Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Mögliche Orte – Bildwelten, Planerwelten?!

Eine Ausstellung im Rahmen der schul.schau im stadt.bau.raum Gelsenkirchen

Der Fotograf bedient sich der Architektur, um sie abzubilden. Neben einem Ist-Zustand zeigt er das Zusammenspiel von Mensch, Stadt und Landschaft sowie deren Entwicklung auf. Die vermeintliche Authentizität der Fotografie ist wesentlich für den Diskurs und die Verbreitung von Baukultur geworden: Spricht man über Architektur, spricht man auch über das fotografische Abbild. Der Planer bedient sich der Fotografie, um das noch nicht Gebaute in einem städtebaulichen Umfeld zeigen zu können. Nach der Dokumentation des Bauens folgt schließlich der Auftrag, die Architektur im Sinne des Plans abzulichten und damit unsterblich zu machen. Wenn Fotografie und Architektur in einem solchen Maß voneinander profitieren, kann es da auch denkbar sein, dass Bildgestalter und Planer gemeinsam die Qualitäten eines „möglichen Ortes“ entdecken und erschließen können?

Stadt, Land, Fluss – immer der Nadel nach

In Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Haus der Stadtkultur, Gelsenkirchen und Pixelprojekt_Ruhrgebiet entstand ein Workshop, an dem neun Hochschulen mit ihren Fachbereichen Architektur, Stadtplanung und Bauingenieurwesen, Fotografie und Fotodesign teilnahmen. Zehn Gruppen aus je zwei Planungs- und zwei Fotografiestudierenden wurden mit einem Kompass ausgestattet und für zwei Stunden in zehn unterschiedliche Himmelsrichtungen auf die Suche nach einem gemeinsamen „möglichen Ort“ geschickt. Ausgangspunkt für die Expedition und Basis der anschließenden Ausarbeitung war der stadt.bau.raum auf der ehemaligen Zeche Oberschuir in Gelsenkirchen.

Die Ausstellung

Die Ergebnisse sind Realitätsbeschreibungen von Orten, die aber auch das Potenzial und die Möglichkeit einer Veränderung dieser Orte aufzeigen. So wird zum Beispiel eine Grünfläche zwischen dem fragmentarischen Siedlungsgefüge der Stadt zu einem „geheimen Ort“ einem „nowhere in the middle of somewhere“, dessen spezielle Charakteristik es laut der Gruppe „Nordnordwest“ zu erhalten gilt. Die Präsentation in Form einer raumgreifenden Video-Ton-Installation lässt den Betrachter in diesen Ort eintauchen, doch die Überlegungen zu den unterschiedlichen Erhaltungsmöglichkeiten, die bis zur Verfälschung von geografischem Kartenmaterial reichen, bleiben ihm verborgenen. Ebenso die Analyse des Stadtteils Gelsenkirchen-Bismarck: Die sehr ästhetische Fotografie vermittelt eher eine künstlerische Position als die Auseinandersetzung mit einem Stadtteil im Wandel. So stellt der Ausstellungs-Parcours zunächst eine sinnliche, teils irreführende fotografische Spurensuche dar, die Gelsenkirchen als Ruhrgebietsstadt mit all ihren Klischees zeigt.

Nutze den Katalog!

Doch das dokumentarische Video über ein Fußballspiel auf einem Supermarkt-Parkplatz oder das „Experiment“ der Gruppe „Ost“ lassen erahnen, dass es noch mehr zu entdecken und einen Plan zu erfahren gibt. Der sehr ausführlich erarbeitete Ausstellungskatalog hilft dem Besucher schließlich, das gesamte Potential der Arbeiten zu verstehen. So stellt das inszenierte Fußballspiel nur eine Möglichkeit dar, wie überdimensionierte, monofunktionale Discounter-Parkplätze von „stadträumlichen Wüsten“ zu temporären „Erlebnisräumen“ werden können. Der Katalog berichtet aber auch von den Schwierigkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit – von dem Experiment, ohne verbalen Austausch Aufzeichnungen zu verstehen und nach eigenen Vorstellungen weiter zu entwickeln. Dabei ist die Fotografie nicht mehr Ergebnis einer Arbeit, sondern Mittel gruppeninterner Kommunikation. Die Gruppen „Süd“ und „Südwest“ hingegen nutzen inszenierte Fotografie als Werbematerial: Versehen mit einem Logo und einem Slogan wie „hier wo sonst.“ entstehen Postkarten- und Plakatserien.

Die Perspektive

Der Katalog gibt der Ausstellung und dem vorangegangenen Workshop die gewünschte Tiefe. Man erkennt, dass die Bilder neben dem Augenblick der Ästhetik auch ein sehr präzises Anliegen in sich tragen. Waren sich die ambitionierten Veranstalter und Teilnehmer zu Beginn des Workshops noch nicht im Klaren über den Ausgang der interdisziplinären Spurensuche, so haben die „möglichen Orte“ eine nicht geahnte Tragweite über die Fotografie und den Masterplan hinaus bekommen: Sie sind eine Aufforderung an den Menschen geworden, voneinander zu lernen und stadträumliche Eigenarten nicht nur zu kritisieren, sondern auch als Möglichkeit zu erkennen. Es ist aber auch eine Aufforderung an das Ruhrgebiet, in seinem Strukturwandel zur Kulturregion die Menschen nicht zu vergessen, deren ehemaliger Arbeitsplatz heute unter anderem Weltkulturerbe ist.

Christoph Herkenrath

Mögliche Orte – Bildwelten, Planerwelten?!

schul.schau #2

noch bis zum 08.01.2006

Mi 15.00-19.00 Uhr, So 14.00-18.00 Uhr

und nach telefonischer Absprache unter 0209-319 81 19

stadt.bau.raum

Boniverstraße 30

45883 Gelsenkirchen

MoeglicheOrte_StadtBauRaum

stadt.bau.raum auf der ehemaligen Zeche Oberschuir in Gelsenkirchen

MoeglicheOrte_plan

zehn Gruppen – zehn Himmelsrichtungen

MoeglicheOrte_leuchttisch

Unzählige Dias auf einem Leuchttisch dokumentieren den Workshop.

MoeglicheOrte_GeheimeOrte

‚Wie eine gewaltige Kulisse offenbart sich das vorher gehütete Geheimnis.‘ Gruppe Nordnordwest, ‚[un]sichtbar‘ – geheime Orte

MoeglicheOrte_fussballspiel

‚Der Stadtbewohner und Konsument sucht nach Glück und Erlebnis, nach Abenteuer in der Zweckentfremdung.‘ Gruppe Nordwest, Multifunktional

MoeglicheOrte_experiment_1

Zwei Orte, zwei Herangehensweisen, dann ein Wechsel der Arbeitsorte und Protokolle, ohne dass eine Diskussion stattfindet. Gruppe Ost, Ein Experiment

MoeglicheOrte_HierWoSonst

‚Kultur entsteht, wenn das Anderssein anderer zum Gegenstand der Beobachtung und Unterscheidung wird.‘ Gruppe Südwest, hier wo sonst.