Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

plan04: Die Wahl der Wohnform

Der Architekturkritiker Klaus-Dieter Weiss und der Chefredaktuer der Architekturzeitschrift ‚Detail‘ Christian Schittich diskutierten.

Ein Autorengespräch „Verdichtetes Wohnen – Von der Vereinzelung an der Peripherie zum Häuserhaus der Stadt“

Wofür leben wir, fragten die Kinks und sangen höhnisch: „Two-roomed apartment on the second floor.“ Und wer strictly second class ist, wird ihr nie entkommen, der städtischen Etagenwohnung. Das ist die eine Möglichkeit zu wohnen: Sie bedeutet minderwertiges Looser-Wohnen in sozialen Ghettos. Diese Wohnform befriedigt zwar eine phantasielose Liste existenzieller Grundbedürfnisse (Schlafen, Essen und Fernsehen im überdimensionierten Wohnzimmer), Wohnkultur ist für diese Massenbehausung allerdings eine abgehobene Kategorie. Hier ist Wohnen eine Notlösung, weil man sich anderes nicht leisten kann. Das andere, die Wohnform von der alle träumen: Das freistehende Einfamilienhaus im Grünen, das ganz andere Schattenseiten hat.

In dem Autorengespräch „Verdichtetes Wohnen“ im Eventsalon Sterns hielt der Architekturkritiker Klaus-Dieter Weiss ein Plädoyer für eine dritte Möglichkeit: Eine städtische Wohnform, welche die Qualitäten des Einfamilienhauses in die Etagenwohnung projiziert. Eine Wohnform für die vieles spricht, die aber öffentlich so gut wie nicht wahrgenommen wird.

Warum ist der Traum vom Einfamilienhaus oft so grässlich, wenn er realisierte wird, warum macht er seine Bewohner so unglücklich? Klaus-Dieter Weiss rechnet vor: Fern von der Stadt – und natürlich nah an der Autobahn – zersiedelt diese massenhafte Form individuellen, mittelständischen Wohnens die Natur. Der realisierte Traum ist meist wenig individuell und zeigt sich als ungerührt gleichförmiger ästhetischer Alptraum, der als Fremdkörper die Umgebung verletzt. Soweit der ästhetische Schaden. Dazu kommt folgendes: Angeblich verbringt der Durchschnittsamerikaner – der uns zivilisatorisch selbstverständlich um einiges voraus ist – schon heute ca. zehn Jahre seines Lebens im Auto, während er auf dem Weg in sein Einfamilienhaus ist. Aber wir holen auf: Auch wir verbringen durchschnittlich schon 11,2 Stunden die Woche zwischen Arbeit und Behausung pendelnd. Dazu kommt noch die notwendige Finanzierung dieser Mobilität, das sind noch mal ca. 5000 Euro pro Jahr für das Auto, einer Summe, der, grob gerechnet, eine aufgewendete Lebenszeit von ein bis zwei Monaten pro Jahr entspricht. Glücksforscher führen an: Pendeln macht unglücklich, weil die Zeit für die täglich notwenigen Regenerationsphasen von der Fahrzeit auf dem langen Weg ins Glück aufgezehrt wird. Und von den ökologischen Schäden die uns alle unglücklich machen war noch nicht einmal die Rede.

Wir brauchen also eine dritte Möglichkeit neben der scheinbaren Zwangsalternative von Etagenwohnung oder Einfamilienhaus. Für aktuelle Wohnprobleme brauchen wir bezahlbare Lösungen: Nachverdichtungen im städtischen Raum, nachhaltiges Bauen im Bestand, flexible Wohnformen, die dem soziologischen Wandel Rechnung tragen (wo die Wohnungswirtschaft in der Regel immer noch Grundrisse anbietet für die Bedürfnisse einer Kleinfamilie die vielleicht in den 50er und 60er Jahren einmal existiert hat). Klaus-Dieter Weiss zeigte, dass in der Architekturgeschichte schon viel Lösungen vorgeschlagen wurden für die es allerdings ein Vermittlungsproblem gibt. Eine aktuelle stammt von dem Architekten Hadi Teherani: Ein Häuserhaus, das Hauseinheiten unterschiedlicher Kubatur stapelt, so dass sie im Gesamt wieder einen geschlossenen Kubus ergeben. Dieses Modell realisiert zudem ein Grundbedürfnis: Die Wohneinheit, also die Umrisse des Eigentums werden nach außen abgebildet.

Lösungen gibt es also, warum aber werden sie nicht nachgefragt? Nun, der Markt biete nur die stereotypen Lösungen und nur diese werden von der Politik gefördert. Wenn aber eine deutliche Nachfrage besteht, werden erfahrungsgemäß auch Markt und Politik irgendwann reagieren. Schließlich gibt es schon heute eine große mittelständische Gruppe urbaner Mittdreißiger, die um nichts auf der Welt auf die Möglichkeiten der Stadt verzichten möchten. Hier müsse es realisierte Modelle des Häuserhauses geben, dessen Vorzüge sich von Anschauung und Erfahrung bestätigen lassen. Dann: Kinder, wer will sie in schlechter städtischer Luft aufwachsen lassen, naturfern und gefährdet vom Verkehr? Nun, auch dafür gäbe es möglicherweise architektonische und städtebauliche Lösungen, aber sie sind aufwendig und teuer. Schließlich: Die Wahl unserer Wohnform komme aus tieferen Schichten und dort, wo die Modi unserer grundlegenden Lebensvollzüge definiert werden, also Essen, Schlafen, Lieben, dort wählen wir extrem konservativ.

Bleibt auf Seiten der Architekten ein von stiller Wehmut nicht ganz freier Vorwurf, dass man ihre Lösungen des Problems nicht nachfragt und ein Selbstaufruf etwas mehr für den eigenen Popstatus und damit Wirkungsmächtigkeit zu tun.

Vielleicht nutzt das aber alles nichts, denn möglicherweise bestimmt nicht das Paradigma jener Villa am See, jenes Schloss im Grünen unsere unbewusste Wahl, sondern vielmehr das Paradigma der Burg, die uns abschirmt von einer feindlichen Außenwelt und die nichts wissen will von halbtransparenten, halböffentlichen Räumen, die unsere Intimsphäre verwebt mit dem Draußen. Vielleicht erreicht irgendwann das Wissen unsere tieferen Schichten, dass unser Feind meist nicht von außen sondern von innen kommt. Dann wird auch die Stunde für osmotischere Formen städtischen Bauens kommen. Bis dahin fahren wir weiterhin im Auto unserem Glück hinterher oder bleiben verdammt in die dead end street.

Axel Joerss

Verdichtetes Wohnen

Solange dies unsere Vorstellung vom verdichteten Wohnen bleibt, solange zersiedeln wir weiterhin die Natur.