Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Frage 4: Steckt die zeitgenössische Architektur in der Vertrauenskrise?

koelnarchitektur.de:
Moderne Architektur scheint generell in einer Popularitätskrise zu stecken. Die Sehnsucht nach vertrauten Bildern und der Wunsch historische Ansichten und Bau…

koelnarchitektur.de:

Moderne Architektur scheint generell in einer Popularitätskrise zu stecken. Die Sehnsucht nach vertrauten Bildern und der Wunsch historische Ansichten und Bauten zu konservieren oder gar zu rekonstruieren scheint ungebrochen. Woran liegt es, dass Politik und Gesellschaft so wenig Vertrauen in zeitgenössische Architektur setzen?

Christiane Thalgott

„Moderne“ Architektur war unter Zeitgenossen immer sehr umstritten – egal ob es die Gotik im Mittelalter war, der Barock oder das moderne Bauen in unserer Zeit. Heute wird besonders die Gleichförmigkeit und Langweiligkeit der Architektur beklagt – und leider nicht immer zu Unrecht. Noch nie ist soviel gebaut worden wie in den letzten Jahrzehnten; dadurch gehört die Veränderung der gewohnten Umgebung zum Alltag und ebenso die Sehnsucht, alles möge bleiben wie es war. Gute moderne Architektur vermag auch heute zu überzeugen: In München sind z. B. die Allianz Arena und die 5 Höfe von Herzog & de Meuron ebenso gute Beispiele wie viele Wohn- und Bürobauten von Prof. Otto Steidle oder die neuen Kirchen von Allmann Wappner Sattler und Florian Nagler, um nur einige Beispiele zu nennen. Neue Stadtquartiere mit vielen gleichartigen Gebäuden brauchen ihre Zeit zum „Einwachsen“ in die Stadt (ebenso wie im 19. Jh.) und Denkmalschutz gehört ebenso wie Neues Bauen zur Stadt. Die Größenordnung des Neuen – seien es z. B. neue Wohnquartiere oder Einkaufszentren – sind ein besonderes Problem. Manchmal sind auch mangelnde Funktionalität oder Baufehler ständig öffentlich wirksame Ärgernisse, über die dann natürlich viel mehr geredet wird als über gelungene Projekte. Aber eigentlich lassen sich alle Bauherren und auch die Bürgerschaft von guten Projekten begeistern und erkennen deren Qualitäten – man muss halt darüber reden und ihnen etwas Zeit geben.

Fritz Balthaus:

Wenn es eng wurde ist noch immer zuerst die Kultur vor die Türe gebeten worden. Kultur wäre, wer sie trotzdem hat.

Barbara Schock-Werner

Daran, dass die moderne Architektur in den letzten Jahrzehnten so wenig Neues und wirklich Gutes hervorgebracht hat. Wenn man die Neubaugebiete anschaut oder moderne Bürohausgruppen bekommt man doch eher das Grausen oder das Gähnen. Es liegt auch daran, dass sich Architekten einerseits zu sehr in die Diensten auch völlig skrupulöser Investoren gegeben haben und andererseits in absoluter Selbstverliebtheit an den Bedürfnissen der Menschen vorbei geplant haben.

Christoph Ingenhoven

In Zeiten wirtschaftlicher Rezession verlangt die Angst nach festen, oft nostalgischen Bezügen – das legt sich wieder.

Falk Jaeger

Die Popularitätskrise hat ihre Gründe nicht im Was sondern im Wie. Architektur als Medium, der kommunikative Aspekt von Architektur wird nicht mehr ernst genommen oder einseitig auf die Repräsentationsgeste reduziert. Die Aussagedichte sinkt. Der „menschliche Maßstab „ als Richtschnur steht nicht mehr hoch im Kurs. Häuser werden zu groß, zu glatt, zu sprachlos und verstören nur noch.

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Thalgott neu (Image/Foto)

„Moderne Architektur war unter Zeitgenossen immer sehr umstritten – egal ob es die Gotik im Mittelalter war, der Barock oder das moderne Bauen in unserer Zeit.‘

Prof. Christiane Thalgott

Architektin BDA, SRL Stadtbaurätin

1942 geboren in Breslau, Schlesien. Architekturstudium TU Braunschweig und TU München, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, TU München 1972 – 1987 Stadtplanerin im Stadtbauamt Norderstedt; 1987 – 1992 Stadtbaurätin in Kassel. Seit 1992 Stadtbaurätin in München (3. Amtsperiode). Lehraufträge an den Universitäten Kiel und München, Honorarprofessorin der TU München, Präsidentin der DASL. 3 Kinder, lebt in München.