Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Der Schreibtisch des Patriarchen

Ein Rundgang durchs Gerling Quartier

Der Verband Frauen in der Immobilienwirtschaft e.V. lud zur Projektbesichtigung im Gerling Quartier. Durch das Areal führte Danijela Pilic, Projektleiterin bei ksg Architekten und Stadtplaner GmbH. Der Abend war ein Ereignis. Vor der Kulisse der großen Baustelle im Außenraum, wo die nicht denkmalgeschützten Gebäude bereits abgerissen sind, ging es durch die in einigen Gebäudeteilen noch unangetasteten sorgsam und opulent ausgestatteten Innenräume. Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Umbaus war der originale Geist, die Gangart, ja der Geruch der 50er, 60er Jahre im Gerling Quartier noch einmal besonders spürbar.

Die Geschichte des Gerling Quartiers im Westen der Kölner Innenstadt beginnt 1920. Robert Gerling, der Firmengründer, hatte in der Nähe des Palais Langen in der von-Werth-Straße nach der Realschule seine Lehre gemacht. Als es zum Verkauf steht, richtet er hier seinen Firmensitz ein. Sämtliche auch spätere Gerling-Bürogebäude zeugen auch im Bautypus von der patriarchalische Selbstauffassung der Firmenchefs: es herrscht der klassische Palasttyp mit überhöhtem Mitteltrakt und niedrigeren Flanken.

Neues Wohnen im ehemaligen Büro

So richtig praktisch ist so ein Büro im obersten Stock aber nicht: Die eigentliche Herrschaftszelle von Dr. Hans Gerling, dem Sohn von Robert Gerling, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Konzern steuerte, lag nicht in einem der Hochtrakte, sondern im Westflügel des Friedrich-Wilhelm-Baus mit Blick auf den Gereonshof und die Bildhauereien von Arno Breker. Neben seinem Schreibtisch führte eine Tür direkt in den Hauptflurbereich, aber Besucher wurden erst außen im Korridor um das Büro herumgeführt, um die volle Raumlänge bis zum Schreibtisch des Patriarchen abschreiten zu müssen. Es durfte geraucht werden, und zwar überall. Allgegenwärtig war die Duftmarke des Chefs gesetzt.

Wenn Hans Gerling an sein drei Stockwerke hohes Fenster mit schussfester Verglasung trat und nach links schaute, mag er sich vorgekommen sein wie Julius Caesar mit den unbeugsamen Galliern – vorausgesetzt, er hatte Zeit zum Lesen von Comics. Das ganze Quartier gehört nun dem mächtigen Gerling-Konzern, das ganze? Nein, ein dickköpfiger Alteigentümer hörte nicht auf, dem Versicherungsfürsten Widerstand zu leisten: das kleine Grundstück an der Nordwestseite des Gereonshofs – dort, wo heute das Torhaus von ksg entsteht – konnte lange Zeit nicht vom Konzern erworben werden und daher der Plan einer kompletten Einfassung des Platzes nicht vervollständigt werden.

Nur die Hülle bleibt

Ein weiterer Treppenwitz der Architekturgeschichte: Helmut Hentrich entwarf das Gerling-Hochhaus, das dann aber nach Zank und Streit mit Auftraggeber durch die Gerlingeigenen Planer vollendet wurde. Heute plant hier HPP die LP 5 (siehe unten). Seltsamerweise hat das Hochhaus unterschiedliche Geschosshöhen, und es wird nach oben hin schmaler: „Man nimmt das so nicht wahr, aber wenn Sie eine neue Fassade planen, dann schon,“ so Danijela Pilic. Die niedrigen Geschosshöhen im Flügel rechts vom Hochhaus (hier war das Archiv untergebracht) waren der Grund für den Abriss dieses Gebäudeteils. Die Denkmalpflege stimmte dem zu mit der Auflage, das Gebäude außen unverändert wieder aufzubauen. Das unschöne Vordach vor dem Hochhaus, das bereits entfernt wurde, diente dazu, so erfuhr man nun, die Passanten vor herabfallenden Natursteinplatten zu schützen, deren Schwere das Mörtelbett nicht mehr halten konnte.

Gedämmt wird auch hier

Die Natursteinfassaden bilden beim Umbau in Wohneinheiten hinsichtlich der Dämmvorgaben eine Schwierigkeit, die von ksg so gelöst wird, dass die gesamte Fassadenaußenschicht um die Stärke der Dämmung nach außen vorgeschoben wird. Anforderungen an der erhöhten Trittschall lassen sich bei den hohen Deckenhöhen einfach erfüllen: sämtliche Treppen werden um eine Stufe verlängert. Die einzige Aufstockung an den Bestandsgebäuden gibt es beim Friedrich-Wilhelm-Bau: der heute unsichtbare Dachstuhl über dem Flugdach wird um 70 cm erhöht, um hier Maisonette-Wohnungen unterzubringen. Alle Gebäude werden übrigens nach DNGB zertifiziert.

Wie in einem alten Handschuh mit neuem Futter sind in einem Trakt des Friedrich-Wilhelm-Baus Raumbeispiele entstanden, damit interessierte Kunden sich ein besseres Bild machen können vom Wohnen im umgebauten Gerling Quartier. Trotz strenger Denkmalschutzauflagen und umsichtiger Planer: der Geist der Wirtschaftswunderzeitzeit wird sich wie der Zigarrendunst der Herrenabende auf immer verflüchtigen. Aber man kann gespannt sein auf den neuen!

Grobaufteilung der Baufelder nach Planern:

  • ksg Architekten und Stadtplaner GmbH: Masterplaner und Friedrich-Wilhelm-Bau am Gereonshof; Trakt Ecke Hildeboldplatz – Im Klapperhof; westliches Torhaus
  • HPP Hentrich-Petschnigg & Partner KG: LP 5 bei Hochhaus am Gereonshof, nord-östl. Flanke Gereonshof (u.a. „Haus von Werth“), östlicher Platzschließung (Wohngebäude); LG 2-4 durch ksg
  • Kahlfeldt Architekten, Berlin: Bürogebäude Ecke von Werth- und Christophstraße; Palais Langen; neues Wohngebäude am Gereonskloster („Agrippina Palais“)
  • Petzinka Pink Architekten, Düsseldorf: Rundbau mit östlich angrenzenden Trakten
  • Steidle Architekten, München: Stadtarchiv und Neubau Bürogebäude Ecke Gereonskloster – Christophstraße; Neubauten Wohnen am östlichen Gereonskloster („Gereon Lofts“)
  • Ira Scheibe

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    Weiterführende Links

    Internetseite des Projektentwicklers

    Frankonia Eurobau

    Internetseite der Bürgerinitiative

    Gereonshof: In die Baulücke neben den Turm kommt ein Wiederaufbau des alten Gerling-Archivs mit angehobenen Deckenhöhen.

    Das ‚Gerling-Quartier‘ in der Übersicht: Neben einigen Gebäude-Aufstockungen sind folgende Neubauten geplant: ‚Haus Magnus‘, ‚Gereonslofts‘, ‚Agrippina Palais‘ sowie das ‚Torhaus‘ (GQ 5) und ein Neubau am Gereonskloster (GQ 10)

    Grafik: Frankonia

    Im ehemaligen Büro von Hans Gerling ist jetzt die „Gerling Lounge“ eingerichtet.

    Treppenhaus im Friedrich-Wilhelm-Bau am Gereonshof

    Musste sein: Mies van der Rohes Barcelona, war aber nicht bequem genug für den Patriarchen, deshalb gab es eine Gerling-Sonderanfertigung.

    Globale Ansprüche auf den Türklinken