Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

gut oder böse?

Das eigentlich Interessante an Hochhaus-ja-oder-nein-Debatten, wie wir sie nicht nur in Köln und nicht nur heute erleben, sind vor allem die dahinter aufscheinenden Fragen:

Zum Einen danach, wann und warum Hochhausbauten als etwas Gutes oder Schlechtes gelten, und zum Anderen nach den grundsätzlichen Vorstellungen von erstrebenswerter Urbanität. Vielleicht würden bestimmte öffentliche Diskussionen unaufgeregter, aber auch gehaltvoller und effektiver verlaufen, wenn man sich diesen Fragen mehr widmen würde – zumal es sich hierbei um zentrale Fragen unserer Kultur handelt. Und mit Sicherheit macht es Sinn, auch andere Wahrnehmungsperspektiven als die der Planer, Architekten und Investoren mit einzubeziehen.

Kino, als das bild- und soundmächtige Massenmedium schlechthin, liefert Beispiele zuhauf. „Die Metropole war immer ein zentrales Thema in der Filmgeschichte.“, sagt der Filmausstatter Volker Schaefer, der u. a. als Artdirector für die Studiobauten in Jeunets ‚Die wunderbare Welt der Amélie’ verantwortlich war. Als „vordigitale Methode der Architektur-Simulation“ könne das Film-Set betrachtet werden. „Der Film war von Anfang an ein Orientierungshilfe-Angebot, weil er die großen Alltagsmythen im Lebensraum Großstadt ansiedelt. Ein gängiges Muster im Film ist bekanntermaßen, die Stadterfahrung insgesamt zum Thema zu machen, um dann dramatisierend von Einzelschicksalen zu erzählen. Besonderheiten sind in diesem Zusammenhang natürlich die Filme, die die Stadt selbst zum Protagonisten machen, etwa in Klassikern wie Ruttmanns ‚Berlin: Die Sinphonie einer Großstadt’ (1927) oder auch in Langs ‚Metropolis’ (1927) und Scotts ‚Blade Runner’ (1982). Die Thematisierung des Stadtraums und der Stadtarchitektur ist inzwischen jedoch erweitert worden um den virtuellen Raum wie in ‚Cube’ (1997) von Vincenzo Natali oder in ‚Matrix’ (1999) von Andy und Larry Wachowski, weil dieser Raum für uns zur virulenten Erfahrungswelt geworden sind. Die Hauptfigur in Doris Dörries ‚Keiner liebt mich’ (1994), die in einem Hochhaus lebt – das übrigens hier in Köln am Niehler Kirchweg steht – kann man sich mittlerweile auch als einen Menschen vorstellen, der mit den verschiedensten Schauplätzen der Welt via TV und Internet verbunden ist, also mit einem großen virtuellen Stadtraum, ohne ihren physischen Raum zu verlassen.“

Insofern sind auch Stadtplanungs- und Hochhaus-Diskussionen in der Filmgeschichte gespiegelt: Jacques Tati hat sich immer wieder über Modernismus-Phänomene lustig gemacht und in ‚Playtime’ von 1967 eigens ein Stück Zeitgeist-Stadt bauen lassen, um mit diesem seine Spielchen zu treiben. Das Kino zeigt aber auch wie diese einst euphorisch betriebene zweite Moderne der 50er und 60er Jahre in der allgemeinen Wahrnehmung von cool zu unterkühlt mutiert. Bei Regisseuren wie Melville oder Verneuil wird diese Architektur zur Kulisse von ebenso frostigen wie gesellschaftspessimistischen Szenarien. In seiner Böll-Verfilmung ‚Die verlorene Ehre der Katharina Blum’ (1975) nutzt Schlöndorff das gerade fertiggestellte Kölner Uni-Center als architektonische Entsprechung für eine von Terrorismus-Hysterie befallene, anonymisierte Gesellschaft. Seit den 90er Jahren scheint man das Stapeln von Menschen in großen Stadt-Vertikalen gelassener zu betrachten. Nach seiner persönlichen Einstellung befragt, konstatiert Schaefer: „Das Uni-Center und dessen Umgebung ist für das Alltagleben kein besonders spannender Ort, als Location für bestimmte Filmszenen allerdings…“

