Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Kaiser Bill at his batman`s home

Unbedingt ansehen: Das Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm II in Originalgröße auf dem Couchtisch

Der Kölner war ja schon immer der Schuhputzer, der Offiziersbursche, ja, der lebenslange Untertan von Kaiser Wilhelm dem Zweiten. Perspektivisch jedenfalls. Seit 1911 thront der Regent, bzw. Exregent in panoptischer Hochperspektive über Fernverkehr und Kölner Panorama. Diese Perspektive hat Tazro Niscino jetzt umgekehrt. Der 1960 geborene Künstler hat das Reiterstandbild an der Hohenzollernbrücke komplett einrüsten und um den Kopf des Regenten herum einen Raum bauen lassen. Innen ein gewöhnliches Wohnzimmer mit Fernseher, Bücherregal, Couch und einem Couchtisch, aus dem Kopf und Büste des letzten deutschen Kaisers als überdimensionierte Nippesfigur ragt.

Diese hochkonsumerable, ja süffige Installation (oder, wie es im Kunstdiskurs immer so gefällig pseudosubversiv heißt: ‚Intervention‘) sollten die Kölner dem Künstler und sich selbst mit einem Besuch danken. Wir haben nun schon viele Regenschirme auf vielen Seziertischen gesehen, aber die wettergegerbte Adlerhaube auf dem Wohnzimmertisch ist schon echt cool. Man kommt in den Raum und grinst. Und das funktioniert bei fast jedem.

Ein wohlfeiler Triumph

Über die Gründe warum hier alle grinsen, darüber dürfte sich die ansonsten eher unentschiedene Theorie des Witzes sicher sein: Man erlebt geradezu das Modell einer plötzlichen Entzauberung von Autorität. Tritt man in das hoch über Köln gelegene Wohnzimmer, schaut man dem Monarchen (bzw. seiner statuarischen Repräsentanz) in die Augen, und Wilhelm II, zur Pose verurteilt, muss zusehen, wie seine – jedenfalls perspektivischen – Underlinge über seine despektierliche Platzierung glucksen müssen. Das ist zwar ein wohlfeiler Triumph, aber einer von hohem Unterhaltungswert.

Melancholische Augen können auch noch etwas anderes sehen: Neben der Trivialität der Größe, auch die Verwitterungsspuren und Oxidationsschäden in der Makroperspektive, und – sozusagen als Schmiss der Figur – ein veritables Ein- und Austrittsloch eines Granatsplitters im Flügel des Adlers, der auf des Herrschers Helm thront.

Projekt Migration

Diese Kunstinstallation ist übrigens ein Bestandteil der laufenden Ausstellung des ‚Projekt Migration’. Doch mit Verlaub: Der Bezug zum ‚Projekt Migration’ ist nachträglich und weit hergeholt. Der Künstler verwertet sein Konzept in verschiedenen Kontexten und es hätte ebenso gut in andere gepasst. Das ist auch o.k. Aber dieser Bezug ist nur geglücktes Marketing, macht aber nicht seinen Charme aus.

Erwähnt sei der Bezug trotzdem, denn aus geglücktem Marketing lässt sich schließlich immer lernen: Wilhelm II war Enkel von Queen Viktoria. Er ist also ein Beispiel für die Migration auf höchster Adelsebene zum Zwecke der Machtvernetzung (via Heiratspraxis). Dann repräsentiert er den Anspruch auf deutsche Kolonialherrschaft und schließlich begann in seiner Zeit – also in der Phase industrieller Revolution mit ihrem Hunger nach billigen Arbeitskräften – eine kontrollierte Zuwanderungspolitik, welche gleichzeitig die Zuwanderung von ‚Reichsfeinden’ verhindern wollte.

Als der Wärter übrigens meine Freude angesichts der Installation sah, sagte er, „das könnte Ihnen auch noch gefallen …“, erhob sich und öffnete ein Wäschekorb hinter der Couch. Darin die Ohren von Wilhelms Pferd.

Axel Joerss

Öffnungszeiten:

1. 10. 2005 – 15. 1. 2006

Montag: geschlossen

Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag und Sonntag:

13 – 19 Uhr

Donnerstag: 13– 21 Uhr

Der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen

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Rühren geht nicht, dennoch, nach fast 100 Jahren Geschichte eine kleine Rast für den Kaiser.

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Noch ist ihm kein Dach über den Kopf gewachsen …

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Kriegsschaden

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Ein visueller Mehrwert: die privilegierte Aussicht auf dem Gerüst mit Panoramablick über die Hohenzollernbrücke.

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dito

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und noch ein visueller Mehr(oder weniger-)wert …

1 Kommentar

Mein Respekt für Tasro Niscino !
Intelligente und gleichzeitig intuitiv unmittelbar verständliche Kunst ist ganz was seltenes.
Gibt es von seinem künstlerischen Schaffen noch mehr zu sehen?
Information zu mir bitte !