Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Wiederbelebungsversuch einer Geisterstadt

Der riesige Büro-Komplex der ehemaligen Gerling-Versicherung liegt heute verwaist mitten in der Kölner City. Jetzt soll wieder Leben in die Bauten einkehren und ein nobles Stadtqua…

Am 23. März 2010 hat der Kölner Stadtrat mit großer Mehrheit den Bebauungsplan für das Gebiet „Gereonshof“ – auch „Gerling-Quartier“ genannt – verabschiedet. Zuvor wurde jahrelang über das Großvorhaben gestritten, insbesondere über die geplanten Nachverdichtungen und die Gebäudehöhen rund um die romanische Kirche St. Gereon. Nach der Entscheidung des Stadtrates berichtete die Presse von einem „Kompromiss“. Danach ist der Investor Frankonia Eurobau zu „Zugeständnissen“ bereit: Am Gereonskloster will man unter anderem Neubauten optisch verkleinern, indem Staffelgeschosse weiter zurückversetzt werden.

Kritiker wie die Bürgerinitiative Gereonsviertel oder Pfarrer Andreas Brocke von der Kirchengemeinde St. Gereon zeigen sich enttäuscht und sehen weiterhin Verstöße gegen das Höhenkonzept der Stadt. „St. Gereon hat als historisch einzigartige Basilika einen respektvollen Umgang verdient“, betont Brocke. Der Kirchenvorstand erwägt nun, gerichtliche Schritte einzuleiten. Dies könne nicht zuletzt helfen, für ähnliche Bauprojekte in Zukunft rechtsverbindliche Regeln zu schaffen, meint Brocke.

Beginn der Bauarbeiten

Projektleiter Philipp Menzel von Frankonia verweist Kritiker auf den langwierigen, demokratischen Planungsprozess und die hohe Qualität der Entwürfe. Er rechnet damit, dass die Bauarbeiten im Mai 2010 beginnen. Ziel ist es, das überwiegend unter Denkmalschutz stehende Gerling-Ensemble im Kern zu erhalten und zugleich durch mehrere Neubauten, Gebäude-Aufstockungen und eine Nutzungsmischung weiterzuentwickeln. Geplant sind insgesamt 139 luxuriöse Neubau- und Altbauwohnungen, Büroflächen, Serviced Apartments sowie Gastronomie und Einzelhandelsflächen. Insgesamt sechs Architekturbüros sind beteiligt. Masterplaner ist das Kölner Büro KSG – Kister Scheithauer Gross. Hinzu kommen Steidle Architekten, München; Kahlfeldt Architekten, Berlin; Petzinka Pink, Düsseldorf sowie HPP, Köln und RKW, Düsseldorf.

Ein neuer Platz für Köln

Ein besonderer Anziehungspunkt des Quartiers soll der Gereonshof werden. Die derzeitige Straße wird entwidmet, um einen Platz mit hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen, erläutert Projektleiter Menzel. An der nördlichen Seite des Platzes – in den Erdgeschossen der Seitenflügel des Gerling-Hochhauses – ist Gastronomie vorgesehen. Im Hochhaus selbst entstehen Wohnungen – genauso wie im so genannten „Haus Friedrich Wilhelm“ gegenüber, an der Südseite des Platzes. Hier wird das Dach leicht aufgestockt und in Absprache mit dem Denkmalschutz ein neuer Arkadengang im Erdgeschoss integriert. Insgesamt soll die Anmutung aller Fassaden – die komplett energetisch saniert werden – bestehen bleiben, berichtet Menzel. Ein Neubau an der nordwestlichen Ecke des Gereonshofes – das „Torhaus“, geplant von KSG – soll den Platz „vollenden“, so der Projektleiter. Das gläserne, vierstöckige Bürogebäude mit Café im Erdgeschoss soll Menschen, die den Ring entlang laufen, gewissermaßen neugierig machen und ins Quartier ziehen, so die Vorstellung der Planer.

Das Quartier als Markenprodukt

In ihrem Internet-Werbevideo „Die Metamorphose“ preist Frankonia die Umgestaltung des Gerling-Areals wie eine neue Nobelmarke an. Ein neues „Premium-Stadtquartier“ solle entstehen, das „auf höchstem Niveau veredelt“ und „in einem unvergleichlich leichten und freundlichen Charakter neu erblühen“ werde. Der Gereonshof erhalte künftig „mediterranen Flair“, vergleichbar mit „der Piazza Navona in Rom“.

In der heilen Werbe-Welt von Frankonia ist für Kontroversen kein Platz – etwa für die Tatsache, dass die Architektur des Gerling-Komplexes einst heftig umstritten war. Die Bauten – die in den 1950er und 1960er Jahren entstanden – waren lange als Nazi-Architektur verrufen. Denn die damaligen Planer des Büro-Ensembles gehörten schon zum Arbeitsstab des NS-Architekten Albert Speer. Der Publizist Günter Wallraff, der sich in den 1970er-Jahren als Hausbote im Gerling-Konzern einschlich, bemerkte zu den Gebäuden: „Der gesamte Baustil, eine neoklassizistisch nachempfundene Trutzburg, eine Art ‚private Stadt in der Stadt’, symbolisiert steingewordene Macht und Größenwahn“.