Die in Köln und Berlin lebende Künstlerin Christina Doll ist bekannt geworden durch kleine Porträtfiguren, die sie mit dazugehörigen persönlichen Möbelstücken als Keramiken modelliert. In ihren Filmarbeiten hat sie sich mit Siedlungsarchitektur der Vorkriegszeit befasst. Immer wieder geht es ihr um die menschliche Dimension im konkreten skulpturalen wie auch im übertragenen Sinn: „In der modernen Architektur der 20er und 30er Jahre sehe ich noch den Menschen als Maßstab und Mittelpunkt des Bauens und somit die Garantie für die damaligen Architekten an einer sinnvollen Welt mitzubauen. Diese Hoffnung ist nach dem Krieg verloren gegangen. Der Begriff der räumlichen Dimension hat an Wert gewonnen, der Mensch bleibt darin als kleinstes Element zurück. Ich selbst bin mit schlechter Hochhausarchitektur aufgewachsen. Aber wenn Hochhäuser so, wie sie als moderne Architektur ursprünglich gedacht waren, realisiert werden, nämlich als Hilfe das Leben besser zu organisieren, als Befreiung von dunklen Räumen, als größere Klarheit und sinnvolle Strukturierung und auch als geistvolle Form, die Menschen zu versammeln anstatt sie zu vereinzeln, dann ist dieses Konzept – trotz aller negativen Beispiele – immer noch faszinierend.“ Die Utopien der Moderne scheinen also das Zeug zur Wiederauferstehung zu haben. Erst recht, wenn sie elastisch genug sind, um gewisse Stilvariationen zu integrieren. Die Ästhetik der 60er Jahre feierte in den letzten Jahren auch in der Architektur ein Comeback und vielerorts kann man inzwischen von einer „ideologisch befreiten DDR-Moderne“ lesen und hören, die sich in Berlin zunehmender Beliebtheit erfreut – insbesondere bei jenen, die vor fünf Jahren noch entschieden den typischen Prenzelberg-Altbau einer Plattenbau-Wohnung vorgezogen hätten. Und auch in Westdeutschland muss es eben nicht mehr unbedingt Gründerzeit-Etage oder Industrieloft sein. Auch hier ist das eine oder andere „Wohnsilo“ auf dem Wege der Rehabilitation.

Boris Sieverts ist ein in Köln lebender Künstler, der seit einigen Jahren Führungen in sonst eher gemiedene städtische „Unort“-Zonen anbietet – hier in Köln, aber auch im Ruhrgebiet und in Paris. Er hat mehrere Jahre in solch einem von Beletage-Bewohnern mitleidig betrachteten Kasten in Köln-Kalk gewohnt und dabei die guten Lichtverhältnisse und den schönen Ausblick der spartanischen Einzimmerwohnung genossen. „Eigentlich interessiert mich die Kölner Hochhaus-Diskussion nicht besonders. Was aber bei einer solchen Bebauung im Rechtsrheinischen verloren gehen würde, wäre eine bis heute existierende Asymmetrie, die ich sehr angenehm finde: Das linksrheinische Köln ist voll von Wahrzeichen, wenn man an den Dom und den Kranz aus romanischen Kirchen denkt, das Rechtsrheinische hat kein einziges Wahrzeichen. Dieses ‚Doppelgesicht’ Kölns, gleichzeitig eine ausgeprägte Kulturstadt und eine ausgeprägte Industriestadt zu sein, hat mich an Köln immer sehr angezogen. Das findet man selten in einer Stadt. Das meinte wahrscheinlich auch Böll, wenn er von Köln als der nördlichsten Stadt Italiens und der südlichsten des Ruhrgebiets sprach. Bis in die 80er Jahre hinein findet man genau das in vielen Liebeserklärungen von echten Köln-Kennern wieder. Dieses Doppelgesicht der Stadt löst sich sein gut zehn Jahren rapide auf und wird es in vielleicht fünf Jahren gar nicht mehr geben, und dann wird Köln auch nicht mehr meine Stadt sein.“ Sieverts zweifelt auch die optische und stadtplanerische Potenz der Wolkenkratzer an: „Wenn man bedenkt, was solche Hochhäuser als Masse in Kubikmetern umbauten Raumes bedeuten, dann bin ich immer verblüfft, wie vergleichsweise wenig sich dadurch die Umgebung eines solchen Gebäudes verändert. Wahrscheinlich liegt das daran, dass die Bezugshöhe für Passanten und Autofahrer ohnehin bei etwa zehn Metern endet. Und alles, was darüber liegt, wird noch zusätzlich durch die perspektivische Verkürzung reduziert.“

