Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Erfolgsmodell Wohnen: Drei Denkanstöße

Im BDA Montagsgespräch präsentierten drei Experten Wohnkonzepte aus drei Zeitschichten.

Der Architekturhistoriker Werner Heinen von der GAG, eröffnete die Reihe mit einem Referat über die Geschichte des genossenschaftlichen Wohnungsbaus in Köln. Im ausgehenden 19. Jahrhundert litt man unter Wohnungsnot, mangelnder Hygiene und Feuergefahr. Bürgerliches Engagement auf der Grundlage der katholischen Soziallehre stand für die frühen Bauorganisationen Pate, die Abhilfe schaffen sollten. Das architektonische Muster gaben bürgerliche Wohnhäuser und Villen ab. Wo es Werkswohnungen gab, erwies sich die doppelte Abhängigkeit vom Fabrikanten als soziale Falle.

Die Entstehung der „GAG“

1913 trat die „Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Wohnungsbau“ auf den Plan, um preiswerten Wohnraum zu schaffen. Die Hälfte der Aktiengesellschaft gehörte der Stadt Köln, die anderen 50 Prozent der Anteile hielten private Kapitalgeber. Man setzte aus Raum- und Kostengründen bald verstärkt auf Geschosswohnungsbau. Führende Architekten, deren Wirken bis heute in Köln sichtbar ist, waren Caspar Maria Grod und Wilhelm Riphahn, die sich in den 1920er Jahre – wie die Siedlung „Blauer Hof“ und „Die weiße Stadt“ belegen, an der klassischen Moderne orientierten.

Mietsicherheit und Bezahlbarkeit, Nachbarschaftshilfe und ein gewisser kultureller Anspruch, der sich etwa in Gemeinschaftseinrichtungen wie Bibliothek und Theatersaal zeigte, zeichnete das Leben in den Siedlungen aus. Letztlich, so führte Heinen aus, entstanden die Genossenschaften, weil man den Marktmechanismen misstraute.

„Veredelte Einfamilienhausideologie mit Zusatzqualitäten“

Ein Beispiel aus den 1970er Jahren präsentierte der Architekt Prof. Dr. Wolfgang Meisenheimer. Er hatte in Düren ein Grundstück mit Gefälle entdeckt, das ihn zu bebauen reizte und zwar mit „eigensinnigen Häusern“ für mehr als ein Dutzend Parteien. Erst ersann er ein Grobkonzept und Regeln des Zusammenlebens und begab sich auf die Suche nach den passenden Nutzern für diese Struktur. In zwei Vorstellungsrunden, die die Vor- und Nachteile diese verdichteten Wohnens vor Augen führten, dezimierte sich die Zahl der Interessenten von 110 auf 15.

In diesem Bauherrenprojekt „Im Eschfeld“, in dem der Architekt selbst lebt, einigte man sich auf zwei Leitideen: die möglichst geringe juristische Ausprägung und eine möglichst hohe architektonische Qualität. Das Konzept einer äußeren und einer inneren Straße mit einer Platzanlage für Kinderspiele und Feste sowie ein Materialkanon wurden in einer Satzung festgelegt.

Meisenheimer rasterte die Grundfläche und entwickelte zwei Bauzeilen als modulare Kuben. Dann wurden nach Bedarf und Finanzkraft die Flächen auf Eigentümer aufgeteilt, nach den individuellen Vorstellungen der Nutzer. Erst nach der Bauplanung entstand der Bebauungsplan. Die Finanzierung wurde nicht zusammen sondern von jedem Eigentümer selbst abgewickelt Durch gemeinschaftlichen Einkauf lagen die Kosten jedoch deutlich unter denen eines üblichen Eigenheimbaus.

Zu den Zusatzqualitäten gehört zum Beispiel ein gemeinschaftliches Schwimmbad. Zudem kommen alle Bewohner sowohl in den Genuss des Fernblicks als auch eines intimen Außenraums. Individualität und Freiwilligkeit bestimmen das Klima in dieser Siedlungsgemeinschaft, die der Enthusiasmus des Architekten und Planers zusammengeführt hat. Über 30 Jahre nach der Entstehung leben noch 70 Prozent der Erstbewohner dort.

