Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Der Irrglaube der Realität

Das dritte Porträt unserer Reihe stellt den Kölner Architekturfotografen und Künstler Lukas Roth vor.

Die Wahrheit der Fotografie im Sinne eines unumstößlichen Dokuments ist für Lukas Roth ein Mythos: „Die Manipulation von Fotografie ist so alt wie die Fotografie selbst.“ Dabei ist es egal, ob man durch Ausschnitt, Inszenierung, Retusche oder digital manipuliert.

„Tod eines spanischen Legalisten“ aus dem Jahre 1936 zum Beispiel ist nicht nur das bekannteste Bild des Kriegsfotografen Robert Capa, sondern gleichzeitig auch sein umstrittenstes. Man geht davon aus, dass Capa, um das Leid des Krieges in einem Bild auf den Punkt zu bringen, die Szenerie inszeniert und somit manipuliert hat.

„Ich hatte eine sehr fotobegeisterte Großmutter. Sie hat Frösche in ihrem Teich fotografiert – das hat mich sehr fasziniert. Zu meinem sechsten Geburtstag habe ich dann die erste Kamera geschenkt bekommen.“ Nach dem Abitur nimmt Lukas Roth an einem Fotoworkshop der Sommerakademie Salzburg teil. Seine Dozentin Verena von Gagern bestärkt ihn in dem Wunsch, Fotografie zu studieren und empfiehlt die Ecole Nationale Supérieure de la Photographie in Arles, Frankreich. „Der Hauptgrund, warum ich an diese Schule wollte, war die gleichberechtigte Ausbildung in den Bereichen Kunstgeschichte, Theorie und Praxis, sowie Handwerk und Kunst.“ Workshops mit Fotografen aus der Werbe-, Architektur-, Reportage- als auch Kriegsfotografie ergänzen berufsorientiert den Lehrplan. Im dritten Jahr spezialisiert sich Roth auf die Architekturfotografie und schließt als ein Teil seines Diploms das Studium mit einer fotografischen Arbeit über die Restaurierung einer südfranzösischen Klosteranlage ab.

Der Idealmoment

Roths Anliegen ist es, Architektur so dokumentarisch wie möglich zu fotografieren. Dies ist allerdings nur bedingt möglich. Schon der Ausschnitt oder die gewählte Lichtstimmung stellen eine Inszenierung dar. „Dokumentarisch betrachtet müsste man auch Autos, Straßenlaternen sowie die städtebauliche Eingliederung mit fotografieren. Nur so kann sich der Bau auch in Bezug auf sein Umfeld positionieren – egal wie scheußlich es ist. Aber meistens wollen die Architekten das ja nicht.“ Weiterhin lässt sich eine Ästhetisierung durch die Fotografie nicht vermeiden. Die Großformatkamera ermöglicht es dem Fotografen, Standpunkt und Perspektive voneinander zu lösen. Stürzende Linien können dabei in einem Maße ausgeglichen werden, dass sie über die gesamte Bildebene parallel und rechtwinklig zueinander stehen. Das erzeugt eine Monumentalität, die dem Bild etwas „majestätisches“ verleiht.

Für Roth bedeutet Architekturfotografie das Übersetzen von „gebauter dreidimensionaler Architektur“ in ein „zweidimensionales Abbild“. Charakteristiken, die ein Bauwerk auszeichnen und im Dreidimensionalen bei jedem Licht erfahrbar sind, werden durch den bestmöglichen Sonnenstand so deutlich hervorgeholt, dass sie auch über das Foto erlebt werden können. Diese Art der Idealisierung dient Roth jedoch nicht dazu, das Gebäude schöner erscheinen zu lassen, sondern um möglichst klar das Wesen des Gebäudes und damit den Entwurfsgedanken des Architekten zu zeigen.

Von Traum und Wirklichkeit

Nach insgesamt fünf Jahren Südfrankreich kommt Lukas Roth 1991 zurück nach Deutschland und macht sich in Köln als Architekturfotograf selbständig. Er glaubt zunächst seine künstlerische Arbeit mindestens gleichberechtigt neben der Auftragsfotografie ausüben zu können – doch mit dem Fotografieren allein ist es nicht getan. „An jedem Job hängt noch sehr viel Arbeit hinten dran! Dann gilt es, in teure Ausrüstung zu investieren. Hat man das geschafft, kommt die Familie hinzu und man muss noch ein bisschen mehr arbeiten. Dann arbeitet man plötzlich so viel, dass für die Kunst keine Zeit mehr bleibt.“

Die Zusammenarbeit mit Architekturbüros wie Felder, Peter Kulka und Wiegmann & Trübenbach aus Köln, Helmut Riemann, Lübeck und Christian Bauer, Paul Bretz Architects aus Luxemburg sowie dem Lichtplanungsbüro Licht Kunst Licht, Bonn/Berlin ermöglichen es Roth, nur noch im Auftrag arbeiten zu können. „Seit ich Familie habe, fotografiere ich nicht mehr ohne Auftrag. Die Veröffentlichungshonorare sind einfach zu gering im Verhältnis zu der Arbeitszeit und Chance, die Bilder auch wirklich verkauft zu bekommen.“

Seit 2002 nimmt Roth sich wieder Zeit und Muße für seine künstlerische Arbeit. Für ihn bedeutet Kunst eine Befreiung von den Konventionen der Arbeit als auch des Sehens. Architekturfotografie allein ist für Roth noch keine künstlerische Arbeit. „Francis Bacon hat einmal gesagt, dass er mit seiner Kunst versucht, möglichst direkt das Nervensystem des Betrachters zu treffen. Das ist der Punkt! Kunst soll aufwühlen, irritieren und zum Denken anregen.“ In diesem Sinne entwickelt Roth Architektur-Landschaften, die nicht Abbilder sind, sondern die Erinnerung eines Raumes darstellen – man glaubt die Orte zu kennen, spürt aber auch, dass es sie so nicht geben kann.

Auslöser für sein künstlerisches Thema waren die Phänomene, dass die Erinnerung an einen Ort oft mehr einer Idealisierung, als der Realität entspricht und dass die Fotografie eines Raums nicht der Großzügigkeit und Weite der Wahrnehmung gleichkommt. Er beginnt, sich mit dem „Idealort“ beziehungsweise der Wahrnehmung, die man nicht direkt fotografieren kann, zu beschäftigen und entwickelt Bilder, die weit über die Fotografie hinausgehen. Roth spielt mit der Wirkung von Perspektive, beeinflusst sie in feinen Nuancen, die auf den ersten Blick nicht auffallen, aber die gewünschte Irritation hinterlassen. Seine frühen Arbeiten sind in ihrer Wirkung meist nur korrigierend bearbeitet, wohingegen die Werke jüngeren Datums durchweg konstruiert sind.

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Lukas Roth, Jahrgang 1965

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Gebäude für die Weiterbildung der Robert-Bosch AG, Stuttgart, 2004, Architekt: Peter Kulka

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Gebäude für die Weiterbildung der Robert-Bosch AG

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Gebäude für die Weiterbildung der Robert-Bosch AG

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Gebäude für die Weiterbildung der Robert-Bosch AG

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Novartis Forum 3, Basel, 2005

Architekt: Ortner & Ortner

Lichtplanung: Licht Kunst Licht

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Architekt Helmut Riemann hat im Auftrag der Sparkasse Aurich-Norden 20 Bauten saniert, ergänzt oder neu errichtet

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Neuer Weg, Norden, Sanierung und Neubau, 1999-2004