Neues Leben in der ehemaligen Bürowüste?

Wie auch immer das Urteil über das Gerling-Ensemble ausfällt – in jedem Fall würde es sich lohnen, an die besondere Historie des Ortes und die Entstehungsgeschichte der Architektur zu erinnern. Wie dies geschehen soll, ist bislang noch unklar. Darüber hinaus bleiben weitere Fragen offen – nicht zuletzt, ob es wirklich gelingen wird, ein lebendiges Stadtquartier zu schaffen. Noch scheint keineswegs sicher, ob die Anbindung an das Gereonsviertel funktioniert. Kritiker befürchten, dass sich das Areal zu einer videoüberwachten Luxus-Enklave entwickeln könnte – mit Bewohnern, die man kaum zu Gesicht bekommt, weil sie ihre Immobilie nur als Zweitwohnung nutzen. Ob die Skeptiker Recht behalten oder ob der Versuch der Wiederbelebung erfolgreich verläuft und die Kölner das Quartier in ihr Herz schließen, wird sich ab 2013 zeigen. Dann werden die Umbauarbeiten voraussichtlich abgeschlossen sein.

Jens Karbe

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Weiterführende Links

Internetseite des Projektentwicklers

Frankonia Eurobau

Internetseite der Bürgerinitiative

Blick aus dem Westen auf den Gereonshof: Links das geplante ‚Torhaus‘, durch das der Platz auf der westlichen Seite einen räumlichen Abschluss erhalten soll. Rechts das Gebäude der ehemaligen ‚Globale-Rückversicherung‘.

Visualisierung: Frankonia

Blick auf das Gerling-Hochhaus am Gereonshof. Das 15-stöckige Gebäude ist für die Wohnnutzung vorgesehen. In den Seitenflügeln des Hochhauses sollen in den Erdgeschossen Restaurants und Cafes entstehen.

Visualisierung: Frankonia

Der neue Gereonshof aus der Vogelperspektive: Die derzeitige Straße wird entwidmet, es soll ein neuer Platz mit hoher Aufenthaltqualität entstehen.

Visualisierung: Frankonia

Das ‚Gerling-Quartier‘ in der Übersicht: Neben einigen Gebäude-Aufstockungen sind folgende Neubauten geplant: ‚Haus Magnus‘, ‚Gereonslofts‘, ‚Agrippina Palais‘ sowie das ‚Torhaus‘ (GQ 5) und ein Neubau am Gereonskloster (GQ 10)

Grafik: Frankonia

4 Kommentare

Premium-Quartier. Wenn ich das schon höre. Und dazu auch noch in diesem vor falschem Pathos triefenden, mit der schrecklichsten Kitschmusik unterlegten Werbefilmchen. Und das dümmliche Gelaber gibt dem ganzen den Rest. Piazza Navone, my ass. Der Kreativität Raum und Zeit geben, is klar. Wer sich 400qm-Wohnungen in einem Premium-Quartier leisten kann, der hat weder Zeit, noch Kreativität, soviel dürfte klar sein. Außerdem wurden doch gerade erst die Kranhäuser für die Reichen und Superreichen gebaut. Wie wäre es mal mit neuen Sozialwohnungen, dann würde auch fucking nochmal neues Leben bei Gerling einziehen. Oder man verschont den Klingelpützpark, und verlegt die Bildungslandschaft Altstadt-Nord ins Gerlingviertel.

Na klar David, noch mehr Sozialwohnungen a’la Lindweiler, Chorweiler usw. auf das noch mehr Prolis nach Köln ziehen. Neues Leben bei Gerling wäre dann wohl, Graffiti, Drogen, Alkohol etc. Das Strassenbild in Köln hält schon lange keinen Vergleich mehr mit anderen Städten aus. Das Outfit vieler meiner Mitbürger paßt hervorragend zum Strassenbild. Habe zwei Jahre in Polen gearbeit. War nach meiner Rückkehr nach Köln entsetzt. Werde mich alsbald gänzlich aus Köln verabschieden.

Köln ist und bleibt eine Schmuddelstadt, auch wenn es vereinzelt ein paar Leuchtturmprojekte gibt. Es fehlt eine Vision, ein Gesamtkonzept, ein Stadtbaudirektor, der versucht, der Stadt ihr Gesicht wiederzugeben.

So ist es mit den Superreichen eben. Nur ob die dann auch Geld in Köln lassen ist die zweite Frage.
Vielleicht bleibt es auch ein Wunsch der Frankonia, dieses Wunschdenken….
Vielleicht sollte man sch nach einer großen Firma umsehen, die den ganzen Komplex wiederbelebt mit Büroleben, das stört dann auch das Nachtleben nicht, oder muß das Nachtleben als nächstes weg, wenn die Superreichen sich gestört fühlen?!
Laßt die Gebäude so wie sie sind und macht sie der öffentlichkeit zugänglich!