Ein quicklebendiges Erfolgsmodell: Die Wiener Sargfabrik

Dr. Robert Korab präsentierte das dritte Modell, die „Sargfabrik“. Anfang der 1980er Jahre setzten sich in Wien Menschen zusammen, deren Idee es war, mit gemeinschaftlichem und integrativem Wohnen die Stadt neu zu besetzen. Zehn Jahre dauerten Objektsuche und Planungsphase. Weil das Genossenschaftsrecht ihnen als zu enges Korsett erschien, organisiert ein gemeinnütziger Verein ihr als Wohnheim bezeichnetes Projekt.

Dieser Verein erwarb für eine Million Euro die größte Sargfabrik der Donaumonarchie. Die alte Fabrik musste komplett abgerissen werden. Bei der Neubebauung der 8000 qm Nettonutzfläche hielt man sich jedoch an Baukörpereinteilung und Raummaße der früheren Backsteinbauten, so erstand etwa die 5 Meter hohe Halle neu. Sie wurde unterteilt und bietet nunmehr Raumhöhen von 2,25 Meter, doch durch großzügige Lufträume wirken diese niemals wirklich gedrückt.

Bis 1996 wurden 120 Wohneinheiten und teilöffentliche Bereiche wie Kindergarten, Restaurant, ein Kultur- und ein Seminarzentrum sowie eine öffentliche Schwimmhalle mit Badebetrieb nach orientalischen Muster fertiggestellt. Es gibt einen Spiel- und einen Bolzplatz, einen Teich und einen Dachgarten, der sich durchaus mit einer kleineren Parkanlage messen kann. Heute beschäftigt der Verein 18 Angestellte und hat einen jährlichen Umsatz von einer Million Euro.

160 Mitglieder haben eine Einlage zur Finanzierung des Objekts geleistet und wohnen in der Sargfabrik zur Miete. Es gibt sogar einen gemeinschaftlichen Fonds zur Subventionierung in Not geratener Bewohner. Alle Entscheidungen, die das Gemeinschaftseigentum betreffen, werden basisdemokratisch getroffen. Das Erfolgsmodell Sargfabrik wurde im Jahr 2000 fortgeschrieben. In unmittelbarer Nachbarschaft entstand ein außergewöhnliches Wohngebäude mit weiteren Wohneinheiten „Miss Sargfabrik“, ebenfalls im Sinne des integrativen Wohnens. Robert Korab betonte: „Die Bedürfnisse der Menschen sind so, wie in jeder anderen Wohnanlage, aber die Art diese auszuleben ist verschieden.“

Wer ist in der Lage, sich selbstverwaltet zu organisieren?

Diese Frage tauchte in der anschließenden Diskussion auf. Es wurde rasch deutlich, dass die drei Wohnkonzepte nicht nur drei Zeitschichten repräsentieren. Sie differieren auch nach Anzahl der Wohneinheiten, Organisationsform, Entstehungszusammenhängen und Eigentumsverhältnissen Da Nutzergruppen angesprochen werden, die sich auch hinsichtlich ihrer Finanzausstattung und ihrer „Wohnwerte“ unterscheiden, haben nach wie vor alle Konzepte ihre Berechtigung.

Im klassischen Siedlungsbau wie dem der GAG aber auch im Wiener Verein steht die Nachbarschaftlichkeit im Vordergrund, die zum Beispiel für Alleinerziehende bedeutsam ist. Sie wird teilweise oder ganz professionalisiert. So beschäftigt etwa die GAG elf Sozialarbeiter zur Unterstützung von Mietern in schwierigen Lebenssituationen.

In Düren ist die Individualität maßgeblicher als der soziale Gedanke. Hier geht es um persönliches Eigentum, in Wien um kollektiven Besitz. Für das Modell „Im Eschfeld“ gab es erst eine Satzung und dann wurden die Bauherren gesucht, im Fall der Sargfabrik verlief der Weg umgekehrt.

