Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Lern- und Lebensorte

Planungsworkshop zum Klingelpützpark abgeschlossen

Gute 20.000 Stunden braucht es bis zum Abitur – schlimm, wenn man die im Container absitzen muss. Doch während PISA an der Bildungsfront immer noch für Verwirrung sorgt und Deutschlands Schüler sich sarkastisch die Frage stellen, wie doof sind wir eigentlich – eine positive Folge ist doch zu verzeichnen: pädagogische Architektur wird nicht mehr nur diskutiert und gefordert, sie wird gebaut.

Im Klingelpütz-Viertel soll ein Bildungsverbund entstehen, der die Haupt- und Grundschule am Gereonswall, das Abendgymnasium an der Kyotostraße, das Hansagymnasium am Ring, die Freizeitanlage Klingelpütz in einem Wohngebäude aus den 50ern, das Jugendzentrum der Katholischen Studierenden Jugend im Turm der alten Stadtmauer und eine noch zu errichtende Kita umfassen wird. Der Bestand soll optimiert und die Freiräume möglichst wenig in Anspruch genommen werden.

Wohlfühl- und Unwohlfühlorte

Diese pädagogische Zusammenarbeit wird neue Raumprogramme in zum Teil neu entstehenden Gebäuden zur Folge haben. Die Montag Stiftungen „Urbane Räume“ und „Jugend und Gesellschaft“ und die Stadt Köln haben dazu einen Wettbewerb ausgelobt. In mehreren seit Herbst 2006 stattfindenden Werkstätten hatten sich die Beteiligten der sechs bereits bestehenden Einrichtungen auf die pädagogische Leitidee des „bedeutungsvollen Lernens“ verständigt. Die 2000 rund um den Park lernenden Kinder und Jugendliche bestimmten ihre „Wohlfühl- und Unwohlfühlorte.“ So entstand ein umfassendes Nutzungsprogramm, in dem der Raumbedarf für neue pädagogische Methoden und Inhalte festgehalten wurde. Diese galt es nun in konkrete räumliche Konturen umzusetzen.

Nach einem Bewerbungsverfahren wurden fünf Teams für die Teilnahme am workshop eingeladen: Angelis / Willecke und AHA / Welzer aus Köln, muf aus London, feld72 / PlanSinn aus Wien und COBE / Topotek aus Kopenhagen/Berlin. Betreut wurde das Verfahren von bueroschneidermeyer aus Stuttgart. Die aus 21 Mitgliedern (u.a. Claus Anderhalten, Cor Geluk, Undine Giseke, Roger Riewe) bestehende Jury erteilte am 8. Mai den ersten Preis an zwei Entwürfe: an die Planungsgemeinschaft feld72 / PlanSinn und die Londoner muf architects and artists.

Bis Herbst 2008 soll daraus eine gemeinsame Arbeit entstehen, die dann als Rahmenplan für die hochbauliche Entwicklung der „Bildungslandschaft Altstadt Nord“, den entsprechenden Ausschüssen und dem Rat der Stadt Köln vorgelegt werden kann. Das Projekt des Wiener Büros feld 72 / PlanSinn soll dabei als „städtebauliches Leitbild“ fungieren, programmatisch wird eine perforierte Randverdichtung rund um den Park formuliert, die auch künftige Baufelder etwa für eine Bibliothek am Eingangsbereich des Parks und ein Auditorium definiert. Die Stärke der Londoner sieht man im Kommunikationskonzept, das ein Teilen und Tauschen unter den Einrichtungen in Gang bringen möchte.

Lernen im Verbund

„ (…) die Entdeckung des Einfachen und der Kraft, die darin steckt, [gehört] zu den schönsten Erkenntnissen. Kommen Offenheit, Eigeninitiative und die Übernahme persönlicher Verantwortung hinzu, ist dies der sichere Weg zur Angstfreiheit und zum Erfolg.“ Carl Richard Montag, der selbst als Bauherr und Planer gearbeitet hat, verfolgt mit seinen Stiftungen das Prinzip sozialästhetischen Handelns. Wichtiger als die andauernden Querelen um Schulformen ist ihm die Diskussion über Formen des Lernens und Lehrens. Geeignetere Lernumgebungen sollen jetzt in dem Modellprojekt Klingelpützpark entstehen.