Aber gehören diese vertikalen Baukörper nicht von jeher zum wahren Stadt-Bild: als Zeichen der Wehrhaftigkeit und der Befähigung zu ganz besonderen Leistungen? Die Mischung aus archaischer Machtdemonstration sich selbst und anderen gegenüber (bis heute sind die Chefetagen ganz oben in den Bürotürmen) und komplexer Hochtechnologie, die notwendig ist, um solche Türme zu bauen, mit zeitgemäßer Infrastruktur auszustatten und zu klimatisieren, mutet tatsächlich seltsam an. Sieverts, jedenfalls, empfindet die Kölner Sehnsucht nach hohen Häusern im Rechtsrheinischen als einen „Atavismus“, von dem er gedacht hätte, er würde durch eine gewisse kölsche Biederkeit verhindert.

Auch für Doll ist die Höhenentwicklung einer Stadt nicht direkt mit einer urbanen Wirkung verbunden: „Für mich drücken Plätze und damit die Möglichkeit zur Kommunikation viel eher Urbanität aus als die architektonische Vertikale. Der Überblick über das Ganze, diese soldatische Kontrolle durch Turmbauten war früher sicherlich wichtig als städtisches Moment, heute allerdings erscheint mir das als überholt.“ Und sie gibt zu bedenken: „Wichtig ist doch die Frage nach der jeweiligen Bedeutung, also, was will mir eine Stadt sagen: Spricht sie z. B. von ihrer wirtschaftlichen Agilität oder stellt sie andere Bedeutungen in den Vordergrund? Das gilt auch für das Innere von Gebäuden. Ob ich durch kleine oder große Fenster sehe, ob ich durch enge, kleine Türen und dunkle Gänge gehe oder durch große, weite und helle – das alles macht etwas mit mir, greift ein ins privateste Leben. Ein Raum erzählt auch von seinem Verhältnis zu mir als Mensch: Soll ich mich klein oder groß fühlen, vermittelt er mir das Gefühl von Freiheit oder gibt er mir eine bestimmte Ordnung vor, soll vielleicht sogar erzieherisch auf mich eingewirkt werden. Das geht bis zu sozialen und ideologischen Inhalten: Soll ich mich als kleiner, unwichtiger Teil einer großen Gemeinschaft fühlen oder wird mir meine Individualität als Mittelpunkt der Welt vermittelt? In diesem Sinne ist Architektur immer eine Skulptur für die soziale Gemeinschaft, egal welchen Wert sie dabei dieser Gemeinschaft vermittelt. Dadurch, dass wir gezwungen sind in Häusern zu leben, können wir uns der Idee, die hinter der Architektur steht, nicht entziehen.“

So schwankend zeitgeistgeprägte Konzepte und Bewertungen auch sein können, anhand der Gründerzeit-Architektur ist deutlich geworden, dass Gebautes über die eigene ästhetische und soziale Ideologie hinaus auf unerwartete Weise Bestand haben kann. Sieverts spricht in diesem Zusammenhang von „ästhetischer Nachhaltigkeit“: „Architektur, die normalerweise im Vergleich zu anderen Dingen relativ lange existiert, sollte länger Bestand haben, als ihre Zeichen gelesen werden können. Ich kenne sehr wenig Hochhausarchitektur, die ästhetisch nachhaltig ist. Meistens sind Hochhäuser emblematisch und funktionieren auf eine ähnliche Art modisch wie Kleidung. In glücklichen Fällen können sie der jeweiligen Zeit entsprechend neu interpretiert werden, in vielen Fällen aber werden sie feindlich, weil sie trotz ihrer Präsenz eben nicht mehr sprechen.“

Sind die ideologisch begründeten Architektur-Dispute nun endgültig vorbei und haben einem rational geläuterten Diskurs Platz gemacht? Bestimmt nicht, denn Architektur, egal welcher Art, ist immer auch symbolisch und emo- tional befrachtet. Und offensichtlich geht es recht schnell, dass aus guten Hochhäusern böse werden–und umgekehrt.

Kay von Keitz

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Die Fiktion von Stadt, ob apokalyptisch oder utopisch, war Thema der Künste, seit es Städte gibt.Das gilt für das Mittelalter mit seinen Darstellungen des Heiligen Jerusalem genauso wie für unsere Tage.