Was in die Zukunft weist – Drei Denkanstösse als Schlusswort

1. Nachbarschaftlich orientierte Wohnformen scheinen die Bereitschaft zur Elternschaft zu fördern, wie von Werner Heinen und Dr. Korab gleichermaßen bestätigt wurde. Ein Grund mag darin liegen, dass sie eine Nähe zur Lebensgemeinschaft „Großfamilie“ haben, die sich hier als gelebte Elternsolidarität zeigt.

2. Die Sargfabrik zeigt, dass insbesondere die unterschiedlichen Nutzungen zur Attraktivität beitragen. Restaurant und Internetcafé, Seminarbetrieb, Veranstaltungshalle, Büros und integratives Wohnen in ansprechendem Ambiente – alles zusammen erzeugt weder eine elitäre Oase noch ein Ghetto Unterprivilegierter sondern eine lebendige Mischung und breite Akzeptanz.

3. Das persönliche Engagement und der Anspruch an Wohnqualität der Architekten, die in dem von ihnen entwickelten Projekt leben und Teil der Anwohnergemeinschaft sind, wirkt sich überaus positiv aus.

Alle Anwohner profitieren von Verständnis, Verpflichtung und Verantwortung aber auch der Begeisterung Planer.

Man stelle sich vor, wie die ein oder andere Häuserzeile (nicht nur in Köln) geraten wäre, hätten die Architekten sie so erdacht, dass sie selbst gerne darin lebten… was für eine Vision!

Petra Metzger

Siedlung

Die GAG Siedlung ‚Blauer Hof‘ in Buchforst wurde 1926-27 von Wilhelm Riphahn und Caspar Maria Grod gebaut. Die historische Luftaufnahme stammt aus dem GAG Archiv und und wurde in Stadtspuren, Köln: Siedlungen 1888 – 1938 veröffentlicht.

Stadtspurentitel Blauer Hof

Auf dem Titel des von Werner Heinen verfassten Stadtspurenbandes ist ebenfalls ein Foto der Siedlung ‚Blauer Hof‘ zu sehen. Die Farbgestaltung wurde von Heinrich Hoerle entworfen.

Im Eschfeld Plan

Eine äußere und eine innere Straße stellen den Rahmen für die Baugruppe Im Eschfeld dar. Der innere Teil dient als gemeinschaftlich genutzter Aussenraum.

Im Eschfeld Modell

Das Modell veranschaulicht die Hanglage. Deutlich sichtbar überragt die Häuserzeile zur äußeren Straße um ein Geschoss. Damit kommen alle Nutzer in den Genuss des Fernblicks.

Sargfabrik von oben

Die Sargfabrik in Wien, ein Wohnheim im Kollektivbesitz auf dem Grundstück einer früheren Sargfabrik.

Sargfabrik Spielplatz

Die Neubauten entstanden 1994-96 und folgen in Anordnung und Raummaßen der früheren Fabrikbebauung.

Sargfabrik Balkon

Die Laubengänge und Balkons haben schräge Brüstungen und Sichtschlitze für die Kinder. Bei gleicher Grundfläche ergibt sich ein großzügigerer Eindruck.

Sargfabrik Teich

Das leuchtende Orange der Fassade ist ebenso ein Markenzeichen der Sargfabrik wie der hohe Freizeitwert der Anlage. Hier ein Blick auf den Teich. Ein Dachgarten bietet eine weitere großzügige Erholungsfläche.

1 Kommentar

Ich stimme Ihren Ausführungen, insb. Ziff. 3, voll und ganz zu. Aus meiner eigenen Tätigkeit kann ich zwei Wohnanlagen nennen, auf die – aus meiner Sicht – das von Ihnen Gesagte zutrifft. Die Wohnanlage „Am Donewald“ in Dünnwald und die Anlage auf dem Barthonia-Forum. Ich lade Sie ein, diese gemeinsam zu besichtigen.
Mit Gruss Klaus Jürgensen