Der herkömmliche Klassenraum – die »60 qm-Lernbox« – wandelt sich in gestaltbare Lernbereiche für Frontalunterricht, Gruppen- und Einzelarbeit und individuelle Förderung. Pädagogische Architektur, so wie die Montag Stiftung sie versteht, beginnt mit guten Fragen: „Gibt es genügend Raum für die verschiedenen Formen des Lernens und Nichtlernens? Ist die Schule altersgerecht und übersichtlich organisiert, bietet sie den Lernenden einen Platz, dem sie sich zugehörig wissen? Bietet die Schule Anregungen für das sinnliche Wahrnehmen und ist sie ein ästhetisches Vorbild, von dem Schüler und Lehrer lernen können? Bieten Architektur und Umgebung Spielräume zur Mitgestaltung?“

Der Wandel soll nicht nur innerhalb der einzelnen Schulen stattfinden. Man will „Türen öffnen für bedeutungsvolles Lernen“ – so das Motto der Bildungslandschaft Altstadt Nord. Lernen findet vermehrt auch draußen im Stadtteil statt. Die Schulen vernetzten sich untereinander und profitieren von ihren gegenseitigen Angeboten. Und das Veedel kommt in die Schule: eine Vermietung an außerschulische Nutzer – etwa Gesundheitsfürsorge, soziale Dienste, ehrenamtlich Engagierte und auch Freizeitpädagogik – erhöht die Wirtschaftlichkeit der Gebäude. Ein architektonisches Zuhause zu schaffen, in dem sich diese Ideen konkret umsetzen lassen, ist jetzt die Aufgabe der Planungsteams.

Die Modelle sind vom 19. Mai bis zum 30. Mai 2008 in der Magistrale des Stadthauses der Stadt Köln (Willy-Brandt-Platz 2) zu besichtigen.

Ira Scheibe

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09.12.2007

Bedeutungsvolles Lernen

Um den Klingelpützpark soll ein Bildungsverbund entstehen, der Planer und Pädagogen gleichermaßen beteiligt.

Internetseite der Carl-Montag-Stiftungen zum Wettbewerb

Modell: Projekt Feld 72/ PlanSinn (Wien)

Die Randbebauung entwickelt sich entlang eines gedachten Bildungsbandes. Zudem werden Baufelder definiert, die mit Nutzungsbausteinen gefüllt werden können.

(Foto: Stefan Bayer)

Perspektivische Skizze mit einzelnen Bausteinen des Entwurfs von Team ‚Feld 72 / PlanSinn‘ (Wien)

(Foto: Stefan Bayer)

Das Projekt muf (London) setzt auf neue Stadtteilkultur. Es legt der Planung eine Kommunikationsstrategie zugrunde, die als Kern den Prozess des Teilens und Tauschens hat. Die Idee hierbei ist, dass jedes Geschenk ein neues Geschenk generiert.

(Foto: Stefan Bayer)

8 Kommentare

10000e qm Bürofläche stehn leer in Köln. Da macht es wirklich Sinn die wenigen Grünflächen der Innenstadt neu zu bebauen und zu asfaltieren!! Ist bestimmt viel billiger als bestehenden Leerstand zu nutzen. Aber der Etat muss raus, was?!

Die „Nachverdichtung“ im Park sehe ich als wirkliches Problem. Es werden hier gute Prinzipien verletzt, was wohl auch durch baulich intelligente Lösungen nicht aufgefangen werden kann: Man baut doch eine Hauptschule oder eine Bibliothek nicht einfach in einen Park, nur weil da gerade Platz ist! Es scheint so, daß sich auch ein Workshop „verlaufen“ kann.

Das hört sich ja ganz toll an. Wohlfühl-Stellen, was für eine Wortschöpfung.
Die einzige Stelle, an der ich mich im Klingelpütz-Park unwohl fühle, ist am Gedenkstein. Aber genau deshalb steht er dort.
Dieser Park hat eine besondere Geschichte. Da sollte man nicht rumbaggern,
rumbauen, rumasphaltieren. Das muß doch bessere Lösungen geben, als sich
über die Grünflächen herzumachen.

Ich möchte hiermit meinen Vorrednern beipflichten und frage mich auch, ob es wirklich Sinn macht, die Grünflächen zu bebauen. Ich bin dort meistens zum Boule spielen und fände es wirklich sehr schade, wenn dies dort nicht mehr möglich wäre.
Daher wünsche ich mir, dass nicht nur meinen persönlichen Vorlieben ein Ende bereitet wird, sondern auch die Interessen aller Nutzer der Grünfläche entgegen gekommen wird, und nicht einfach über ihre Köpfe hinweg bebaut wird, sondern alle Interessen möglichst mit eingebunden werden.

„eine Vermietung an außerschulische Nutzer erhöht die Wirtschaftlichkeit der Gebäude.“
Das ist doch mal ne Aussage.

Liest sich wirklich gut. Aber im Endeffekt könnte man auch die ganze Stadt versiegeln.
Ein Restbestand an grün sollte bleiben!! Sollte man uns Boulespielern allerdings dort eine Halle anbieten, würde ich meinen Grundsatz gegen Komplettversiegelung noch einmal überdenken…

Gute Idee. eine Boulehalle wär doch mal ein
konkret definierter Knotenpunkt in dem
Netzwerkgephrase. Treffpunkt für jung und alt.

Es ist doch schön, dass alle Bildungsplaner und Schüler Wohlfühl und Unwohlfühlorte definieren konnten. Nur die Anwohner waren leider nicht dabei.
Weshalb sollte man dann auch Anwohner in einen Architektenwettbewerb mit einbeziehen? Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.