kirchen schließen, in der Hoffnung, dass die Gemeinde wieder kommt. Warten. Und ich danke dem Generalvikar, dass er ein Mal gesagt hat, das Beste wäre, die Kirchen auf Zeit zu schließen und abzuwarten. Abwarten scheint mir momentan eine ganz strenge Forderung. Übereilte Entscheidungen sind abzulesen in Berlin Gatow.

Es ist einfach nicht notwendig, das Objekt zu verkaufen, ich kann ja warten. Das ist natürlich gegen unsere ewige preußische Schnell-Erledigen-Psyche. Da ist etwas, das muss erledigt werden und fertig. Dann hab ich es aus dem Kopf. Gehen Sie mal nach Italien, da stehen viele Kirchen, die sind zu. Auch in Frankreich. Die sind noch da, die warten. Diese Preußen können nicht warten.

Glauben Sie denn, dass es irgendwann wieder Gemeinden für diese Kirchen geben wird?

Es ist doch eine Vertrauenslosigkeit: alles muss jetzt sofort geschehen. Die Herren sollten auch mal Gottvertrauen haben. Da wird jede Hoffnung aufgegeben. Wie sollen die Gemeinden denn noch Selbstbewusstsein haben wenn sie aufgegeben werden, sie als Träger der Hoffnung.

Aber den Gemeinden wird ja häufig auch die Entscheidung überlassen, ob sie nun eine Kirche aufgeben und welche sie aufgeben sollen.

Ja, aber meist nicht von Anfang an. Man muss sie von Anfang an mit einbeziehen, um das Bewusstsein der Gemeinden dafür zu wecken, dass die Armut auf sie zukommt und dass man es gemeinsam trägt. Ich kritisiere wirklich, dass man dieses Problem, das seit zehn Jahren herangewachsen ist, zu spät und dann als Letztentscheidung an die Gemeinden heranträgt. Ich kann ja auch über die Jahre mit den Gemeinden zusammen arbeiten. Ich weiß dass das sehr schwer ist, aber sie sollten mit in die Sache hineinbezogen sein.

Würden Sie denn sagen, dass eine Gefahr davon ausgeht, wenn die Gemeinden autark über die Aufgabe von Gebäuden entscheiden?

Natürlich ist das eine Gefahr, denn momentan entscheiden sich die Gemeinden für die Neugotik. Das ist eine Riesen-Gefahr für die Moderne. Kulturelle Entwicklungen sind – genau wie alles andere – immer Wellenbewegungen unterworfen. Momentan findet eine absolute Rekonstruktionswelle, statt. Das geht von Dresden aus, über das grässliche Schloss in Berlin das keinen Inhalt hat, jetzt wollen sie in Hannover ein Schloss aufbauen. Das ist die Schlösseraufbauwut, das Schlimme ist, dass es nicht um Inhalte geht. In diesem Zuge ist die Moderne momentan einer Modeablehnung unterworfen. Aber das muss man sagen: Die geht auch vorbei – und hinterher stehen sie da und trauern über das Verlorene.

St. Raphael in Berlin-Gatow ist ja letztes Jahr abgerissen worden – was ist das für ein Gefühl?

Da habe ich eine Tür zu gemacht, damit ich es aushalte. Das ist Mord.

Abriss ist für Sie das Schlimmste?

Ja, auf jeden Fall. Weil ich ein Mensch der Hoffnung bin.

Das Gespräch führte Vera Lisakowski

kirchen kreuz bottrop

Die Kirche Heilig Kreuz in Bottrop von Rudolf Schwarz

Rechte: Bistum Essen

kirchen familie oberhausen

Die Kirche Heilige Familie in Oberhausen

Rechte: Bistum Essen

kirchen anna duisburg

St. Anna in Duisburg von Rudolf Schwarz

Rechte: Bistum Essen

1 Kommentar

„Hl. Familie“ in Oberhausen ist das Zelt Gottes auf meinem Glaubensweg. Sie ist Gestalt gewordenes zweites Vatikanum und ein Zeugnis aller abrahamitischen Religionen. „Das Wort ist Fleisch geworden und hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen.“ Das Gebäude wirkt so auch in den Stadtteil: Gemeinde unterwegs, als Aktualgenese soziokultureller Hintergründe. Diesen zentralen Raum weiter zugänglich zu machen (vielleicht weiter als bisher); halte ich für die nachhaltigste Lösung. Ich hoffe das Beste für „Hl. Familie“. Glaubensweg heißt allerdings auch: Wir haben das Evangelium nicht um Kirchen zu erhalten.